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Musik aus dem Internet: Ergebnisse einer Online-Umfrage
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Musik aus dem Internet ist ein zweischneidiges Schwert. Einerseits wird befürchtet, dass die Umsatzverluste der Plattenindustrie auf das Konto von Musiktauschbörsen im Internet gehen, andererseits erhoffen Musikkonzerne, im Internet neue Distributionswege zu finden. Das Beispiel Napster zeigt jedoch, wie schwer es für ein Unternehmen wie Bertelsmann ist, Urheberrechtsstreitigkeiten mit den Labels beizulegen, um ein kostenpflichtiges Tauschforum einzurichten. Dabei bleibt das Risiko, dass das Angebot von den Konsumenten nicht angenommen wird. Die Auswertung von über 4.000 Fragebögen einer im Juni und Juli 2001 durchgeführten Online-Umfrage zeigt das Verhalten und die Einstellungen von Nutzern der Musik aus dem Internet.

Die Verbreitung von Musik im Internet ist durch das MP3-Format praktisch und einfach zu handhaben. Für die Künstler ergibt sich durch das Internet sowohl die Möglichkeit einer Selbstvermarktung als auch die Gefahr, dass in Zukunft durch die Zunahme von Raubkopien ausreichende Einkünfte aus der Vermarktung von Urheberrechten nicht mehr gewährleistet sind. Für die Musikkonsumenten geht die öffentliche Diskussion jedoch offenbar am Kernpunkt vorbei. Die Verletzung der Urheberrechte der Interpreten oder etwaige Auswirkungen auf den Musikmarkt durch das Kopieren von CDs oder das Herunterladen von Musik aus dem Internet haben so gut wie keine Bedeutung für ihr Verhalten. Die Gründe für die Nutzung der Internet-Angebote liegen vor allem in den fehlenden Alternativen zum preisgünstigen Erwerb von Einzelsongs, dem guten Überblick über die Musikszene sowie dem Gemeinschaftsaspekt der Musiktauschbörsen, die den Austausch mit Gleichgesinnten in aller Welt ermöglichen. Viele Teilnehmer der Tauschbörsen äußern das Motiv, sich gegen eine zunehmende Kommerzialisierung des Musikmarktes stellen zu wollen.

Von typischen Nutzern wurden nicht mehr als 200 Songs heruntergeladen, im Durchschnitt 40 Songs. Dies entspricht etwa 13 Songs pro Monat, das heißt weniger als dem Inhalt einer handelsüblichen CD. Das ist nicht viel, insbesondere wenn man es mit dem Kauf von Audio-CDs vergleicht: im Durchschnitt wurde gleichzeitig etwa eine CD monatlich gekauft. Typische Nutzer der Internetbörsen sind zu 96 Prozent männlich und durchschnittlich 26 Jahre alt, 56 Prozent haben Abitur und 23 Prozent einen Hochschulabschluss, 36 Prozent studieren und 44 Prozent sind berufstätig. Demgegenüber besteht die kleine Gruppe der extrem starken Nutzer, die mehr als 200 Dateien in drei Monaten heruntergeladen haben, vor allem aus Schülern und Auszubildenden. Insbesondere die Gruppe der jungen, wenig finanzkräftigen Musikkonsumenten erweist sich somit als Dauernutzer der kostenlosen Angebote.

tudierende liegen im Durchschnitt. Wenig erstaunlich ist der relativ niedrige Durchschnittswert bei den Berufstätigen, die insgesamt den größten Anteil der Nutzer stellen. Ganz besonders selten laden die ohnehin unterrepräsentierten Frauen Musik aus dem Netz – hier wirkt sich die allgemeine Zurückhaltung von Frauen gegenüber der Computertechnik und dem Internet aus. Musik aus dem Internet scheint somit hauptsächlich von jungen, männlichen, hoch gebildeten Musikinteressenten intensiv genutzt zu werden und insofern ist es interessant, sich das Verhalten von Schülern einmal genauer anzusehen.

Von Schülern wurde dreimal so viel Musik heruntergeladen wie von typischen Nutzern. Dafür wurden in drei Monaten lediglich etwa zwei CDs gekauft. Schüler kaufen also relativ wenig und nutzen dafür das Internet um so stärker. Etwas mehr als die Hälfte hört sowohl Musik aus dem Internet als auch selbstgekaufte CDs. 44 Prozent sind jedoch reine MP3-Nutzer, sie haben innerhalb von drei Monaten keine einzige CD gekauft.

Durchschnittlich wurden zwei CDs zum Brennen an Freunde verliehen beziehungsweise kopiert und weitergegeben und die gleiche Anzahl CDs wurde im Gegenzug von Freunden kopiert. Eine gekaufte CD wird also dreimal kopiert. Angesichts der gesetzlich erlaubten Menge an sieben im Freundeskreis verschenkten Kopien ist die Zirkulation von Raubkopien demgemäß auch auf dem Schulhof relativ gering ausgeprägt. Auffallend ist jedoch die große Anzahl an MP3-Dateien, die mit Freunden getauscht werden: durchschnittlich wurden 21 Songs weitergegeben und 33 Kopien erhalten. Die Verbreitung einer angelegten MP3-Sammlung im Freundeskreis stellt somit ein äußerst beliebtes Verhalten dar. Generell ist bei Schülern ein hoher Verbreitungsgrad der Musik aus dem Internet zu beobachten. Zwei Drittel der Befragten haben sechs oder mehr Freunde, die ebenfalls Musiktauschbörsen nutzen.

Insgesamt scheinen wesentliche Bedürfnisse der jungen Konsumenten durch konventionelle Angebote der Musikindustrie bisher nicht erfüllt zu werden. Diese beziehen sich auf eine übersichtliche und komfortable Suche, die Abspielbarkeit und Speicherung auf dem PC und auf die Preisgestaltung. Ein erheblicher Teil der Befragten möchte dem Profitstreben der Musikkonzerne entgegentreten, indem Raubkopien in Umlauf gebracht werden. Offensichtlich ist eine Art von „Robin-Hood-Mentalität“ verbreitet, daneben gibt es auch eine ausgeprägte Selbstbedienungsmentalität. Die Musikindustrie scheint es nicht geschafft zu haben, dass die Hörer bereit sind, für die Produkte den geforderten Preis zu bezahlen. Vermutlich kommen derartige Einstellungen auch durch die Diskrepanz zwischen Wünschen und finanziellen Möglichkeiten zustande. Es ist die Frage, inwiefern sich die unter Jugendlichen verbreiteten Einstellungsmuster in Zukunft bei einem über ein Taschengeld hinausgehenden Budget verändern werden. Die derzeitige Motivation der meisten MP3-Nutzer ist jedenfalls ausgeprägt nichtkommerziell. Es steht zu vermuten, dass sie kostenpflichtige Online-Tauschbörsen nicht akzeptieren werden.

Sonja Haug und Karsten Weber: Kaufen, Tauschen, Teilen. Musik im Internet. Peter Lang Verlag, Berlin 2002
phil.euv-frankfurt-o.de/extern/MP3-Umfrage/

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