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Musikschule als gemeinwohlorientierte Aufgabe

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Zum Leserbrief von Eric Ridder in der nmz 6/12, Seite 10
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Zugegeben, der Inhalt des Artikels von Herrn Rademacher (nmz 4/12, Seite 22) auf den Herr Ridder sich bezieht, ist mir nicht mehr geläufig, er tut hier aber auch eigentlich kaum noch etwas zur Sache. Vielmehr möchte ich im Folgenden versuchen, aus meiner eigenen Sicht ein paar von den Behauptungen, die Herr Ridder in seinem Beitrag aufstellt, genauer zu betrachten.

 

• „Marketingstudien und andere wissenschaftliche Arbeiten weisen nach, dass die Musikschüler vor allem wohlhabenden Milieus entstammen. 70 bis 80 Prozent der Musikschüler an öffentlich geförderten Schulen, die Nachweislich aus der Ober- und oberen Mittelschicht kommen, werden auch ohne besondere Begabung aus Steuermitteln gefördert, während begabte Kinder und Jugendliche aus den unteren und mittleren Schichten noch nicht einmal die Chance erhalten, sich um geförderte oder Freiplätze in der Musikschule bewerben [zu] können (...)“

Hier wäre es schön, wenn Herr Ridder mal mindestens eine, oder besser noch mehrere der ihm offenbar bekannten Studien nennen würde, die von ihm genannte Zahl von 70 bis 80 Prozent gutsituierter kann ich in meiner Klasse an der Musikschule Bremen nicht wiederfinden.

Als nächstes wäre es dann interessant, aufgrund welcher Informationen Herr Ridder zu der Behauptung kommt, dass Kinder und Jugendliche aus den unteren und mittleren Schichten noch nicht einmal die Chance auf einen subventionierten Platz in einer öffentlichen Musikschule hätten. An der Musikschule Bremen ist das ziemlich einfach: Sie melden sich an, erhalten bei entsprechendem Nachweis (z.B. Hartz IV) einen Rabatt von bis zu 70 Prozent, und sobald ein Platz frei, ist wird er vergeben. 

Das Procedere ist für jeden gleich, egal ob es sich um das Kind eines Großindustriellen oder um das Kind eines Hartz IV-Empfängers handelt, es gibt keine Präferenzen, hier herrscht also Chancengleichheit. Die Konkurrenz um Plätze ist hier nicht anders als bei den allgemeinbildenden Schulen. Würden nur Kinder aus ärmlichen Verhältnissen Zugang zu einer öffentlichen Musikschule erhalten, wäre eine heterogene Schülerschaft nicht mehr gegeben, das kann nicht im Sinne dieser Gesellschaft sein!

• „Wenn eine Musikschule in öffentlicher Trägerschaft zu ihren vielfältigen Angeboten auch rein individuelles Freizeitverhalten unterstützt und auch jene Kinder und Jugendliche in den (hoch) subventionierten Einzel- oder Gruppenunterricht aufnimmt, die sich mit mehr oder minder großer Anstrengung für in der Regel wenige Jahre mit einem Instrument beschäftigen wollen, dann kann man schwerlich von der Erfüllung öffentlicher und gemeinwohlorientierter Aufgaben sprechen.“

Zunächst einmal ist alles, was in einer Musikschule passiert, als Freizeitbeschäftigung einzuordnen, niemand ist verpflichtet, eine Musikschule zu besuchen (wie es sich bei JeKi und ähnlichen Projekten in Schulen verhält, ist mir allerdings nicht geläufig). Das sich der Besuch dennoch lohnt und empfehlenswert ist, weil das Musizieren den Menschen in hohem Maße bilden kann, ist hier nicht Gegenstand der Betrachtung.

Zudem übersieht Herr Ridder meiner Meinung nach hier die Tatsache, dass doch gerade im Einzelunterricht das Potenzial steckt, Kinder aus schwierigen Verhältnissen individuell zu fördern. Schwierige Verhältnisse hängen im übrigen nicht immer zwangsläufig mit dem Einkommen der Eltern zusammen! Hier liegt schon die Erfüllung einer öffentlichen und gemeinwohlorientierten Aufgabe, die Herr Ridder negiert. 

Ich habe Unterrichtsstunden erlebt, wo das Instrument wegen schulischer oder familiärer Probleme zur Nebensache geriet, und die sich in dem sensiblen Schüler-Instrumentallehrer-Verhältnis entwickelnden Gespräche hatten zum Teil erheblichen positiven Effekt. In einer Großgruppe in Schulklassenstärke wäre das nicht möglich gewesen, aber gerade hierin sieht Herr Ridder offenbar die einzige Daseinsberechtigung für Subventionen […]. Und dass manch Schüler den Unterricht mit nur mäßigem Engagement besucht, gilt für Kinder aus allen Schichten. Nicht zuletzt ist das Engagement der Schüler auch Schwankungen unterworfen und ich würde nie auf die Idee kommen, einem Schüler während einer Durststrecke die Kündigung nahezulegen, weil er Subventionsgelder verschleudert.  

In meinen Augen ist es wichtig, gerade Kinder für das Musikmachen zu begeistern und auf diese Weise in vielfältiger Hinsicht zu ihrer Bildung beizutragen. Genau diese – gemeinwohlorientierte – Aufgabe übernimmt die Musikschule, wenn sie Kinder (aus bildungsfernen Schichten) zu sich lockt, die vielleicht im ersten Moment kaum Bezug dazu haben und erst später zünden. Diese Aufgabe wird dann nicht mehr erfüllt, wenn man jene „Freizeitler“, die nicht sofort Engagement zeigen, außen vor lässt, wie Herr Ridder dies […] fordert.

Sollte es aufgrund der Erfüllung dieser Aufgabe zu Platzproblemen kommen, müssten die Musikschulen ausgebaut werden, was die derzeitige Verteilung der Gelder wohl leider unmöglich macht.

• „Die Fraktionen im Kreistag des Landkreises Osterholz (bei Bremen) haben bereits ihre Konsequenzen (...) gezogen: Die örtliche VdM-Musikschule muss bis 2014 den Einzelunterricht kostendeckend ohne Zuschüsse anbieten und gleichzeitig mehr Geld für Sozialnachlässe zurücklegen. Erst dann wird ihr eine weitere Erhöhung der Zuschüsse gewährt.“

Ich kenne die Vorgänge in Osterholz nicht im Einzelnen, aber basierend auf dem obigen Zitat hat die Entscheidung des Kreistages doch zur Folge, dass Einzelunterricht nur noch etwas für die fiskale Oberklasse ist! Denn Sozialnachlässe bekommt man doch nur mit entsprechenden Nachweisen, und all jene Familien aus der Mittelschicht, die ohne Sozialleistungen über die Runden kommen und trotzdem nicht im Geld schwimmen, können ihrem Nachwuchs aufgrund der hohen Preise keinen Einzelunterricht finanzieren, auch wenn das Kind begabt ist und schon allein deshalb der Einzelunterricht empfehlenswert wäre. Und dann haben wir der Zweiklassengesellschaft tatsächlich Vorschub geleistet, was Herr Ridder eingangs kritisierte!

Arvid Graeber, Bremen

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