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Meilenstein europäischer Festival-Kultur

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Das Ludwig-van-Beethoven-Osterfestival in Krakau 2002
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Anfang April ging in Krakau das 6. Ludwig-van-Beethoven-Osterfestival zu Ende. Neben den gleichzeitig laufenden Veranstaltungen in Salzburg und Luzern zählt das noch relativ junge polnische Festival bereits zu den renommiertesten seiner Art in Europa. Resultat eines Konzeptes, das nicht mit beliebiger Programmatik aufwartet oder ausschließlich auf internationale Staraufgebote setzt, sondern das Inhalte sinnvoll bündelt und auch polnische Künstler respektive Orchester einbezieht.

Anfang April ging in Krakau das 6. Ludwig-van-Beethoven-Osterfestival zu Ende. Neben den gleichzeitig laufenden Veranstaltungen in Salzburg und Luzern zählt das noch relativ junge polnische Festival bereits zu den renommiertesten seiner Art in Europa. Resultat eines Konzeptes, das nicht mit beliebiger Programmatik aufwartet oder ausschließlich auf internationale Staraufgebote setzt, sondern das Inhalte sinnvoll bündelt und auch polnische Künstler respektive Orchester einbezieht.Gegenwart von Geschichte: Das Mittelalter, die Renaissance, die österreichisch-ungarische Monarchie – in Krakau atmet das Vergangene. Tausend Jahre polnischer und europäischer Kultur fügen sich hier organisch zu einem einmaligen Gebilde, das Historie und zeitgemäße Urbanität zu integrieren weiß. Krakau, ein Ort mit Genius Loci, ein Ort wie geschaffen also für kulturelle Events und wie kaum ein zweiter mithin prädestiniert, auch der so genannten Ernsten Musik ein breiteres Forum zu schaffen, eine Plattform, die das Genre über die konventionellen Konzertangebote hinaus zu präsentieren vermag.

Mit dem „Ludwig-van-Beethoven-Osterfestival“ scheint dieses Vakuum auf längere Sicht beseitigt worden zu sein. 1997 von Elzbieta Penderecka ins Leben gerufen, avancierte die Veranstaltung seither kontinuierlich zu einem der renommiertesten kulturellen Ereignisse des Landes. Dabei setzt das Erfolgsrezept der künstlerischen Leiterin neben schlüssigen dramaturgischen Konzepten auch auf Synergien, beispielsweise Ambiente und Aura der Stadt; denn sie eröffnen der Musik dank zahlreicher originärer Veranstaltungsorte eine einmalige Ausgangslage. Doch trotz den nahezu perfekten Rahmenbedinungen sind auch in Krakau Mut, Passion, Engagement, ja Enthusiasmus gefragt, denn um ein Festival von Jahr zu Jahr professionell und auf hohem künstlerischen Niveau neu zu positionieren, bedarf es neben einer funktionierenden organisatorischen Infrastruktur vor allem ausreichender finanzieller Ressourcen. In diesem Zusammenhang waren bislang in erster Linie Sponsoren gefragt, da Stadt und Land nur gut die Hälfte des Gesamtbedarfs beisteuerten. Ob die staatliche beziehungsweise kommunale Unterstützung in Zukunft deutlicher ausfällt, dürfte nicht zuletzt von der Erkenntnis über Nutzen und Botschaft eines Festivals abhängen, das bereits heute nicht nur identitätsstiftend wirkt und Brücken nach (West-)Europa schlägt, sondern das ebenso den hohen Standard polnischer Kultur widerspiegelt.

Zwölf Konzerte in acht Tagen: Auch in diesem Jahr konnte, wer Stehvermögen mitbrachte, an einer Parforce-Tour künstlerischer Superlative teilhaben, an einem dicht gestrickten, breit gefächerten Programm, das in gewohnter Manier Populäres mit Unbekanntem oder selten Aufgeführtem zu verbinden wusste. Desgleichen überzeugte auch die gut balancierte Auswahl der Solisten und Orchester; so standen jüngeren Musikern wie den Klaviervirtuosen Markus Groh, Sa Chen oder Julia Zilberquit international renommierte Musiker vom Rang Boris Pergamenschikows, Rudolf Buchbinders, Renate Behles, Andreas Schmidts, Yuri Bashmets oder Barry Douglas‘ gegenüber, ebenso wie polnische Spitzenorchester (Polish National Radio Symphony Orchestra, Sinfonietta Cracovia, Sinfonia Varsovia) internationalen Ensembles (Moscow Soloists, Lithuanian National Symphony Orchestra, Ensemble Wien-Berlin) begegneten. Dass in solch ausgesuchtem Künstler-Tableau die jüngere Musikergeneration nicht unbedingt im Abseits stehen muss, zeigte, am Auftakt-Abend, beispielhaft die 23-jährige chinesische Pianistin Sa Chen. Sicher, vor allem aber detailorientiert, begleitet vom Nationalen Polnischen Radio-Sinfonie-Orchester unter Gabriel Chmura (schwebende Streicher, subtil artikulierte Bläser) gestaltete Chen Chopins e-Moll Konzert op. 11 aus dem Geist der Romantik gleichermaßen virtuos wie zerbrechlich. Von durchaus ähnlich ätherisch-luzidem Format die Lesarten des Duos Boris Pergamenschikow/Markus Groh. „Singend“, jeder Nuance nachspürend vermochten die äußerst homogen agierenden Partner mit einem Beethoven-, Schubert-, Schumann- und Chopinprogramm am zweiten Abend einen vorzeitigen Höhepunkt zu markieren. Intensität, Hermetik, Authentizität, drei Stichworte, die über der Aufführung sämtlicher Beethoven-Klavierkonzerte zur Halbzeit des Festivals zu schweben schienen. Dass Kraftakte wie diese auch Magie zeitigen können, bewies der Wiener Pianist Rudolf Buchbinder. Mit der Doppelrolle als Solist und Dirigent sichtlich und hörbar vertraut, zelebrierte der Beethoven-Spezialist eine zwar der Kammerperspektive entlehnte, dennoch zugespitzte, expressive Deutung der fünf Konzerte. Eine flexibel aufspielende, dem Solisten nachhorchende Sinfonietta Cracovia schuf die Basis für einen der größten Publikumserfolge des Festivals.

Eher verhalteneren Tönen verpflichtet, dennoch von außerordentlicher Spannung und sublimer Energie getragen die Auftritte des Pianisten Nelson Goerner (Chopin-Balladen), des Baritons Andreas Schmidt (Schubert, Winterreise) und der Moscow Soloists unter der Leitung Yuri Bashmets (u.a. „Der Tod und das Mädchen” in der Bearbeitung Gustav Mahlers). Jenseits der „inneren“ Festivalprogrammatik dann das Karfreitagskonzert, traditionell, dem Anlaß entsprechend, mit einem geistlichen Werk: Dvoráks „Stabat Mater“ von 1877. Krzysztof Penderecki – der Komponist ebenfalls traditionell mit einem Festival-Dirigat vertreten – wählte das dunkel gestimmte Werk nicht zuletzt als Reminiszenz an eine geplante, aber nicht-realisierte Krakauer Aufführung am Karfreitag des Jahres 1881. Am Pult der Sinfonia Varsovia, mit dem Philharmonischen Chor Krakau und blendend aufgelegten Solisten wie der Sopranistin Renate Behle oder dem Bass Radoslaw Zukowski, wusste Penderecki das komplexe Gefüge der Partitur sicher und detailgenau auszuleuchten. Beifall am Ende für eine ungemein organische Deutung eines Werkes von seltener introvertierter Schönheit.

Zum erwarteten Höhepunkt des Festivals fand sich am Abschlusstag eine Formation um den Bratscher Yuri Bashmet und den Pianisten Barry Douglas zusammen. Nach Beethovens Trio B-Dur op. 11 (Barry Douglas, Michel Lethiec, Arto Noras) und Schuberts „Forellenquintett“ (Chee-Yun, Yuri Bashmet, Arto Noras, Jerzy Dybal, Barry Douglas) stand die polnische Erstaufführung von Pendereckis Sextett auf dem Programm. Das formal ungewöhnliche Werk, ein in allen Belangen originärer Kosmos, ein Zwiegespräch unterschiedlicher Charaktere, rhythmisch verdichtet inspirierte das frei zusammengestellte Ensemble zu Höchstleistungen.

Einen nicht unerheblichen Teil zum Erfolg des Festivals trugen auch in diesem Jahr die beiden Rahmenveranstaltungen bei. Während die Autografenschau in der Jagiellonen-Bibliothek – dem Motto gemäß mit Originalmanuskripten von Beethoven, Schubert und Chopin – hunderte von Besuchern in ihren Bann zog, konnte das zweitägige Beethoven-Symposium die Arbeit der vergangenen Jahre fortsetzen und gewonnene Erkenntnisse vertiefen. Für die zahlreich angereisten Wissenschaftler lag der Reiz des Symposiums einmal mehr im Austausch der unterschiedlichen Erfahrungen in Ost- und Westeuropa. So wurden neueste Forschungsergebnisse nicht nur benannt, sondern in einem sehr offenen Gesprächsklima auch anregend und kontrovers diskutiert.

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