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U- oder E-Musik? Nicht immer ist die Frage so klar zu beantworten wie bei Kirchenkonzerten. Foto: Juan Martin Koch
U- oder E-Musik? Nicht immer ist die Frage so klar zu beantworten wie bei Kirchenkonzerten. Foto: Juan Martin Koch
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Sitzen Chormusikwerke in U-Haft?

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Ein neuer Abrechnungsmodus durch die GEMA wirft Fragen auf
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Seit einiger Zeit wird Chormusik von der GEMA nicht mehr ohne Weiteres als Ernste Musik, sondern als Unterhaltungsmusik abgerechnet. Nicht jeder Komponist ist damit einverstanden. Es scheint wie das A und O der GEMA – das U und E. Nicht selten steht die von der Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte vorgenommene Trennung zwischen populärer Unterhaltungsmusik und musikalisch anspruchsvoller(er) ernster Musik in der Kritik.

Der Grund: Die Aufführung eines E-Musik-Werkes beschert dem jeweiligen Komponisten respektive Verleger in der Regel ein Mehrfaches an Tantiemen als die eines Werkes aus der Unterhaltungsmusik. Da populäre Musik viel häufiger aufgeführt und vervielfältigt wird als E-Musik, erscheint eine finanzielle Unterstützung der ernsten Musik durchaus in gewissem Rahmen sinnvoll. Allerdings dürfe, so das Selbstverständnis der GEMA, diese Unterstützung nicht als Subvention (miss)verstanden werden – vielmehr bildeten Veranstaltungsgebühren sowie Ausschüttungen der E-Musik einen separaten, in sich geschlossenen Kreislauf, der unabhängig vom Wirtschaften der U-Musik agiere.

Immer wieder jedoch sorgt das Zweiklassensystem für Diskussionsbedarf, neuerdings im Bereich der Chormusik. Vor einiger Zeit traf die GEMA die Entscheidung, entsprechende Kompositionen nicht mehr (wie früher üblich) als E-Musik zu vergüten, sondern der populären Musik zuzuordnen – neue Chorwerke sitzen also gewissermaßen in „U-Haft“. Und so mancher Komponist fühlt sich von diesem Urteil benachteiligt. Auf Anfrage der nmz begründet die GEMA ihren Entschluss indes mit der massiven Verlagerung des gegenwärtigen Chorrepertoires hin zum Populärbereich. Entsprechend ausgebildetes Personal und die richtige Technik der GEMA habe diesen Trend erkannt, auf den die Verwertungsgesellschaft hätte reagieren müssen.

Wenn der Pop auch mal Ernst macht

Nach ihren eigenen Richtlinien rechnet die GEMA in erster Instanz alle Werke, die bei einer als U-Musik angemeldeten und lizenzierten Veranstaltung aufgeführt werden, auch mit dem Tarif der Unterhaltungsmusik ab. Das bedeutet, dass auch Werke, die eigentlich zur Ernsten Musik gehören und die im Rahmen einer U-Veranstaltung (vereinzelt) erklingen, als Unterhaltungsmusik vergütet werden. Nur nach einer ersten „fehlerhaften“ U-Abrechnung bietet sich dem jeweiligen Komponisten die Möglichkeit, die E-Einstufung seines Werkes zu beantragen. Unfair? Die exakte Erfassung und treffsichere Einordnung aller Werke in die E- und U-Schublade scheitert letztlich an der Praxis: Für die hunderttausenden Konzerte, die die GEMA jährlich lizenziert, fehlen dafür schlicht die personellen Kapazitäten. Da die Veranstalter zudem in aller Regel um den U- und/oder E-Musik-Gehalt ihrer Konzerte wüssten und diese entsprechend anmeldeten, erscheine laut GEMA das Kosten-Nutzen-Verhältnis von zahlreichen vorab getroffenen Einordnungen als zweifelhaft.

Die GEMA räumt dabei ein, dass sich im Einzelfall Werke der E-Musik in U-Veranstaltungen einschleichen und umgekehrt. Da sich diese seltene Vermischung allerdings im Ganzen wiederum einigermaßen ausgleiche, reagierten der Großteil der betroffenen Komponisten und Verleger nicht auf die Einzelfälle. Alles penibel aufzudröseln, lohne sich da nun mal nicht. Für Chorkomponisten, die mit ihren Kompositionen den Lebensunterhalt bestreiten müssen und daher auf eine exakte Ausschüttung angewiesen sind, bietet das praxisorientierte Vorgehen der GEMA eine Zusatzoption – den Gang vor den Werkausschuss.

Um sicherzustellen, dass ein Werk immer – also auch im Rahmen einer U-Aufführung – als E-Musik abgerechnet wird, muss es explizit mit dem Gütesiegel E abgestempelt worden sein. Dafür ist der GEMA-Werkausschuss verantwortlich, der nach einem entsprechenden Antrag die E-Einstufung des jeweiligen Werkes prüft. Wer einfordert, sein Werk als E-Musik abrechnen zu lassen, beantragt damit sozusagen, am „Topf“ der E-Musik zu partizipieren.

Antragsschikane?

Wie Betroffene monieren, erfordert der korrekte Antrag für die E-Einstufung eines Werkes allerdings zuweilen einen hohen bürokratischen und zeitlichen Aufwand. Sie empfinden die penible Einforderung der genauesten Belege in Partitur- und Aufnahmeform (insbesondere Letztere ist häufig schwierig zu verwirklichen) bereits als Schikane. Darauf angesprochen beruft sich die GEMA dagegen auf ihren komplexen Verteilungsplan, der für jede zusätzliche Stimme sowie für jede weitere Minute eine Erhöhung der Ausschüttung vorsieht. Das führt dazu, dass der Antragsteller die dazugehörige Besetzung, Spieldauer und so weiter sehr akkurat nachweisen muss. Diese Genauigkeit ist also dem Verteilungsplan der E-Musik geschuldet, der wiederum auf Forderung der E-Komponisten so differenziert ausgearbeitet wurde.

Derart nachträglich eingestufte Werke machen allerdings laut Enjott Schneider, der sich in den sozialen Medien zur Problematik äußerte, weniger als ein Prozent des gesamten GEMA-Repertoires aus. Das GEMA-Aufsichtsratsmitglied gibt in diesem Zusammenhang zu bedenken, „dass Deutschland längst eine Pop- und Mainstream-Kultur geworden ist, dass E-Musik und Kunst längst aus dem Blickwinkel unserer Politiker (Geldgeber) und der Rundfunkanstalten und des Feuilletons geflogen ist.“

So oder so darf man nicht vergessen, dass die GEMA keine staatliche Institution, sondern der Zusammenschluss der Komponisten und Urheber selbst ist. Entsprechende Vereinbarungen können sie selbst in gegenseitiger Abstimmung herbeiführen. Und eigentlich sollten sie doch das A und O der GEMA sein.

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