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Kolumne

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Die Grundlage der Musik
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Anlässlich des Besuchs eines Klavier­abends dachte ich kürzlich wieder einmal an den Satz, den der Pianist Alfred Brendel bei einem Konzert, das weniger in ein Tasten- als in ein Hustengewitter ausartete, zum Publikum sagte: „Die Grundlage der Musik ist die Stille“.

Nun ist natürlich niemand gegen einen plötzlichen Hustenreiz gefeit, doch gibt es tatsächlich Konzertabende, bei denen sich vor allem die erkälteten Mitbürger des jeweiligen Ortes zum Besuch der Veranstaltung verabredet zu haben scheinen.

Ist es unfair zu erwarten, dass Musikliebhaber, die sich vielleicht lange auf ein Konzert gefreut haben und dann bemerken, dass ihr grippaler Infekt zusehends dominanter wird, auf den Konzertgenuss verzichten? Die Mehrheit der Musikfreunde verhält sich in diesem Sinne rücksichtsvoll, aber es gibt doch immer wieder Mitmenschen, die unbedingt alle anderen an ihrem Hustkonzert teilhaben lassen möchten – sozusagen als Untermalung der Versuche eines Musikers, von der Bühne aus ein atmosphärisches Pianissimo in den Raum zu zaubern.

Wer je als Musiker auf der Bühne gestanden hat – ganz gleich ob als Sänger, Instrumentalist oder Dirigent –, weiß, wovon ich rede. Dabei gibt es erfreulicherweise immer wieder Konzerte, bei denen die Kraft der Musik die Bazillen und Viren, die im Raum umherschweben, zu überwinden scheint und tatsächlich niemand husten muss. Aber es existiert leider auch der Fall, dass ein Moment von wunderbarem Pianissimo durch einen explodierenden Husterer nicht nur ge-, sondern vollkommen zer-stört wird. Als sensibler Musiker ist man dann manchmal einem Herzinfarkt nahe und weiß nicht, ob man vor Wut explodieren oder resignieren soll.

Dabei ist die Interaktion zwischen Bühne und Publikum normalerweise etwas Wunderbares – unendlich viel stärker als jede Studioatmosphäre. Nur müssen tatsächlich beide Seiten dazu beitragen – und wenn es beim Publikum nur die richtige Einschätzung der eigenen Gesundheit ist...

Das Gegenstück zum erwähnten Kommentar von Alfred Brendel stammt übrigens von Keith Jarrett. Er unterbrach bei einem verhusteten Abend sein Klavierspiel und forderte das Publikum auf: „Now cough, everybody!“.

Ich wünsche Ihnen „stille“ Konzerterlebnisse!

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