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Engagiertes Quartett-Verbands-Trio: Bernhard Schmidt, Monika Henschel und Tim Vogler (v.l.n.r.). Foto: J.M. Koch
Engagiertes Quartett-Verbands-Trio: Bernhard Schmidt, Monika Henschel und Tim Vogler (v.l.n.r.). Foto: J.M. Koch
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Nicht stillvergnügt, sondern bundesweit vernehmbar: Der Verband Deutscher Streichquartette im nmz-Gespräch über Warnsignale, Ensemble-Residenzen und Hochschulmodelle

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Anfang 2012 kam es auf Initiative von Monika Henschel, der Bratscherin des Henschel Quartetts, zu einem Austausch zehn führender deutscher Streichquartette (Artemis, Auryn, Diogenes, Henschel, Klenke, Kuss, Leipziger, Mandelring, Minguet und Vogler), der im März in die Gründung des Verbandes Deutscher Streichquartette (VDSQ) mündete. Anlässlich der ersten Mitgliederversammlung in München sprach Juan Martin Koch mit Monika Henschel, Bernhard Schmidt und Tim Vogler über die Arbeit des jungen Verbandes.

neue musikzeitung: Wie kam es zu der Idee, sich zu einem Streichquartett-Verband zusammenzuschließen?

Monika Henschel: Die Idee ist aus sich heraus gewachsen, aus der Beob­achtung, dass es in Deutschland an Strukturen für Streichquartette mangelt. Jahrelang hat man gehofft, die Dinge kämen von sich aus ins Laufen, auch angesichts ausländischer Beispiele, aber dem war nicht so. Dann kam ein konkreter Hinweis aus dem Präsidium des Deutschen Musikrates, der lautete: Ihr könnt die Dinge bewegen, wenn ihr einen Verband gründet. Es war dann eine Sache von Wochen, dass sich die Kollegen verständigt haben; den Schulterschluss auf musikalischer Ebene hatten wir ja schon immer gelebt. 

Bernhard Schmidt: Besonders der Vergleich mit den Vereinigten Staaten zeigt den großen Unterschied. Dort sind viele Ensembles an eine Institution angebunden, oft als Lehrende an einer Universität, und haben entsprechende Möglichkeiten, auch für Konzertreihen. Wenn man mit Kollegen von dort spricht, können die gar nicht glauben, dass es hier diese selbstverständliche Basis nicht gibt: eine Grundsicherung für Streichquartette bei entsprechender Gegenleistung. So etwas hat bisher in unsere Landschaft strukturell nicht hineingepasst. Die Idee, hier neue Modelle zu entwickeln, fanden wir lohnenswert.

Henschel: Die Alarmsignale waren ja nicht zu übersehen: Wir haben mit dem Petersen und dem Rosamunde Quartett zwei sehr renommierte Gruppen verloren, im besten Alter, wenn ich das so sagen darf, also vor der Zeit. Da mögen viele Faktoren ausschlaggebend gewesen sein, aber bestimmt auch der, dass die strukturelle Basis fehlt. Dann gibt es Fälle wie bei uns, dass sich Ensembles an ausländische Universitäten binden und dort ihre Kompetenz zum Tragen bringen, weil sie die Möglichkeit dazu hier nicht vorfinden. Wir empfangen auch die Sig­nale der ganz jungen Kollegen, die teilweise verzweifelt sind. Sie haben es noch schwerer sich zu etablieren als wir damals. Oft müssen sie sich logis­tisch auf verschiedene Orte verteilen und haben nicht mehr, so wie wir, die Möglichkeit über Jahre hinweg zusammenzuwachsen.

Tim Vogler: Einerseits ist es ja sehr schön, dass es viele junge Ensembles gibt und einen großen Drang, sich hier künstlerisch zu bewegen, gleichzeitig gibt es aber nicht mehr Konzerte, eher weniger. Typisch ist der Fall, dass ein Quartett einen wichtigen Wettbewerb gewinnt. Es kommt dann eine Anschlusstournee, was natürlich gut ist, weil die Musiker sich bewähren können, aber andererseits werden sie häufig auch ein Stück weit verheizt, verdienen kein gutes Geld, und dann kommt ein schwarzes Loch. Gleichzeitig wird den älteren Ensembles ein bisschen das Wasser abgegraben, weil ein Preiskampf entsteht. Es müsste für junge Ensembles die Möglichkeit geschaffen werden, dass sie nicht diesem starken wirtschaftlichen Druck ausgesetzt werden, dem Druck alles annehmen zu müssen, um zu überleben.

Ensemble-Residenzen

nmz: Eine Maßnahme, die Sie nun als Verband aufzeigen und realisieren wollen, ist die Einrichtung sogenannter Ensemble-Residenzen. Wie könnten die aussehen?

Henschel: Ensemble-Residenzen sind in verschiedenen Konstellationen denkbar, nicht nur an Musikhochschulen. Auch an Städte oder Kommunen könnte ein Quartett angebunden sein. Von dort aus könnte es seine Wirkung in vielfacher Weise entfalten: als Klangkörper in Konzerten für die Region und als Aushängeschild bei Tourneen, aber auch im Bereich Musikvermittlung. Ein Streichquartett ist ja viel flexibler einsetzbar als etwa ein Orchester. Kinder zum Beispiel können den einzelnen Musiker erfahren, mit ihm in Kontakt treten, gleichzeitig ist der komplette Klangkörper präsent, die Werke werden in ihrer Originalgestalt hörbar. Darüber lässt sich alles vermitteln.

Vogler: Wir waren fünf Jahre lang in Irland aktiv, in einer Region ohne Orchester. Also wurde unser Quartett als Vertreter der klassischen Musik ausgewählt. Wir haben geholfen eine Musikschule aufzubauen, die jetzt ohne uns weiterfunktioniert, eine Konzert­reihe, unser Festival … Wir waren mit zahllosen Kindern in Kontakt, das ist ein Modell, das kein Orchester leisten kann.

Hochschulmodelle

nmz: Welche Rolle könnten Streichquartette bei der Hochschulausbildung spielen?

Henschel: Die Musikwelt wandelt sich. Während zu unserer Zeit 80 Prozent der Studierenden das Orchester anstrebten, rechnen sich bei der Bewerberlage heute schon viele keine Chance mehr aus und orientieren sich früh in Richtung Kammermusik. Ein gewachsenes Ensemble zu erleben hat eine eigene Qualität, die auch in der Hochschullehre mehr als bisher nutzbar gemacht werden müsste. Man sieht ja an den Orchesterakademien, was es heißt, in einen bestehenden Klangkörper einzusteigen, welche Chance das für ein intuitives Lernen bietet. Genau das könnte ein Streichquartett im Bereich Kammermusik auf ideale Weise leisten.

Schmidt: Früher gab es dieses Modell mit dem Amadeus Quartett in Köln und dem Melos Quartett in Stuttgart. Momentan haben meines Wissens nur das Auryn Quartett in Detmold und das Artemis Quartett in Berlin einen solchen Status. Ein Problem ist ja, dass Professuren einer Person zugeschrieben sind. Bei einer Besetzungsänderung wird es schwierig … Dabei ist der Bedarf da. In Nürnberg, wo ich jetzt mit einer Professur anfange, ist erfreulicherweise in mehr als der Hälfte der Studienzeit Kammermusik Pflicht für alle Studierenden im künstlerischen wie auch im künstlerisch-pädagogischen Bereich. 

Föderaler Ansatz

nmz: In Bayern haben Sie schon konkrete Gespräche führen können, wie stehen da die Zeichen?

Henschel: Wir sind in engem Dialog mit der Rektorenkonferenz der Musikhochschulen und dem Bayerischen Musikrat. Bei einem ersten Gespräch mit Martin Ullrich, dem Vorsitzenden der Rektorenkonferenz der Musikhochschulen, und dem Bayerischen Musikratspräsidenten Thomas Goppel im Februar in Nürnberg war sofort klar, wohin die Reise gehen muss. Wir arbeiten nun gemeinsam an einer Arbeitsskizze, einem mittlerweile zehnseitigen Konzept, das auch für das Bayerische Wissenschaftsminis­terium bestimmt ist. Gerade der föderale Ansatz ist für uns sehr interessant. 

Schmidt: Es geht um so etwas wie „Kulturleuchttürme“. Wenn man einen solchen Weg einmal gemeinsam in einem Bundesland beschritten hat, dann zeichnen sich auch Wege ab, anderswo Ähnliches zu machen.

Henschel: Gleichzeitig ist natürlich klar, dass bei 16 Bundesländern theoretisch ein Bedarf vorhanden wäre der kurzfristig gar nicht zu decken ist. Dass es mit Bayern losgeht, hat mit unserem Quartett zu tun. Es war eine Reaktion darauf, dass wir ganz offen gesagt haben, dass es für uns eigentlich keinen Grund gibt, uns nicht offiziell als Luxemburger Ensemble zu titulieren, wenn wir dort an die Universität angebunden sind. Das Bayerische Ministerium war dem Dialog gegenüber aufgeschlossen, also haben wir unsere Kollegen-Ensembles kontaktiert, denn diese Thematik geht uns alle an. Unser Verband ist nun mit Bayern im konstruktiven Gespräch und bemüht sich seit Mai, dieses auch mit Baden-Württemberg zustande zu bringen. 

Verbandsleistungen 

nmz:  Zu einem Verband gehören auch gewisse Leistungen. Was kann der VDSQ seinen Mitgliedern bieten?

Vogler: Was wir anbieten können, ist zunächst einmal Beratung für junge Berufsanfänger: Wie organisiere ich mein Ensemble, eine Konzertreihe oder ein kleines Festival? Wie finde ich Partner und Sponsoren? Im weitesten Sinne also Coaching im Bereich Kulturmanagement.

Henschel: Konkret können wir den Mitgliedern jetzt schon zehn Prozent Rabatt bei einem führenden Instrumentenversicherer bieten. Ein weiteres Thema ist die Anerkennung von Dienstzeiten bei einem späteren Einstieg in ein Orchester. Es geht da um wenige Härtefälle, die aber für die Kollegen existenziell sind. Wir sind hier schon in gutem Kontakt mit der Deutschen Orchestervereinigung. Für Fragen und Anregungen sind wir offen und übers Internet ansprechbar. Ein eigenes Büro können wir uns noch nicht erlauben, aber auch so erreichen uns schon viele Fragen und Angebote.

Schmidt: Erste Kooperationen haben sich schon ergeben, zum Beispiel mit der Anne-Sophie Mutter Stiftung. Hier sind demnächst gemeinsame Konzerte mit Stipendiaten der Stiftung geplant. Wichtig ist auch, dass der VDSQ in der Öffentlichkeit und gegenüber der Politik als Ansprechpartner für Belange der Kammermusik zur Verfügung steht.

Henschel: Manche Rückmeldung zeigt uns aber auch, dass wir noch viel Aufklärungsarbeit leisten müssen. Die Gründung erfolgte ja aus unserer Generation heraus, weil wir schon seit langem vernetzt waren. Die jungen Kollegen sehen sich jetzt die Lis­te der Mitglieder an und trauen sich nicht dazu, weil sie noch am Anfang stehen und glauben, nichts beitragen zu können. Das ist aber ein Denkfehler. Der Verband soll ja eben für den Nachwuchs da sein, Weichen stellen und Strukturen aufbauen für die Ensembles der Zukunft. Die jüngere Generation mit ihren Erfahrungen ist uns also ganz wichtig, wir brauchen sie für unsere Arbeit. Meine Botschaft ist also ganz eindeutig: Wir hätten euch gerne in unserer Mitte!

Mögliche Öffnung

nmz: Die von Ihnen beobachteten Probleme betreffen nun nicht nur die Streichquartett-Besetzung, sondern feste Kammermusik-Ensembles generell. Würde es da nicht Sinn machen, den Verband entsprechend zu öffnen?

Henschel: Wir sind in jedem Fall offen für den Dialog. Die Residenzthematik betrifft aber vornehmlich die Streich­quartette, und so lange das unser Kernthema ist, wären wir wohl ein Stück weit überfordert, wenn wir uns jetzt auch schon über gemischte Ensembles mit Streichern und Klavier Gedanken machen müssten. Die Idee ist schön und richtig, aber jetzt wollen wir erst einmal zählbare Ergebnisse für unseren Bereich auf den Tisch bringen. Mittelfristig kommt aber möglicherweise eine Erweiterung auf uns zu, nicht nur, was die Besetzung betrifft, sondern auch in Richtung Europa. Wir haben schon Anfragen aus Belgien, den Niederlanden und der Schweiz. Für die Ensembles dort macht es keinen Sinn, einen nationalen Verband zu gründen, also fragen sie uns, ob wir nicht europäisch werden könnten …

nmz: Gibt es weitere konkrete Pläne für die nahe Zukunft?

Henschel: Wir werden mit Hilfe unserer Sponsoren für kommendes Jahr einen Kompositionsauftrag erteilen, auf der Webseite stellen wir regelmäßig ein Gastensemble vor, bis vor kurzem war das das Talich Quartett. Dann gibt es noch eine interessante Idee: einen Tag des Streichquartetts. Das wäre natürlich eine schöne Plattform, man könnte mit entsprechenden Partnern viel erreichen, aber das hängt natürlich von den Multiplikatoren vor Ort ab.  

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