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„Mit Hoffen und Harren schafft man keine Tathen“

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Porträt des Komponisten und Naturwissenschaftlers Hans Sommer
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Als Komponist trat Hans Sommer mit Liedern und besonders mit seinen Opern hervor. Da sich aber keine Oper Sommers längere Zeit im Repertoire behaupten konnte, übersah man leicht die Qualität seiner Werke und seinen Beitrag zur Weiterentwicklung der Oper nach Wagner. Die zu Lebzeiten viel gesungenen Lieder verschwanden aus dem Repertoire der Sänger durch die Zeitgebundenheit der ausgewählten Gedichte; die gewichtigen Beiträge im Bereich des Kunstlieds schrieb Hans Sommer zu einer Zeit, als sein Stern bereits im Sinken begriffen war und er keine Protagonisten mehr hatte. Dadurch, dass er seine Opern und Teile seines Liedschaffens im Selbstverlag veröffentlichte und der Verlag Litolff, der mindestens die Hälfte der insgesamt rund 300 Lieder Hans Sommers verlegt hatte, 1940 aufgelöst wurde, stand nicht einmal ein Verlag hinter einer möglichen Wiederbelebung von Werken Hans Sommers.

In der Person Hans Sommers (1837-1922) vereinigen sich scheinbar gegensätzliche Pole wissenschaftlichen und kulturellen Lebens des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts. Er beeinflusste mit seinen mathematischen Arbeiten die Geschichte der Photooptik und erlangte ebenso Bedeutung als erster Direktor der Technischen Hochschule „Carolo Wilhelmina“ in Braunschweig wie als Musikwissenschaftler. Zusammen mit Richard Strauss und Friedrich Rösch legte er in Deutschland den Grundstein zu einem umfassenden musikalischen Urheberrechtsschutz, wie er in dieser Form längst selbstverständlich geworden ist (Internet und Globalisierung im Medienbereich sind allerdings in letzter Zeit wieder zu einer großen Gefahr des diesem Schutzgedanken zugrunde liegenden Rechtsverständnisses geworden). Als Komponist trat Hans Sommer mit Liedern und besonders mit seinen Opern hervor. Da sich aber keine Oper Sommers längere Zeit im Repertoire behaupten konnte, übersah man leicht die Qualität seiner Werke und seinen Beitrag zur Weiterentwicklung der Oper nach Wagner. Die zu Lebzeiten viel gesungenen Lieder verschwanden aus dem Repertoire der Sänger durch die Zeitgebundenheit der ausgewählten Gedichte; die gewichtigen Beiträge im Bereich des Kunstlieds schrieb Hans Sommer zu einer Zeit, als sein Stern bereits im Sinken begriffen war und er keine Protagonisten mehr hatte. Dadurch, dass er seine Opern und Teile seines Liedschaffens im Selbstverlag veröffentlichte und der Verlag Litolff, der mindestens die Hälfte der insgesamt rund 300 Lieder Hans Sommers verlegt hatte, 1940 aufgelöst wurde, stand nicht einmal ein Verlag hinter einer möglichen Wiederbelebung von Werken Hans Sommers. class="bild">

Dazu kam, dass der Nachlass mehrere Jahrzehnte privat, für eine wissenschaftliche Erforschung nicht zugänglich, verwahrt wurde. Nur so ist es zu erklären, dass in den letzten Jahrzehnten praktisch keine Aufführung von Werken Hans Sommers mehr stattgefunden hat und das Wissen über ihn allgemein derart nachhaltig verloren gehen konnte. Die Nachschlagewerke bieten, wenn Hans Sommer überhaupt Erwähnung findet, nur wenig brauchbare Informationen. In den großen Bibliotheken ist von seinen Hauptwerken nichts zu finden. 1939 veröffentlichte Erich Valentin eine Biografie Hans Sommers, in welcher der Autor viel an interessantem Quellenmaterial zugänglich machte, die aber in ihrer Darstellung der Geschehnisse, in erster Linie, wenn musikästhetische Fragen und Musikpolitik berührt sind, dem vorherrschenden Geist des Dritten Reiches zu sehr Tribut zollt. Umfangreichere Veröffentlichungen neueren Datums existieren nicht. Auch die Suche nach Musik Hans Sommers auf Tonträgern aller Art ist fast vergebens. Einzig im Deutschen Musikarchiv, Berlin, wird man fündig: zweieinhalb Minuten auf einer Schellackplatte mit einer fast hundert Jahre alten Aufnahme des Liedes „Ganz Leise“ op. 14/2, gesungen von Leo Slezak.

Eine Lebensbeschreibung

Hans Sommer wurde 1837 in Braunschweig geboren. Während er in Wien und später wieder in Braunschweig in der Familie seines Stiefvaters, des Pioniers in der industriellen Fertigung von Photoapparaten, Peter Friedrich Wilhelm Voigtländer (1812–1878), aufwuchs, war sein ungewöhnlicher Lebensweg nicht vorauszusehen.

Im Gegenteil, es schien vorausbestimmt, dass sein Stiefvater ihm als ältestem Sohn einmal die Führung der Firma anvertrauen würde. Sommer, der vollständig Hans Zincke genannt Sommer hieß – diese Namensform führte erstmals sein Großvater nach einer Adoption 1791 – ließ zwar frühzeitig sein Interesse für Musik erkennen, dennoch schickte ihn Voigtländer im Alter von 14 Jahren auf eine technisch ausgerichtete höhere Schule, das Collegium Carolinum. Mit gleichzeitigen Praktika in der Familienfirma begann für Hans Sommer die Ausbildung zum Photooptiker.

Kurz vor dem Abitur nahm sein Lebensweg die erste Wendung, als der Stiefvater den jüngeren, aber leiblichen Sohn Friedrich Voigtländer (1846–1924) zu seinem Nachfolger bestimmte und Hans Sommer nach Göttingen zum Studium der Mathematik und Physik schickte. Hans Sommer sollte sich nun um eine akademische Karriere bemühen. In seiner freien Zeit widmete sich Sommer auch in Göttingen der Musik. Er trat musikinteressierten Kreisen um den Brahms-Freund Julius Otto Grimm nahe und begann zu komponieren. So begegnete er auch dem fast gleich alten, noch wenig bekannten Johannes Brahms, lernte die Musik Robert Schumanns und vor allem erstmals Werke Richard Wagners kennen.

Berufswunsch „Komponist“

Als junger Dr. phil. kehrte Sommer 1858 nach Braunschweig zurück, wo er sehr bald als Hilfslehrer für Mathematik am Collegium Carolinum zu unterrichten begann. Unter dem Eindruck der Göttinger Erfahrungen hatte er ein Jahr zuvor einen schüchternen Versuch unternommen, bei seinem Stiefvater Gehör für den Berufswunsch Komponist zu finden. Dieser hatte vehement widersprochen und Sommer fügte sich vorerst dem Diktat Voigtländers. Dennoch begab er sich bald darauf in den Kompositionsunterricht des angesehenen Braunschweiger Hofmusikers Wilhelm Meves. Neben der soliden Unterweisung in Satztechnik und Stimmführung, die ihm noch viel später ein ausdrückliches Lob von Franz Liszt einbringen sollte, führte ihn Meves’ besondere Lust an der Erforschung älterer Musik zu seinen späteren musikwissenschaftlichen Arbeiten und Veröffentlichungen. Meves besaß eine für diese Zeit seltene, umfangreiche Sammlung barocker Musikhandschriften und -drucke, die Hans Sommer Meves kurz vor dessen Tod 1871 abkaufte, um die Arbeit daran fortzusetzen. Später in den 90-Jahren des 19. Jahrhunderts, als Sommer neben Richard Strauss, Engelbert Humperdinck, Max von Schillings und Eugen d’Albert als Opernkomponist Anerkennung erlangt hatte, war seine musikwissenschaftliche Bildung und besonders seine Kenntnis der Operngeschichte für einen fortschrittlichen Komponisten seiner Zeit ohne Beispiel.

Am Collegium Carolinum übernahm Hans Sommer nach einigen Jahren eine Professur für Mathematik, ab 1875 zusätzlich das Direktorat. Es begannen Auseinandersetzungen um die Umwandlung der Lehranstalt in eine Technische Hochschule, die Hans Sommer letztlich erfolgreich abschließen konnte. Er gab der Braunschweiger Technischen Universität ihre damalige erste Verfassung und war überdies ein von vielen geschätzter Administrator. Nicht nur die Landesregierung, auch die Studenten der Hochschule traten vehement für sein Verbleiben im Amt des Direktors ein, als er, erst 46 Jahre alt, um vorzeitige Versetzung in den Ruhestand bat. Neben der Lehrtätigkeit hatte Hans Sommer zuvor eine ganze Anzahl höchst interessanter Arbeiten in seinem Fachgebiet Optik veröffentlicht und korrespondierte mit anderen bedeutenden Gelehrten der Fachrichtung wie Steinheil in München und Helmholtz in Berlin. Auch die Firma Voigtländer & Sohn hatte sich ab 1877 seine Kenntnisse zu Nutze gemacht und entwickelte nach Sommers Berechnungen einen neuen Objektiv-Typ, das Euryskop. In einer 1899 von der Firma Carl -Zeiss in Jena veröffentlichten Geschichte des photographischen Objektivs würdigte der Autor Hans Sommer als „letzten der noch selbst rechnenden Optiker“ und widmete ihm ein ganzes Kapitel.

Hans Sommer selbst hatte aber über die Zeit das Interesse an Mathematik und der Anerkennung seiner Leistungen fast völlig verloren und sich, so gut es ging, nebenher weiter mit Musik beschäftigt. Bereits 1865 hatte, als frühe Talentprobe Sommers, die ein wenig nach dem Vorbild Lortzings gearbeitete, komische Oper „Der Nachtwächter“ an der Braunschweiger Oper erfolgreiche Aufführungen erlebt. 1868 trat Sommer dann der von Robert Eitner in Berlin gegründeten Gesellschaft für Musikforschung bei und hielt von nun an, wenn er als Professor oder als Direktor seiner Hochschule Gelegenheit zum öffentlichen Reden erhielt, lieber Vorträge über Musikgeschichte als über sein eigentliches Fachgebiet. Genug Material zu musikwissenschaftlichen Forschungen war durch Meves’ Sammlung bereits in der eigenen Bibliothek vorhanden. Wichtigstes Ergebnis seiner musikwissenschaftlichen Betätigung war die Herausgabe einer Oper Georg Caspar Schürmanns (1672 oder 1673–1751), des bedeutendsten Komponisten am Braunschweiger Hof im frühen 18. Jahrhundert.

Mit einem persönlichen Zusammentreffen 1875 in Braunschweig rückte der bereits vorher verehrte Richard Wagner für Hans Sommer nun mehr in den Mittelpunkt seines musikalischen Interesses. Noch im Verlauf desselben Jahres fuhr Sommer für die Vorproben zur Erstaufführung des Rings der Nibelungen das erste Mal nach Bayreuth und gründete in Braunschweig einen Richard-Wagner-Verein. Im folgenden Jahr 1876 fand er sich zur Festspielzeit in Bayreuth ein. Wiederholt folgte er Einladungen der Familie Wagner in die Villa Wahnfried. Er blieb besonders Cosima Wagner bis zu seinem Tod freundschaftlich verbunden und trat Mitgliedern des Bayreuther Kreises nahe. Er teilte deren aus heutiger Sicht bedenkliche ästhetische Standpunkte hinsichtlich einer nationalen Opernschule, die von Bayreuth auszugehen hätte. Dennoch habe er sich, wie er selbst in seinen Lebenserinnerungen schrieb, „einer blinden Gefolgschaft, in der manche, zum Beispiel Wolzogen (Anm. des Verf.: gemeint ist der Schriftsteller und Herausgeber der Bayreuther Blätter Hans von Wolzogen, 1848–1938) und Humperdinck sich sonnten, enthalten“.

Sommer blieb sein Leben lang im Kern Wagnerianer. Mit der Zeit aber hielt er sich von der Familie Wagner und deren Jüngern in Bayreuth fern. Schuld war sein problematisches Verhältnis zu Richards Sohn Siegfried Wagner, den er als Komponist für unbegabt hielt, was in Bayreuth Ketzerei gleichkam. Im musikästhetischen Streit anlässlich des Erscheinens von Strauss’ Salome 1905, stellte sich Sommer, im Gegensatz zur vorherrschenden Meinung in Bayreuth, öffentlich auf die Seite von Strauss, dem aus dem Umfeld Cosima Wagners mit der Vertonung des Librettos um eine liebestolle jüdische Prinzessin geschmackliche Entgleisung und Verrat am Deutschtum vorgeworfen wurde und dessen Musik als zu erotikgeladen und unerträglich schwülstig kritisiert worden war.

Mit der Genesung von wiederholten, ungewöhnlich starken Migräne-Anfällen, welche die Ausübung einer kontinuierlichen Lehrtätigkeit zuletzt unmöglich gemacht hatten und die auch der Grund für seine vorzeitige Pensionierung waren, begann für Hans Sommer 1884 das herbeigesehnte Leben als freier Komponist. Er vollzog den vollkommenen Bruch mit seiner bisherigen Tätigkeit im Bereich der technischen Wissenschaften. Für den Rest seines Lebens sollte er sich nie mehr mit Mathematik und Optik beschäftigen. Nach monatelangen Kuraufenthalten wieder zu Kräften gekommen, wandte sich Sommer zuerst nach Weimar und wurde kurzzeitig Schüler Franz Liszts, nachdem ihn Liszt ausdrücklich für die vorgelegten Arbeiten – es handelte sich um seine ersten, bereits veröffentlichten Lieder – gelobt hatte. Da ihm das vielseitigere Musikleben einer Großstadt interessanter erschien, mehr Anregung versprach, verließ er aber nach einigen Monaten Weimar wieder und zog nach Berlin. Dort heiratete er 1885 Antonie Thurow, die verwitwete Tochter seines langjährigen Freundes Carl Hill, Uraufführungs-Alberich und -Klingsor der Bayreuther Festspiele 1876 und 1882. Als Liedkomponist machte er sich in der Musikwelt schnell einen Namen. Man sprach von ihm in Wien, in Amsterdam; sogar aus London berichtete George Bernhard Shaw von einem Konzert mit Liedern Hans Sommers. Er galt zeitgenössischen Berichten zufolge hierbei als der erste, „der Wagners Kunstprincip mit Bewusstsein und Methode auf die Lyrik übertrug“. Insofern empfahlen auch die Bayreuther Blätter, Hauspostille der Wagner-Gemeinde, seine Werke als beispielhaft.

Mit der Erfahrung von inzwischen über 120 veröffentlichten Liedern, wagte sich Hans Sommer an sein großes Ziel, neuerlich als Opernkomponist an die Öffentlichkeit zu treten. Am 11. April 1891 hatte die romantische Oper „Lorelei“ in Braunschweig Premiere. Sie wurde von der Kritik über Erwarten gut aufgenommen. Mit einem Schlag zählte der schon 55-Jährige zu den hoffnungsvollen Talenten des nachwagnerischen Musiktheaters. Während der Arbeit an der Lorelei war Sommer wieder nach Weimar zurückgekehrt, wo er sich mit dem etwa zur gleichen Zeit als Kapellmeister des Hoftheaters neu engagierten, fast 30 Jahre jüngeren Richard Strauss anfreundete. Auch Strauss gefiel Sommers erste große Arbeit, sodass er sich am Weimarer Theater für die Annahme der Lorelei stark machte und sie unter seiner Leitung im darauffolgenden Jahr aufgeführt werden konnte. Wenn aus heutiger Sicht die Anlehnung an das Vorbild Richard Wagners zu stark erscheint, so zeigte sich Sommer dennoch mit dieser Arbeit, was die komplizierte Stimmführung, die Deklamation des Textes, die Harmonik und Instrumentation betraf, voll auf der Höhe seiner Zeit und erschien die Arbeit seinen Zeitgenossen überhaupt nicht epigonal, sondern zukunftsweisend. Größter Kritikpunkt waren die dramaturgischen Schwächen der Textvorlage, die dann auch den Grund für die nur geringe Aufführungszahl der Oper darstellten.

Erste Konversationsoper

Dennoch fühlte sich Sommer durch die Anerkennung, die man seiner Musik entgegengebracht hatte, ermutigt, weitere Opernpläne zu verwirklichen. Er entschied sich für die Komposition einer musikalischen Komödie. Als Vorlage der einaktig konzipierten Oper „Saint Foix“ diente ein von Hans von Wolzogen als Opernlibretto bearbeitetes Bühnenstück Alexandre Duvals (1767–1842), das Hans Sommer zuvor selbst aus dem Französischen übersetzt hatte. Richard Strauss schrieb voller Begeisterung in einem Brief an Sommer über die Nachdichtung Wolzogens, sie sei die ideale Vorlage für eine komische Oper, die Charakterzeichnung besonders des Titelhelden vorzüglich, mit etwas Glück könne „ein Pendant zum Barbier von Sevilla und Figaros Hochzeit“ daraus werden. Die Münchener Hofoper bot für die Uraufführung am 31. Oktober 1894 ihr erstes Personal auf, an der Spitze GMD Herrmann Levi, Wagners Parsifal-Dirigent. Die Uraufführung war ein Theaterskandal ersten Ranges. Levi, der die Oper später mehrfach ausdrücklich lobte, äußerte sich beschämt über das Münchener Publikum. Die Verrisse der Pressevertreter, die für die Premiere aus ganz Deutschland angereist waren, waren mehrheitlich verheerend. Die Oper wurde zwar im darauffolgenden Jahr in exemplarischen Aufführungen in Weimar weitgehend rehabilitiert, dennoch verschwand sie danach erst einmal von den Bühnen. Auch Strauss, der sich wiederholt für die Oper einsetzte, und Max von Schillings Engagement aus dem Jahr 1912, als er den Saint Foix in Stuttgart dirigierte, änderten daran letztlich nichts mehr.

Der Einakter war zu seiner Entstehungszeit ein fortschrittliches Experiment, was auch die Vorbehalte des Premierenpublikums gegenüber dem Werk erklärt. Sommer hatte versucht, auf sinfonischer Grundlage die Sänger größtenteils textbezogen frei deklamieren zu lassen, legte gleichsam die einzelnen Stimmen bei zum Teil lebhafter Gesprächsführung wie feines Gewebe über das leicht und durchsichtig gehaltene Orchester. Die motivische Arbeit wurde ganz ins Orchester verlegt. Geschlossene Formen gab es kaum noch. Folgerichtig sprach er auch in seinen Lebenserinnerungen vom Typus einer „Konversationsoper“. In Deutschland war dieser Stil einer heiteren Oper vollkommen neu, in gewisser Hinsicht ein Pendant zu Verdis ein Jahr zuvor uraufgeführtem Falstaff, den Sommer selbst jedoch erst nach Beendigung der eigenen Arbeit im Frühjahr 1894 durch eine Aufführung in Weimar kennen lernte.

Im Grunde war der Misserfolg des Saint Foix, mochte er auch nicht gerecht sein, schon der Genickbruch für den damals gerade aufstrebenden Opernkomponisten. Galt er nach der Lorelei vielen trotz des fortgeschrittenen Alters noch als Hoffnungsträger für die Weiterentwicklung der deutschen Oper nach Wagner, übertrug man diese erdrückende Last der Erwartungen wegen des sich abzeichnenden überraschenden Erfolgs von Hänsel und Gretel lieber auf Engelbert Humperdinck, der aber mit seinen darauffolgenden Opern trotz teilweise großer Anfangserfolge im Großen und Ganzen ebenso glücklos blieb. Sommer blieb die Rolle des Außenseiters, gegen die er sich nie wehrte. Niemals hätte er künstlerische Überzeugungen zugunsten des Bühnenerfolgs geopfert – darin fand er übrigens kein Verständnis bei Strauss, für den ein gewisser Premierenerfolg ein wichtiger Gradmesser für die Beurteilung der künstlerischen Qualität eines Bühnenwerkes war. Sommers Antipode jener Zeit war denn auch der Komponist der Oper Tiefland, Eugen d’Albert, der, um Erfolg zu haben, Modeströmungen vom Verismus bis zu zeitgenössischen amerikanischen Einflüssen (Jazz) nachging. „Ich bin kein Modekomponist wie d’Albert und will es nicht sein“, äußerte Sommer, wenn die Rede auf d’Albert kam.

Entwurf einer Literaturoper

Hans Sommers erste Oper nach dem Misserfolg des Saint Foix, „Der Meermann“, die 1896 ihre Erstaufführung erlebte, brachte ihm mehr Zustimmung beim Publikum – es fanden Aufführungen unter anderem in Amsterdam statt –, er begab sich aber wieder zu weit in das Fahrwasser Wagners. Die Arbeit daran war im Grunde vertane Zeit. Mit der Rückkehr in seine Heimatstadt Braunschweig, im Jahr 1898, begann für Sommer die Zusammenarbeit mit dem ihm von Strauss empfohlenen Dichter Eberhard König. In zahlreichen Briefen diskutierte er mit König das ideale Verhältnis von Dichtung und Musik in der Oper, ein Thema, an dem Hans Sommer schon in der Zeit der Zusammenarbeit mit Hans von Wolzogen starkes Interesse zeigte. Als Naturwissenschaftler an analytisches Denken gewöhnt, beschäftigte er sich als Musiker ausgiebig mit theoretischen Fragestellungen. „Wir müssen vom ‚Libretto’ erlöst werden,“ so benannte Eberhard König in einem Brief ihr gemeinsames Credo, „aber das Ideal ist mir selbst der Dichterkomponist in einer Person noch nicht, sondern der musikempfindende, wirklich ergänzungsbedürftige Dichter vereint mit dem selbstständig schaffenden Musiker; ein Bund bei dem das dritte, das Werk alles ist, einem jeden der beiden seine werte Person und die persönlichen Ansprüche, die er auf seinen Anteil am Gemeinsamen begründet, nichts.“

Bei ihrer ersten gemeinsamen Arbeit „Rübezahl“ wurde der Ausdruck ‚Oper’ im Zusammenhang mit ihrem Werk mit Absicht vermieden. Nach dem Sagenstoff um den Berggeist aus dem Riesengebirge, der in dieser „Dichtung mit Musik“ eine Umdeutung in ein volkstümliches Drama um Vaterliebe, Machtmissbrauch und Aufruhr eines Volkes gegen seinen Tyrannen erfuhr, plante schon Gustav Mahler um 1883 eine Vertonung. Bei der 1904 erfolgten Uraufführung in Braunschweig brachte man dem Werk von Kritikerseite großes Interesse entgegen. Auch Richard Strauss zeigte sich begeistert, „besonders der II. Akt (sei) famos, sehr lebendig und bühnenwirksam.“ Er versprach, den Rübezahl zu dirigieren. Dass die Oper daraufhin auch in Berlin angenommen wurde, lag aber weniger an Strauss, als daran, dass in dieser Zeit die Berliner Hofoper unter Druck geriet. Im Zuge eines inzwischen in ganz Europa verbreiteten, übersteigerten Nationalismus wurde den Verantwortlichen an den Theatern vorgeworfen, einheimische Komponisten zugunsten der Italiener und Franzosen, der sogenannten „Welschen“, zu vernachlässigen. Einzige rühmliche Ausnahme seien die zahlreichen Aufführungen von Opern Richard Wagners. Als Schlagwort diente dabei die „leidige Ausländerei“, die die Intendanten befallen habe, der Einhalt zu gebieten sei. Unredlich in der Beweisführung wurde ambitionierte deutsche Musik per se als anspruchsvoll hingestellt. Ein Mangel an musikalischem Geschmacksempfinden sei mithin die Bevorzugung ausländischer Opern und eine Anbiederung an den Massengeschmack. Nachdem der Auftrag zur Komposition einer deutschen Nationaloper sogar von Kaiser Wilhelm persönlich an den Italiener (!) Leoncavallo gegangen war, sein daraufhin entstandenes Werk „Roland“ von Berlin aber sehr enttäuschend ausfiel, entschloss sich der Intendant von Hülsen, den Rübezahl als vielversprechendste deutsche Oper der vorherigen Saison auf den Spielplan zu setzen.

Der Kritik an seiner Spielplangestaltung sollte so die Spitze genommen werden. Richard Strauss übernahm, wie angekündigt, die musikalische Leitung. Zusammen mit Sommer hoffte er auf erfolgreiche Aufführungen, die dem fast 70-jährigen Opernkomponisten Hans Sommer zu auch in seinen Augen längst verdienter Aufmerksamkeit verhelfen sollten. Sommer konnte nichts für die Umstände der Annahme seines Werks in Berlin. Unter den Voraussetzungen war der Rübezahl bei von Hülsen aber wenig beliebt und erschien nur in einer von ihm selbst stark gekürzten Fassung, auch Strauss konnte daran nichts ändern. Ein durchschlagender Erfolg wollte sich so nicht einstellen. Im Gegensatz dazu erlebte die Oper in ihrer vollständigen Fassung nur wenig später glanzvolle Aufführungen wiederum in Weimar, konnte sich dann aber, bedingt durch die mäßig erfolgreichen Aufführungen in Berlin, wie auch Sommers übrige Bühnenwerke nicht lange halten. Dessen ungeachtet empfahl Strauss den Rübezahl ebenso wie die Lorelei in einem als künstlerisches Testament gedachten Brief an Karl Böhm noch 1945 zur Aufführung. Insgesamt hinterließ Hans Sommer bei seinem Tod zehn Opern sowie eine vollständige Bühnenmusik zum Schloss der Herzen, einer Dichtung Hans von Wolzogens.

Nachdem Hans Sommers letzte Oper Der Waldschratt 1912 ihre Uraufführung erlebt, aber nur noch begrenzt Aufmerksamkeit erregt hatte, wurde es zunehmend stiller um den nun fast 80-Jährigen. Seine Frau war bereits 1904 gestorben. Er hatte keine Lust mehr, um eine allgemeine Anerkennung als Künstler noch zu kämpfen, sondern hoffte auf zukünftige Generationen, die sich seiner Musik erinnern würden. Gustav Mahler hatte ihn in dieser Hoffnung bestärkt, es würde ihn „sehr freuen“, schrieb er im Februar 1907 aus Wien, „für die Aufführung eines oder von anderen Ihrer Werke den günstigen Zeitpunkt gekommen zu sehen. Leider ist hier die Geschmacksrichtung noch eine derartige, dass bei der Eigenart Ihrer Werke ein entsprechender Erfolg, der doch sowohl von Ihnen als auch von mir gewünscht werden muss, kaum zu erwarten ist und es scheint mir daher besser, abzuwarten, bis nach etwa eingetretener Änderung der Verhältnisse, ein Erfolg mit Wahrscheinlichkeit vorausgesehen werden kann.“

Doch diese Art der Veränderung trat nicht mehr ein. Stattdessen begann eine musikalische Revolution, die die romantische Empfindungswelt des 19. Jahrhunderts, in der Hans Sommer als Generationsgenosse Brahms’ und Tschaikowskys zu Hause war, zum Anachronismus werden ließ. In den letzten Lebensjahren widmete sich Hans Sommer noch einmal vornehmlich dem Liedschaffen, und es entstanden erste Goethe-Vertonungen. Insgesamt waren es 23 Lieder, die er größtenteils auch instrumentierte und die in der souveränen Beherrschung der angewendeten Mittel zu den werthaltigsten Schöpfungen Sommers gehören. 1922 starb der vielseitig begabte, dabei immer mit Bescheidenheit, Integrität und Vornehmheit auftretende Sommer an den Folgen eines häuslichen Sturzes. Es kondolierten seine ihn überlebenden Weggefährten von einst: Richard Strauss, Hans Pfitzner, Max von Schillings und Eugen d’Albert. Kurz vor seinem Tod war er noch mit der Wahl zum Auswärtigen Mitglied der Akademie der Künste in Berlin geehrt worden. Sommer war außerdem zeitweilig Mitglied im Vorstand des von Franz Liszt gegründeten Allgemeinen Deutschen-Musik-Vereins, desgleichen im Allgemeinen Richard-Wagner-Verein und im Patronatsverein der Bayreuther Festspiele.

In den Niederlanden, wo er außerhalb Deutschlands das größte Ansehen genoss, war er Ehrenmitglied der Gesellschaft zur Förderung der Tonkunst sowie der Gesellschaft für Musikgeschichte.

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