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Neue Medien und die Vermittlung Neuer Musik

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Ein Beitrag von Thorsten Wagner
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Die Vermittlung Neuer Musik im Musikunterricht ist eine komplexe Aufgabe, die aufgrund der Differenz zwischen der Neuen Musik und der Lebenswelt der Jugendlichen problematisch erscheinen mag. Gerade in der mit dem vierten Schuljahr beginnenden Phase, in der die Popmusik den Musikgeschmack zu dominieren beginnt, kann die Neue Musik in ihren radikalen Erscheinungsformen Unverständnis auslösen oder gar zu einer schroffen Ablehnung führen.

Diese Situation gilt es zu vermeiden, es gilt, einen als positiv empfundenen Lebensweltbezug herzustellen. In diesem Zusammenhang verdient die Nutzung von Medien, die im Alltag der Schüler eine große Rolle spielen, besondere Beachtung. So können produktionsbedingte Analogien zwischen populärer elektronischer Musik und elektronischer Neuer Musik durch den Gebrauch diverser Musiksoftware aufgezeigt werden, Smartphones oder auch Tablet-PCs mit den entsprechenden „Apps“ können auf unkonventionelle Weise eingesetzt werden. Auch die Arbeit mit Samples oder das handelnde Nachdenken über den Parameter Klang beziehungsweise „Sound“ können eine wichtige Rolle spielen.

Zumindest teilweise kann im Unterricht an die Erfahrungen angeknüpft werden, die die Schüler im Umgang mit Neuen Medien wie Computer, Sequenzer-Programmen, Smartphone oder iPad schon gemacht haben. Ausgehend von den schon vorhandenen Kompetenzen ist es möglich, im Rahmen des Unterrichts mit einer Reihe von freeware- oder Low-Budget-Programmen zu arbeiten oder auch mit professionellen Programmen wie Logic, Cubase, Ableton Live, Max for Live oder audiosculpt, deren Nutzung allerdings zum Teil wesentlich komplexer ist. Erforscht und für die eigene Arbeit genutzt werden können ebenfalls die ergiebigen und immer weiter wachsenden Sound-Libraries im Internet im Sinne einer globalisierten kulturellen Bildung. Insofern orientiert sich der Einsatz von Neuen Medien an den Produktionsbedingungen der Musik der diversen Jugendkulturen; diese nachvollziehend oder übersteigend können kreative Potentiale auf eine auch im konstruktivistischen Sinne konsequente Weise freigesetzt werden.

Der Einsatz Neuer Medien bei der Vermittlung Neuer Musik im Musikunterricht ist durchaus kein neues Phänomen, ist doch zum Beispiel die Produktion von Soundscapes mithilfe diverser Audioprogramme seit einigen Jahren Bestandteil musikpädagogischer Arbeit. Außerhalb der Schule widmen sich Symposien dem Thema oder werden Projekte initiiert, in denen Jugendliche, von Klangkünstlern und Pädagogen angeleitet, eigene Arbeiten öffentlich präsentieren. Ein umfassendes methodisch-didaktisches Konzept für die Erstellung von Soundscape-Kompositionen stammt von Leigh Landy aus dem Jahr 2012. Ausgehend von der Analyse von Klängen und Geräuschen, die während eines Soundwalks oder an einem bestimmten Ort gefunden wurden, entwirft Landy einen Weg zur Komposition neuer (elektronischer) Musik für 11- bis 14-jährige Schüler. Von Landy erwähnte Werkzeuge sind diverse Musikprogramme zur Audioaufnahme beziehungsweise -bearbeitung sowie zur Generierung synthetischer Klänge wie das vom NoTAM (Norwegian network for Technology, Acoustics and Music) entwickelte „DSP,“ auf dessen Homepage neben der kostenfreien Software eine Reihe interessanter Tutorien zu diversen Aspekten der Arbeit mit elektroakustischer Musik wie auch zu ihrer Historie zu finden sind. Landy selbst entwickelte mit seinen Mitarbeitern an der De Montfort University in Leicester, GB, im Rahmen eines internationalen Forschungsprojektes das Programm „Compose With Sound“. „DSP“ wie auch „Compose With Sound“ zeichnen sich vor allem durch ihre auch für Anfänger benutzerfreundliche Gestaltung aus. Erwähnenswert in diesem Zusammenhang erscheint ebenfalls die von Iannis Xenakis‘ „UPIC“ inspirierte Software „HighC“, die Klanggenerierung und -modifikation alleine mit grafischen Mitteln erlaubt und sich gerade durch ihren intuitiven Zugriff im musikpädagogischen Kontext als geeignet erweist.

Eine weitere Möglichkeit, den Computer in die Vermittlung Neuer Musik einzubeziehen, besteht in der produktionsorientierten Auseinandersetzung mit neuer elektronischer (Popular-)Musik, zu der Gruppen und Musiker wie Mouse on Mars, Anders Trentemøller, Roni Size oder Autechre zählen. Neue elektronische Popmusik, deren diverse Strömungen unter Labels wie Electronica oder IDM (Intelligent Dance Music) firmieren, kann zu einem großen Teil dem Genre der sogenannten ‚Noise Music’ zugeordnet werden, das wiederum aus verschiedenen Subgenres besteht, die das Geräusch als zum Teil primäres musikalisches Material verwenden. Wird der Begriff „Noise Music“ im Allgemeinen für bestimmte Tendenzen einer innovativen Musik diverser Jugendkulturen gebraucht, sind Analogien offensichtlich zur „Emanzipation des Geräuschs“ in der Neuen Musik seit Beginn des 20. Jahrhunderts, die von der Maschinenmusik der Futuristen bis zu den Entwicklungen aktueller Computermusik reicht.

Für den musikpädagogischen Ansatz der Verbindung von neuer elektronischer (Popular-) Musik im Speziellen beziehungsweise Noise Music im Allgemeinen und Neuer Musik sind nunmehr zwei Aspekte wesentlich: zum einen die zentrale Beschäftigung mit dem Parameter Klang und zum anderen eine musikhistoriografische Verzahnung beider Musiken, bei der die populäre immer wieder auf Inventionen der Neuen zugreift. Aufgrund dieser Verwandtschaft kann die Noise Music als Gelenkstelle verstanden werden zwischen der Musik der Jugendlichen und der Neuen Musik. Weiterhin lädt ein produktionsorientierter musikpädagogischer Ansatz die Schüler durch die Auseinandersetzung mit Noise Music zur Klangforschung ein, bei der ähnliche Fragen gestellt werden können wie auch in der Neuen Musik.

Anregungen für einen solchen Ansatz liefert das von Bernhard Weber entworfene Vermittlungsmodell Neuer Musik. Webers Modell basiert auf der Idee, eine Beziehung zwischen Jugendlichen und der Neuen Musik über bestimmte Inhaltsbereiche herzustellen, von denen zunächst vier zentral sind: Material, Struktur, Ausdruck, sowie Intention auf der Objektseite der Neuen Musik beziehungsweise Disposition auf der Subjektseite der Schüler (diese meint das bereits vorhandene und daher für die Vermittlung Neuer Musik zur „Disposition“ stehende Wissen der Schüler). Webers Modell ist offen und variabel, da diese vier zentralen Bereiche durch weitere ergänzt werden können.

Warum sich eine Beschäftigung mit aktueller elektronischer Musik anbietet, um die Vermittlung Neuer Musik anzustoßen, erscheint gerade mit Blick auf das Modell Webers als nachvollziehbar. Analogien finden sich zum Beispiel in den Feldern Material (Samples, konkrete oder elektronische Klänge, Klangforschung im weitesten Sinne), Struktur (Collage, Palimpsest, Drones und Klangflächen) und Gewichtung des Parameters Klang beziehungsweise „Sound“.

Für die musikpädagogische Arbeit und das hier skizzierte methodische Konzept wiederum ist der Hinweis von Landy von Bedeutung, dass innovative Musik mit Popmusik-Wurzeln zwar kaum ausschließlich klangbasiert sei, dass jedoch von vielen Gruppen entsprechendes Material verwendet werde wie auch zum Teil gleiche oder ähnlich konzipierte Produktionsmittel in Form von Software verwendet würden. So bediene sich die IDM (Intelligent Dance Music) oft klangbasierter Musiktechniken oder beinhalte klangbasierte Passagen in einer ansonsten von distinkten Tonhöhen bestimmten Musik; Ambient Music verzichte oftmals auf einen spürbaren Beat; Rock Concrète entlehne einige Techniken der musique concrète, bleibe aber ansonsten seinen Rock-Wurzeln verhaftet.

Im Vergleich von elektronischer Popmusik und Neuer Musik kann im konkreten Unterricht diversen Fragen nachgegangen werden: Nach welchen Prinzipien werden Klangtexturen zum Beispiel im Ambient oder bei Zoviet france gestaltet, wie in der postseriellen informellen Musik? Welche ungewöhnlichen Klänge verwenden Komponisten wie Roni Size oder Autechre und Komponisten der Neuen Musik? Zu nennen wäre hier etwa Lachenmanns „Pression“ für Cello, das in seiner klanglichen Radikalität durchaus Analogien zur Noise Music aufweist. Auch der Verweis auf Ähnlichkeiten zwischen den zum Beispiel im Industrial häufig vorkommenden „Walls of Sound“ (z.B. Throbbing Gristle) und manchmal in extremen Lautstärken kulminierenden Kompositionen von George Lopez (z.B. „Landscape with Martyrdom“ oder „Breath – Hammer – Lightning“) böten einen möglichen Ansatzpunkt.

Letztlich aber, und dies scheint der entscheidende Aspekt zu sein, stellen sich grundlegende Fragen danach, wie überhaupt Klänge generiert, modifiziert oder kombiniert werden können, damit ein musikalischer Zusammenhang entsteht – Fragen ästhetischer wie auch kompositionstechnischer Natur, die in der produktions- wie rezeptionsorientierten Beschäftigung mit jugendkultureller und Neuer Musik durch die aufgezeigte Beziehung über das Genre der Noise Music eine für die Schüler aktuelle Bedeutung erhalten können.

Der Artikel basiert auf einem Vortrag im Rahmen der GMP-Tagung „Aktuelle musikpädagogische Herausforderungen und Perspektiven“ am 1. März 2013 an der Universität Siegen.

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