Hauptrubrik
Banner Full-Size

Mittel kultureller Integration

Untertitel
Der Musikpädagoge und Kantor Jizchak Avni erinnert sich
Publikationsdatum
Body

Jizchak Avni: Von Prag nach Jerusalem. Ein Bericht über mein Leben und Wirken, hrsg. v. Johannes Ahlmeyer. ConBrio Verlagsgesellschaft, Regensburg 2009 (neue wege/nove cesty. Schriftenreihe des Sudetendeutschen Musikinstituts, Bd. 1), 158 S., Abb., Noten, € 14,80, ISBN 978-3-940768-03-2

In Prag, der Stadt der drei Kulturen, führte der Zerfall der Habsburger Monarchie und die Gründung der Tschechischen Republik zu einer Gewichtverschiebung: Deutsch war nun nicht mehr offizielle Amtssprache. Auch die zumeist deutschsprachigen Prager Juden begannen 1918 eine Umorientierung. Die Zionisten unter ihnen gründeten einen Jüdischen Nationalrat, der für die tschechischen Juden kulturelle Eigenständigkeit forderte. Als der 1923 in Prag geborene Harry Steiner aufwuchs, war seine Heimat zu einem Zufluchtsort für politisch und rassisch Verfolgte aus dem Deutschen Reich geworden. In seinem Lebensbericht erinnert er sich an „Flüchtlinge aus den KZ-Lagern“, womit er vermutlich Personen meinte, die nach dem Ende ihrer Haft ins Ausland geflohen waren. Die Begegnung mit ihnen bewog ihn zum Beitritt zur zionistischen Jugend-Alija, die auf ein Leben in Erez Israel vorbereitete. Mit dieser Jugendorganisation wanderte Steiner am 18. März 1939 nach Palästina aus. Er entging damit der Vernichtungsmaschinerie des NS-Staates, der seine übrige Familie zum Opfer fiel.

Für Steiner, der sich nun Jizchak Avni nannte, erwiesen sich in seiner neuen Heimat die Integrationsschwierigkeiten der Juden aus siebzig verschiedenen Ländern größer als erwartet. „Die kulturellen Grundvorstellungen waren unvorstellbar unterschiedlich.“ Ein verbindendes Element, einen „Schmelzofen“, stellte die hebräische Sprache dar. In diversen Kibbuzim war Avni zunächst als Gärtner und später als Chorleiter tätig, so dass er dann auch die Musik als Mittel der Integration einsetzen konnte. Auch weil ihm selbst eine geregelte Ausbildung fehlte, bediente er sich dabei elementarer Mittel, ergänzt durch Tanz und Improvisation. Nachdem er jahrelang von einem richtigen Musikstudium nur hatte träumen können, durfte er es schließlich vierzigjährig an der Rubin-Musikakademie in Jerusalem beginnen und sich dann auch zum Kantor ausbilden lassen. Wie dem als Vorbild bewunderten Martin Buber war ihm ein Einvernehmen zwischen Juden und Arabern wichtig. Ab 1977 suchte Avni den Kontakt zu Deutschland. Auf Vortragsreisen referierte er in deutscher Sprache über den Chassidismus, den Zionismus oder das jiddische Volkslied. In Deutschland entdeckte er Verwandtschaften zwischen der jiddischen Sprache und dem Frankfurter Dialekt und stieß auf die geliebten Wälder, die er in Israel vermisste. Hier traf er auf Dialogwillige wie den westfälischen Pfarrer Johannes Ahlmeyer, welcher Avnis Lebenserinnerungen für den vorliegenden Band sprachlich überarbeitet und kommentiert hat. Interessante Schilderungen, etwa zum Nebeneinander der Kulturen in den Kibbuzim, zu Begegnungen mit hilfsbereiten Arabern oder zur Musik- und Hörerziehung, stehen neben allzu ausführlichen Zitaten aus Dankesbriefen.

Der Erlebnisbericht, der keine literarischen Ansprüche erhebt, wird durch Witze und Anekdoten aufgelockert, enthält aber auch manche rätselhafte Formulierungen, Druckfehler und sachliche Fehler; so fanden die Kämpfe um den Wiener Karl-Marx-Hof nicht 1938, sondern im Februar 1934 statt. Die Erinnerungen werden ergänzt durch zwei Zeittafeln sowie eine Zitatensammlung „Die zionistische Jugendbewegung in der CSR“, die Avni für Vorträge verwendete. Freunde der jiddischen Kultur finden im Anhang vierzehn seiner zahlreichen Lieder, die heute im Sudetendeutschen Musikinstitut in Regensburg aufbewahrt werden.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!