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Georg Katzer 2012. Foto: Hufner
Georg Katzer 2012. Foto: Hufner
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Seismograph seiner Zeit

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Zum Tod des Komponisten Georg Katzer
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Dass Georg Katzer einmal eine der wichtigsten Persönlichkeiten der zeitgenössischen Musik in Deutschland werden würde, war zunächst nicht zu erwarten gewesen. Aus Schlesien, wo er 1935 geboren wurde, musste die Familie bei Kriegsende in Richtung Westen fliehen. In den von ihm besuchten Schulen gab es keinen Musikunterricht.

Auf eigenen Antrieb begann Katzer mit dem Mundharmonikaspiel, bevor er autodidaktisch auch andere Instrumente entdeckte. Als Abiturient besuchte er zum ersten Mal ein Konzert – ein umstürzendes Erlebnis, das zu dem Wunsch führte, Musik zu studieren. Mit größter Energie ist ihm dies gelungen. Gute Kompositionslehrer haben den jungen Musiker gefördert, zuerst Rudolf Wagner-Régeny, dann Ruth Zechlin und schließlich Hanns Eisler, dessen letzter Meisterschüler er wurde. „Eisler hat den Humus bereitet für mein späteres Arbeiten“, meinte Katzer rückblickend. Vor allem den Begriff des Gestischen – „eine in die Musik übersetzte körpersprachliche Äußerung“ – verdankte er diesem Lehrer.

Wesentlich für Katzers musikalische Entwicklung wurden die Arbeiten für den Rundfunk. Als er in den späten sechziger Jahren mit Hörspielmusiken anfing, gab es noch ein eisiges Klima in der Kulturpolitik der DDR. „Aber die Hörspielregisseure hat es überhaupt nicht interessiert, ob ich mit 12 Tönen, mit 15 oder 24 Tönen oder mit einem Würfel komponiert habe – die wollten eine Musik haben, die funktional stimmig war für ihr Stück. Ich konnte alles ausprobieren, vom Geräusch bis zu tonalen Strukturen.“ Basierend auf diesen Arbeiten mit Montage und Collage wurde Katzer zum Pionier der elektronischen Musik. Nach Aufenthalten in den Studios von Bratislava, Bourges und Stockholm gründete er 1986 an der Ostberliner Akademie der Künste ein Studio für elektroakustische Musik, das erste der DDR.  

Auf den zweiten deutschen Staat, der ihm eine so fundierte Ausbildung ermöglicht hatte, setzte Georg Katzer zunächst große Hoffnungen. Als aber die erwartete Liberalisierung ausblieb und der Prager Frühling 1968 gewaltsam endete, wurde auch seine Musik kritischer und skeptischer. „Je mehr die Hoffnung zu Bruch gegangen ist, umso leisere Schlüsse habe ich komponiert.“ Auch das hatte Katzer von Eisler gelernt: mit Musik seismographisch auf seine Zeit zu reagieren. So entstand etwa das Orchesterstück „Offene Landschaft mit obligatem Ton e“ im Frühjahr 1990 in der Erwartung auf einen ruhigen Einigungsprozess. Es ist ein farbig leuchtendes Werk, durch das sich – als Kürzel für Erwartung – immer wieder der helle Ton der leeren Violinsaite e zieht. Als dieses Stück 1993 uraufgeführt wurde, musste der Komponist sie bereits als historisch sehen. Inzwischen hatte der Existenzdruck der Abwicklungen die Aufbruchsstimmung gedämpft. Ein neueres Orchesterwerk nannte er 1991 „Landschaft mit steigender Flut“. Katzers umfangreiches Schaffen, zu dem neben Instrumentalmusik, Vokalkompositionen, Balletten und elektronischer Musik auch mehrere  Opern gehören, ist je nach Genre stilistisch äußerst vielfältig. Wesentlich war ihm dabei immer die Kommunikation mit dem Hörer, weshalb er für Kinder ganz anders schrieb als für Kammermusikkenner.

Seine Werke sind über viele hervorragende Aufnahmen zugänglich, etwa die Streichquartette über eine CD des Sonar Quartetts, welche 2011 vom Preis der deutschen Schallplattenkritik auf die Bestenliste gesetzt wurde. Der Komponist hat sein Publikum gefunden, nicht zuletzt in Berlin. An der Komischen Oper, wo schon 1974 sein Musiktheater „Das Land Bum-Bum“ herausgekommen war, inszenierte Harry Kupfer 1991 sein Bühnenwerk „Antigone oder die Stadt“, welche den antiken Stoff in die kriegerische Gegenwart übertrug. Auch Katzers chorisches Oratorium „Medea in Korinth“ (2000) auf einen Text von Christa Wolf ist aktuell, erregt Medea hier doch als Geflüchtete Anstoß in ihrer neuen Umgebung. Der Tod des 84-jährigen Komponisten am 7. Mai sollte Anlass sein, sein Werk auch außerhalb von Berlin zu entdecken.

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