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„Bantu Groove“ von der Kameruner Band Macase in der Frankfurter Brotfabrik 2016. Foto: Susanne van Loon
„Bantu Groove“ von der Kameruner Band Macase in der Frankfurter Brotfabrik 2016. Foto: Susanne van Loon
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Musiknetzwerke in Konfliktregionen aufbauen

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Neues vom Musik-Entwicklungsprojekt „Music In Africa Connects“ · Von Kalin Pashaliev
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Während der afrikanische Kontinent eine unheimliche Vielzahl und Diversität an musikalischen Stilrichtungen, Strömungen und Aktivitäten beheimatet, fehlte es vielerorts bislang an den notwendigen Strukturen, um es Musikern zu ermöglichen, ihren Beruf in angemessener Weise ausüben zu können und den eigenen Lebensunterhalt durch die Musik zu verdienen. Um diese Situation zu verändern, ist die Web-Plattform „Music In Africa“, eine gemeinsame Initiative des Goethe Instituts und der Siemens Stiftung, nach mehreren Jahren der intensiven Vorbereitung nun seit 2015 online.

Mehr als 10.000 Musikerinnen und Musiker, Bands, Chöre und Orchester haben sich in dieser Zeit dort bereits registriert und sich ein Profil angelegt, mit dem sie sich und ihre musikalische Arbeit präsentieren können. Seine Deutschlandpremiere gab das internationale Projekt bei der nmz auf der Frankfurter Musikmesse im April 2016. Dabei sollte es aber nicht bleiben: Die neue musikzeitung will das Thema Afrika weiterhin nicht aus dem Fokus verlieren. Für das Dossier „Music In Africa“ haben wir Autoren vor Ort gebeten, uns ihre Eindrücke vom neuen Projekt MIAConnects von deutschem Außenministerium und Siemens Stiftung zu schildern.

Afrika ist ein Kontinent mit einer einzigartigen Musikgeschichte. Seine unzähligen Ethnien und infolgedessen auch unzähligen musikalischen Stile haben populäre Musik weltweit geprägt. Dass der Blues und später auch der Rock sowie die in der Karibik, in Zentral- und Südamerika beheimatete Musik ihre Wurzeln in den Beats Westafrikas haben, ist weithin bekannt. Auch die zentralen, nördlichen, östlichen und südlichen Regionen des Kontinents haben viel zur Musik rund um den Globus beigesteuert hinsichtlich Ausdruck, Komposition wie auch Notation. Viele im Westen haben versucht, diesen weitgehend unerschlossenen Quell von oftmals undokumentiertem Wissen anzuzapfen, um ihn der Welt in neuem Gewand vorzuführen, oft zum Missfallen vieler afrikanischer Künstler, die es weit mehr begrüßen würden, wenn ihre Kunst an ihrem Ursprungsort gefördert würde, bevor sie exportiert wird, um in New Yorker Lofts oder bei angesagten Partys in Södermalm gehört zu werden.

Aber Afrika hat eine weitere Geschichte zu erzählen, eine von steter politischer Unruhe, die in der Kreativindustrie in ganz Afrika bleibende Spuren hinterlassen hat. Die Probleme, mit denen einige Künstler tagtäglich umgehen müssen – seien es nun aufstrebende oder etablierte Künstler –, ist selbst für Menschen, die sich mit afrikanischer Kulturdynamik auszukennen meinen, schwer vorstellbar. Von politischer und religiöser Zensur in Somalia und Nord-Nigeria bis hin zu Straßenüberfällen im Süd-Sudan – viele afrikanische Musiker haben Schwierigkeiten, ihr Talent und ihre Produkte entsprechend weiterzuentwickeln, um unabhängige Industrien aufbauen zu können, die es schaffen, sich aus dem Morast herausarbeiten.

„Krisengeschüttelte Regionen in Afrika sind schwer zugänglich“, sagt die Projektmanagerin von „Music In Africa Connects“, Carmel Nair. „Radikale Gruppen, Aufstände, Krieg und Terror behindern das wirtschaftliche  Wachstum und vernichten die Existenzgrundlage von Millionen von Menschen. Die Kreativindustrie wurde vielerorts zerstört, dennoch ist Musik omnipräsent, manchmal wird sie im Geheimen aufgeführt.“

Nair gehört einem Team von Kultur-entwickler/-innen an, das im südafrikanischen Johannesburg ansässig ist. Dieses hat sich der Unterstützung von professionellen Musikern auf dem afrikanischen Kontinent verschrieben, gemäß der Vision und Arbeit der gemeinnützigen Stiftung „Music In Africa“. Das jüngste Projekt der Stiftung, „Music In Africa Connects“ – oder „MIAConnects“ – hat sich mit dem Außenministerium der Bundesrepublik Deutschland und der Siemens Stiftung zusammengeschlossen, um Musiksektoren in von Konflikten betroffenen afrikanischen Ländern aufzubauen, darunter Chad, Mali, Niger, Nigeria (Nord), Somalia, Sudan und Süd-Sudan.

Anders als viele europäische und nordamerikanische Plattenfirmenbesitzer, die nach Afrika reisen, um dort zur Freude eines internationalen Pub-likums vergessene Musik zu „entdecken“, sucht MIAConnects nach Wegen, Musiker in den sieben besagten Ländern von einer Basisperspektive aus zu unterstützen. Um dies zu ermöglichen, ist das Projekt Partnerschaften mit lokalen Kulturorganisatio-nen und -zentren eingegangen, um Beratung und Anleitung hinsichtlich der Schritte anzubieten, die gemacht werden müssen, um bleibenden Fortschritt und Veränderung in die Wege zu leiten.

„Das ist ein afrikanisches Projekt von Afrikanern, denen die Entwicklung der afrikanischen Musikindustrie in diesen Ländern am Herzen liegt,“ sagt Nair. „Die einzige Vorschrift, die wir von unseren Partnern in Deutschland bekommen haben, war die Gewährleistung der Sicherheit für alle Beteiligten: unsere Partner vor Ort, die Musiker und alle anderen. ‚Music In Africa‘ war sehr darauf bedacht, grundsätzliche Lösungsentwürfe von lokalen Partnern zu berücksichtigen, die die Bedürfnisse der Musikindustrie im jeweiligen Land erkannten. Entsprechend dieser Bedürfnisse wurden schließlich Pläne zur Projektumsetzung entwickelt.“

Nair, die über eine 30-jährige Erfahrung in Kulturentwicklung verfügt, und ihr relativ kleines Team von etwa sechs Projektmitarbeitern machen zur Umsetzung des Projekts Gebrauch von den diversen vorhandenen Strukturen. Ihr erster Schritt besteht darin, Informationen zu den tatsächlichen Gegebenheiten in den sieben Konfliktländern zutage zu bringen – mit Hilfe des Online-Unternehmens Music In Africa.net, einem Portal, das 2014 gegründet wurde mit dem Ziel, professionelle Musiker auf dem Kontinent zu unterstützen, indem es ihre Profile präsentiert, ihre Erfolgsgeschichten teilt und künstlerischen Austausch fördert. Damit sollte einem Sektor, der jeder Medienaufmerksamkeit und aller Möglichkeiten entbehrt, auf die Beine geholfen werden.

Zu diesem Zweck hat MIAConnects, das in französisch- wie englischsprachigen Ländern Afrikas operiert, zwei Redakteure eingestellt, um die Verbreitung der Informationen in den beteiligten Ländern zu ermöglichen. Diese beiden – einer davon stationiert in Dakar, Senegal, der andere in Lagos, Nigeria – sind dafür zuständig, Autoren mit Artikeln zu beauftragen, die einen Überblick über den Musiksektor ihres jeweiligen Landes geben. Dieser Vorgang alleine, sagt Nair, stellte eine Herausforderung dar, da einige der beauftragten Journalisten die staatliche Zensur fürchten, die eine Beschneidung ihrer Freiheiten nach sich ziehen könnte. Sie sagt, es handle sich um dieselbe Form von Zensur, die auch den Kunstbereich betrifft in vielen der im Projekt eingebundenen Länder.

„Musikorganisationen und Künstler in den Ländern, in denen wir Arbeiten, haben auf die politischen und religiösen Hindernisse aufmerksam gemacht, die sich solchen Projekten wie MIAConnects bekanntlich in den Weg stellen. Dennoch ist es ein wesentliches Ziel des Projekts, diese Organisationen und Künstler darin zu unterstützen, solche Hindernisse zu überwinden, an ihnen vorbei und über sie hinaus zu arbeiten, und in manchen Fällen auch mit ihnen zu arbeiten, um das wirtschaftliche und soziale Wachstum der Musikindustrie in diesen Ländern zu fördern. Es liegt in der Natur der Musik, dass ihre lyrische Komposition Künstlern den Freiraum gibt, ihre Meinungen zu äußern. Künstler wie der Rapper Silver X aus dem Süd-Sudan und Adam Zango aus dem Norden Nigerias werden immer die Grenzen sozialer und politischer Zensur überschreiten.“

Zusätzlich hat MIAConnects im Rahmen seiner Offline-Pläne ein Mobilitätsförderprogramm in diesen sieben Ländern eingeführt, um Musiker bei Tourneen in ihrer Region, in Afrika und in Deutschland zu unterstützen. Die Reiseinfrastruktur in Afrika gehört sicherlich zu der weltweit am wenigsten entwickelten. Inlandsflüge sind mit die teuersten überhaupt. Außerdem müssen große Verspätungen, strenge Visavorschriften und schlechte Straßenzustände in Kauf genommen werden, die den Musikern jede Tournee außerhalb ihrer Heimatstadt nahezu unmöglich machen.

Nair berichtet, die Teilnahme an den Mobilitätsangeboten des Projekts sei mager ausgefallen. „Bei den Gesuchen scheinen sich zweierlei Herausforderungen abzuzeichnen: In gewissen Ländern wie etwa dem Süd-Sudan können die Künstler die Bedingungen für Reisen außerhalb der eigenen Stadt zu anderen Städten und Provinzen nicht erfüllen. Künstler in Juba haben explizit darauf hingewiesen, dass sie aufgrund der Bedrohungen der persönlichen Sicherheit wie etwa Überfällen auf der Nationalstraße ihre Stadt nicht verlassen können. Die häufigsten Schwierigkeiten der Musiker in diesen Ländern haben mit fehlenden Ressourcen und fehlendem Zugang zu Bescheinigungen der Einhaltung von Rechtsvorschriften zu tun. Zudem wird von ihnen verlangt, dass sie die Verbindung zu Veranstaltungsort und Technikverleih bescheinigen können, was zu den weiteren fehlenden Grundlagen zählt.“

Anfang Juni dieses Jahres wurde der 24-jährige Süd-Sudanese und Dancehall-Sänger Emma 47 (bürgerlicher Name: Mabor Abud Mathiang) bei einem Überfall auf der Juba-Nimule-Autobahn von mutmaßlichen Rebellen getötet, nachdem sein Auto von einer raketengetriebenen Granate getroffen wurde. Es ist kein Wunder, dass Musiker im Süd-Sudan Bedenken haben, ihre Städte zu verlassen.

Jenseits der Mobilitätsförderung brauchen viele Musiker in Afrika auch Instrumente und Studioequipment, um ihre Musik aufnehmen zu können. Diese fehlende Insfrastruktur hat dazu geführt, dass die meisten Musiker ihre Länder verlassen, um von den besseren Bedingungen in anderen Ländern, insbesondere Südafrika, den USA, Großbritannien, Deutschland, den Niederlanden und Kanada, profitieren zu können. Aber Nair sagt, diverse andere Grundvoraussetzungen müssen zuerst geschaffen werden, bevor man sich der Frage der Musikproduktion zuwenden kann.

„Während einige Partner Bedarf für eine elementare Musikaufnahmeinfrastruktur anmeldeten, gab ein Partner in Hargeysa in der international nicht anerkannten Republik Somaliland an, sie würden das MIAConnects-Projekt als Gelegenheit nutzen, ein einfaches Aufnahmestudio einzurichten. Unsere Partner erkannten andere, dringlichere Probleme und gingen diese an. Ich führe den Sudan als Beispiel an. Sanktionen wirken sich auf die Finanzierung aus dem Ausland aus; Instrumente einzuführen ist schwierig, weil die Import-Tarife sich auf ganze 150 Prozent belaufen. Auch das Veranstalten von Konzerten erweist sich im Sudan oft als logistisch aufwendig und erfordert, dass für jede Veranstaltung eine spezielle Bewilligung beantragt wird. Veranstaltungen müssen bis 23 Uhr zu Ende sein. Künstlerisches Schaffen ist in der Gesellschaft nicht sehr angesehen, vor allem nicht bei Frauen. Seit den 1960er-Jahren wird es staatlich nicht mehr unterstützt. Die meisten künstlerischen Aktivitäten konzentrieren sich auf drei Städte. Außerhalb dieser urbanen Zentren findet man sehr wenig Aktivität. Studioequipment scheint da vorerst das kleinste Problem unserer Partner zu sein.“

2016 lud die „Music In Africa“-Stiftung 25 Studenten aus Südafrika, Ghana, Senegal, Kenia und Äthiopien zu einem einwöchigen Workshop für Ins-trumentebau- und -reparatur ein, wo ihnen der Bau von drei Instrumenten beigebracht wurde: Marimba (afrikanisches Xylophon), Dulcimer und Umakhweyana (afrikanisches Streichins-trument). Diese Art von Initiative unterstützt die Stiftung bereitwillig und sucht nach Wegen möglicher Umsetzung im Rahmen des MIAConnects-Projekts.

„Unsere MIAConnects-Partner zeigten sich sehr interessiert am Instrumentenbau-Workshop und gaben an, ein solches Projekt gerne in ihrem Land umsetzen zu wollen“, sagt Nair. „An diesem Punkt kann MIAConnects den Einsatz von traditionellen afrikanischen Instrumenten in jedem Land anregen, bei Live-Aufführungen, wie auch in Situationen, wo die ältere Generation ihre Expertise in traditionellen Instrumenten mit jüngeren Musikern teilen kann. Diese Art von Projekt vermittelt auch handwerkliche Kunstfertigkeit an Leute, die dann möglicherweise dieses neu erworbene Können zu ihrem Beruf machen. Bereits vom letztjährigen Workshop gibt es einige Erfolgsgeschichten zu verzeichnen.“

Auf den Außenbetrachter mag das MIAConnects-Projekt der „Music In Africa“-Stiftung sehr ambitioniert wirken, zumal es Musikern in scheinbar unverbesserlichen Situationen zu helfen sucht. Aber Nair glaubt, dass das Projekt die Leben von talentierten Musikern, die es verdienen, gehört zu werden, verändern wird.

„Wir ermutigen immer Leute von überall in der Welt, ungewohnter Musik mit einem offenen Geist zu begegnen. Wir regen auch die Bevölkerung vor Ort an, Veranstaltungen zu besuchen und die Arbeit der Künstler zu unterstützen. Es ist eine wechselseitige Angelegenheit. Die meisten Musiker haben das Ziel, professionell aufgenommen zu werden, vermarktet und von einem Management vertreten zu werden. Wir glauben, dass wir mit unseren Bemühungen diese Wünsche ihrer Erfüllung ein Stück näher bringen“, sagte Nair.

Übersetzung: Barbara Eckle

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