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Mit sich selbst in Diskussion kommen

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Zur Situation der neuen Musik an den Musikhochschulen Düsseldorf und Köln
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Als ob sie sich abgesprochen hätten. Zur gleichen Zeit am gleichen Strang gezogen, dieselbe Weiche gestellt, die gleiche Idee gehabt? Stand und Stellenwert der neuen Musik im Allgemeinen, der Komponisten-Ausbildung im Besonderen an den Hochschulen in Düsseldorf und Köln bewegt Chronisten zu durchaus erfreulichen Zwischenmeldungen: Im Westen manch Neues in Sachen neue Musik.

In beiden Fällen hat die hochschulinterne Aufwertung der neuen Musik mit Personen zu tun. Damit aber mit dem sprichwörtlich frischen Wind, der mit Neuberufungen einhergeht oder einhergehen sollte. Hinzukommen in beiden Fällen institutionelle Innovationen. Es bewegt sich was.

Düsseldorf: Prinzip Sauerteig

Seit fünf Jahren ist das Epizentrum der Erneuerung im Orchester der Robert Schumann Hochschule auszumachen. Dass Rüdiger Bohn, als er im Oktober 2005 auf die vakante Dirigierprofessur berufen wurde, umstandslos Helmut Lachenmanns „Mouvement: vor der Erstarrung ...“ aufs Programm gesetzt hat, war ein Zeichen und eine Botschaft. Beides hat man, wie sich heute zeigt, verstanden. Seitdem steht das klassisch-romantische Repertoire, zuletzt etwa die Sechste Mahler und Schumanns Vierte in der Erstfassung neben dem zeitgenössischen Komponieren. So soll es sein, so muss es sein, sagt Bohn. Eben: Mouvement. Zum tieferen Verständnis setzt er auf Workshops, zuletzt mit Toshio Hosokawa, Marco Stroppa, Youngi Pagh-Paan. Immerhin – selbst ein vielbeschäftigter Großkomponist wie Wolfgang Rihm konnte für eine weitere Workshoprunde gewonnen werden. Ferner soll die Kooperation mit dem Kölner Ensemble musikFabrik die Vermittlung zeitgenössischer Spiel­tech­niken (endlich auch) an der Düsseldorfer Hochschule etablieren. Die Studierenden sollen sie kennen – nicht nur vom Hörensagen.

Es ist das Sauerteigprinzip, dem man in Düsseldorf folgt, was Manfred Trojahn, der die Kompositionsprofessur an der RSH wahrnimmt, anerkennend hervorhebt. „Der stellenwert der neuen Musik an der RSH hat sich insbesondere seit der Berufung von Rüdiger Bohn bemerkenswert verstärkt.“ Durch die Orchester- und umfassende Ensemblearbeit werde, so Trojahn, „die Beschäftigung mit neuer Musik in alle Klassen hineingetragen und kann von zahlreichen Studenten genutzt werden“. Man schreibt nichts vor, freilich auch keine „Spezialisierung“, der Trojahn generell „skeptisch“ gegenübersteht – aber man zeigt, worauf es ankommt. Als Reaktions­beschleuniger fungieren Minifestivals wie die „Tage neuer Koreanischer Musik“ oder die hochschulinterne „Lange Nacht der neuen Musik“.
Was die „Studienrichtung Komposition“ angeht, hat man sich mit dem im Mai diesen Jahres gegründeten „Institut für Komposition und Musiktheorie“ ein Instrument geschaffen, das zu einem Bachelor-Abschluss führt. Ein Master-Studiengang ist geplant. Nüchterner, illusionsloser Realismus – so ließe sich besagte Instituts-Gründung wie auch die Komponisten-Ausbildung verstehen, zumindest wenn man Manfred Trojahn folgt, dessen Handschrift das Institut trägt: „Am beginn meiner Lehrtätigkeit war das Kompositionsstudium in keiner Weise geregelt. es wurde mit einem Beuys’schen Freiheitsbegriff kokettiert, der sich auch an der Kunstakademie schon verbraucht hatte. … die damals schon in einem Institut zusammengefassten Fächer der Musiktheorie hatten mit der Komposition keine Verbindung und zunächst war es eine primär soziale Überlegung, die mich eine Annäherung an die Theorieabteilung suchen ließ.“ Gedacht hat Trojahn dabei nicht an die „Überflieger“ unter den Absolventen, sondern an diejenigen, die sich „nicht in der Praxis durchsetzen“ können. Die sollten dann wenigstens einen akademischen Abschluss in der Tasche haben.

Mit Hans Peter Reutter und Frank Zabel bietet das Institut für den Spagat Komposition/Musiktheorie eine Doppelspitze auf, die ihrerseits in die Ausbildungs­prozesse einwirken soll – mittels Teamteaching in den Instrumentalklassen etwa. Auch hier ist es das Ziel, dem Verständnis für neue Schreibweisen aufzuhelfen, was auch zur Verpflichtung einer renommierten Künstlerpersönlichkeit wie Jose Maria Sanchéz-Verdú als Kompositionslehrer geführt hat. „Bündeln“, „Fokussieren“ nennt man das in Düsseldorf – und „Interessieren“, ließe sich hinzufügen. Etwa indem die Instrumentalklassen via „Lange Nacht der neuen Musik“ („Leistungsschau“, Trojahn) zum Mitziehen gebracht werden oder indem man Partnerschaften mit Kompositionsklassen anderer Hochschulen eingeht. Aktuell im Gespräch sind Hamburg, München, Maastricht.
www.rsh-duesseldorf.de

Köln: Mutterdisziplin Komposition

Ist das Düsseldorfer Institut ein Mai-Kind, so hat die Kölner Hochschule für Musik und Tanz im vergangenen September nachgezogen und ein „Institut für Neue Musik“ aus der Taufe gehoben – ganz klassisch mit Festakt, Festrede, Festkonzert. Wobei man als Außenstehender eigentlich immer dachte, dass eine Kölner Hochschule ein solches Institut längst ihr Eigen nennen würde. Tat sie aber nicht. Erst jetzt hat sie es tatsächlich, freut sich daran und knüpft hohe Erwartungen an dasselbe. „Komposition ist die Mutterdisziplin einer Musikhochschule“, so die Leittafel des 2009 berufenen Rektors Reiner Schuhenn, mit dem so etwas wie Aufbruchs­stimmung eingekehrt ist. Neuemusikfreier Hochschulalltag? Das war einmal. „Es muss jeder Studierender mit der Idee von Musikschaffen, von Erfindung von Musik einmal in Verbindung getreten sein, sei es als Instrumentalist oder als Teilnehmer eines Analyseseminars. Wenn er seinen Studienplan liest, wird er feststellen, dass er sich verpflichtend mit neuer Musik auseinandersetzen muss.“ Der Elan ist ebenso unüberhörbar wie die Botschaft, erst gar keine neuen Ghettos, elfenbeinerne Neue-Musik-Türme zuzulassen. Denn, da ist sich Schuhenn sicher, die Folge derartiger „Mouvement“-Verweigerung wäre „Erstarrung“. „Wo die Komposition, die Neue Musik nicht im Zentrum einer Hochschulausbildung steht, stellt sich verhängnisvollerweise eine Art retrospektiver Konservatoriumsbetrieb ein.“

Auch dafür steht die Gründung eines „Instituts für Neue Musik“ mit Bachelor- und Master-Abschlüssen in Komposition bei dreigeteiltem Curriculum in Elektronik-, Instrumentalkomposition und Komposition/Tonsatz respektive Musiktheorie. Vor allem aber soll nun Schluss sein mit nach außen abgeschotteten Kompositions­klassen. Tatsächlich hatte eine der größten Musikausbildungsstätten Europas in den letzten Jahren ausgerechnet dort an Boden verloren, wo sie über Jahrzehnte ihren Nimbus begründet hatte. Zimmermann, Stockhausen, Henze, Kagel hatten mitgeholfen, Köln in eine (so die lokalpatriotische Diktion) „Welthauptstadt der Neuen Musik“ zu verwandeln. Nur eben hatte der Langzeit-Magnet für Studierende aus aller Welt zuletzt viel von seiner Anziehungskraft eingebüßt. Allein durch Emeritierung waren in jüngster Zeit gleich vier Professuren (Johannes Fritsch, York Höller, Hans-Ulrich Humpert, Krzysztof Meyer) frei geworden, wobei manche Klasse bei arg geschwundenem Schülerbestand zuletzt mehr oder weniger vor sich hindümpelte. Hinzu kam eine unter dem Vorgängerrektorat gegenüber der neuen Musik (vorsichtig formuliert) arg reservierte Ausschreibungs- und Berufungspolitik.

Jetzt, unter dem Rektorat Schuhenn, soll nun alles anders, alles neu werden. Dabei ist ein Kölner „Institut für Neue Musik“ eine alte Idee. Der jüngst verstorbene Johannes Fritsch hatte sie vor über drei Jahrzehnten aus Kalifornien mitgebracht und zur Realisierung empfohlen. Möglich gemacht hat sie erst der nun eingetretene Generationenwechsel. Hier, stichwortartig die Chronik der Ereignisse: 2007 Wiederbesetzung des Lehrstuhls für elektronische Komposition mit Michael Beil, in Personalunion Leiter des einst von Herbert Eimert begründeten elektronischen Studios der Hochschule. Zum vergangenen Winter­semester dann ist es Johannes Schöllhorn, der auf die zweite Kompositions­professur berufen wird und der nun auch die künstlerische Leitung des neuen „Instituts für Neue Musik“ wahrnimmt. Schöllhorn, Jahrgang 1962, Schüler von Klaus Huber, Emmanuel Nunes und Mathias Spahlinger, ist von Hannover nach Köln gekommen, um hier seine Handschrift einzutragen: „Ich glaube, die Gründung eines Instituts für Neue Musik hat damit zu tun, dass diese Musik einen Ort braucht, wo sie mit sich selbst in Diskussion kommen kann, um einfach auch eine andere Perspektive hereinzubringen.“ – An diese „andere“ Perspektive knüpft sich Schöllhorns Botschaft. Für ihn ist es Zeit, den latenten Eurozentrismus in der neuen Musik zu Grabe zu tragen. Immerhin: 14 von 16 Studierenden seiner nahezu komplett von Hannover nach Köln gewechselten Kompositionsklasse sind ausländischer Herkunft, heißen Azuma, Chou, Inamori, Lim, Quintero, Tsukamoto, He Zhu. Anlass für das Dozententeam, sich auch ästhetisch vom alten Europa-Primat zu verabschieden, wobei Schöllhorn dabei seinen Kollegen Michael Beil, Markus Hechtle, David Smeyers, Barbara Maurer, Paulo Alvares aus dem Herzen spricht. „Also wir können nicht sagen: Hier werden nur die zwölf schwarzen und weißen Tasten benutzt. Ich glaube, dass unser mitteleuropäischer Musikbegriff sich nicht einfach so als einziger darstellen lässt. Es gibt einige europäische Kompositionsmethoden, die sehr für sich in Anspruch genommen hatten, die einzigen und richtigen zu sein. Und das wollen wir nicht mehr. “
http://ifnm.hfmt-koeln.de

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