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Komponieren dürfen, wollen und müssen

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Ein Kongressband zur Kompositionspädagogik
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Philipp Vandré/Benjamin Lang (Hg.): Komponieren mit Schülern. Konzepte – Förderung – Ausbildung. ConBrio Verlagsgesellschaft Regensburg 2011, 212 S., € 22,80, ISBN 978-3-940768-22-2

Komponierende Jugendliche zunehmend aus der Nische skeptisch bewunderten Eigenbrötlertums heraus; zahlreiche Ausbildungs- und Förderprojekte richten sich an sie. Die Pädagogik des Komponierens jedoch ist immer noch weitgehend ein Experimentierfeld. Ein erstes bundesweites Symposium zur Kompositionspädagogik, bei dem Akteure der unterschiedlichsten Institutionen und Projekte ihre Erfahrungen austauschten, fand 2010 an der Hochschule Osnabrück statt; die Beiträge sind nun bei ConBrio erschienen.

Über die Grenzen der Formate und didaktischen Ansätze hinweg kristallisiert sich in dem Band als Kernfrage der Kompositionspädagogik heraus, ob man sie mit der Zielstellung der (Vor-)Ausbildung von Komponisten oder als Vehikel zum Verständnis zeitgenössischer Musik einsetzt. Ersteres baut auf selbstmotivierte Teilnahme, Kontinuität und gewisse musikalische Voraussetzungen. Dieses Konzept verfolgen etwa die beiden ältesten noch existierenden Initiativen dieser Art: die jährlichen Kompositionskurse der Jeunesses Musicales in Weikersheim und, durch den regelmäßigen Unterricht noch intensiver, die Kompositionsklassen Dresden/Halle/Magdeburg. Naturgemäß ist der „output“ an bekannten professionellen Komponisten hier beeindruckend, obwohl dies erklärtermaßen nicht das Hauptziel der Einrichtungen ist; andererseits richtet sich das anspruchsvolle Angebot an eine entsprechend kleine Zielgruppe.

Auf der anderen Seite stehen dem „Response“-Konzept folgende Initiativen, bei denen meist in Kooperation mit allgemeinbildenden Schulen quasi voraussetzungslos eine Gemeinschaftskomposition Jugendlicher als aktives und aneignendes Nachvollziehen anhand ausgewählter Werke entsteht, deren Komponisten zumeist selbst im pädagogischen Prozess mitarbeiten. Auch wenn hier – mit Hilfe der professionellen Partner – am Ende eine wie auch immer geartete Komposition aufgeführt wird, sind nicht das Ergebnis und sein Niveau Hauptziele des Projekts, sondern die Erkenntnisse, die die überwiegend ohne „klassische“ Musik aufwachsenden Jugendlichen auf dem Weg dahin erfahren. 

Ein großer Pluspunkt ist die Offenheit dieser Ansätze für alle Niveaus und die relative Breitenwirkung. Das Manko liegt in der daraus resultierenden Nivellierung, aber auch in der Gefahr des Überstülpens starrer Vorgaben und nur bedingt geeigneter Konzepte – ein Beitrag nennt dies „institutioneller Restdogmatismus“. Vor allem aber haben solche Vorhaben kaum Nachwirkung, solange avancierte Musik und ihre Vermittlung ganz allgemein, nicht nur das Spezialgebiet der Kompositionspädagogik, in der Ausbildung von Instrumentalisten und Musikpädagogen weiterhin eine so marginale Rolle spielen: Wenn die Komponisten und berufsmäßigen Vermittler abgezogen sind, fällt die (Musik-)Schule meist wieder in ihren alten Trott zurück. Der Erfolg, das geht aus fast allen diesbezüglichen Beiträgen hervor, resultiert aus einer gelungenen Kooperation von Komponisten und engagierten Pädagogen, weniger aus ausgefeilten Konzepten.

Zwischen diesen prinzipiell unterschiedlichen Ansätzen finden sich Einrichtungen wie die Kompositionsklasse an der Stuttgarter Musikschule, die institutionelle Kontinuität mit breiterer, allerdings durch den Zugangsweg Musikschule gefilterter Zielgruppe verbindet, oder die Kompositionsklasse Winsen. Deren Konzept beruht wohl am radikalsten sowohl auf Voraussetzungslosigkeit wie auf Unabhängigkeit von Vorgaben und pädagogischen Formaten, hat dabei aber intelligente, auf vielen Ausbildungsebenen einsetzbare Hör- und Klangbau-Übungen entwickelt. Ein von Open-Source-Software her konzipiertes Projekt des Kunstraums Tosterglope zeigt, dass der Computer, geschickt eingesetzt, unabhängig vom musikalischen Bildungsstand durchaus bei der Freisetzung von Kreativität helfen kann.

Drei Roundtable-Protokolle ergänzen die Texte; hier wurden zahlreiche bekannte Grundprobleme der kreativen, also eigenschöpferischen musikalischen Arbeit mit Jugendlichen angerissen, ohne dass dabei griffige Rezepte zur Bewältigung formuliert werden sollten. 

Die Stärke der Kompositionspädagogik in Deutschland liegt aktuell vor allem in der Vielfalt der Ansätze und Ideen und im Engagement Einzelner in bestimmten Regionen (weder die Neue-Musik-Metropole Berlin noch das bildungspolitisch so profilierte Bayern waren mit Referenten vertreten). Wenngleich inhaltlich überwiegend interessant, bleiben die Beiträge sprachlich mit wenigen Ausnahmen leider nüchterne Berichte und Aufzählungen. 

Dennoch gehört dieser Band in jede musikdidaktische Bibliothek.

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