Hauptrubrik
Banner Full-Size

Skandal im Taschenformat

Untertitel
Der Jahrhundert-„Ring“ von Patrice Chéreau und Pierre Boulez auf DVD
Publikationsdatum
Body

Manche Opern-Skandale entstehen, weil eingefahrene Sichtweisen plötzlich nicht mehr greifen. Andere wiederum sind nur Theaterdonner und Tagesgeschehen, kurze Zeit allgegenwärtig und schnell vergessen. Und in welche Kategorie gehört das Bayreuth-Spektakel von 1976?

Manche Opern-Skandale entstehen, weil eingefahrene Sichtweisen plötzlich nicht mehr greifen. Andere wiederum sind nur Theaterdonner und Tagesgeschehen, kurze Zeit allgegenwärtig und schnell vergessen. Und in welche Kategorie gehört das Bayreuth-Spektakel von 1976?Nach 14 Stunden vor dem Fernsehgerät schüttelt man zuallererst einmal den Kopf: War das wirklich jener Jahrhundert-„Ring“, der kultivierte Musikliebhaber zu Protestaktionen und einem Trillerpfeifen-Konzert im ehrwürdigen Haus am Grünen Hügel animierte? 1976 reagierte man so auf die Premiere von Patrice Chéreaus Inszenierung der „Götterdämmerung“. Schon vier Jahre danach war davon keine Spur mehr: Als 1980 die letzten Aufführungen über die Bayreuther Bühne gingen, da hatte sich Zorn in Zustimmung verwandelt – manchmal sogar in kritiklosen Fanatismus (man erinnere sich nur an die Hagiografie der damaligen Presse). Im selben Jahr zogen übrigens auch die Firma Unitel und der Bayerische Rundfunk ins Festspielhaus ein um in gut zwei Wochen den Chéreau-„Ring“ auf Celluloid zu bannen (nur die „Götterdämmerung“ wurde bereits 1979 aufgezeichnet). So entstand die erste „Ring“-Aufzeichnung fürs Fernsehen, eingefangen von der sensiblen Bildregie Brian Larges. Philips präsentiert das Dokument nun auf DVD: Sieben VHS-Kassetten mit einer Breite von 22 Zentimeter schrumpften auf vier schlanke DVD-Cases, die im Video-Regal lediglich 6 Zenzimeter beanspruchen – der Skandal im Taschenformat. Blanker Hass und schrankenlose Verehrung – mehr als ein Vierteljahrhundert nach der Premiere ist beides schwer nachvollziehbar. Denn: Nur weil die Handlung in die Ära der frühen Industrialisierung verlegt wurde, wirkt das Ganze noch lange nicht „kommunistisch“ oder gar primär politisch. Genau das aber wurde Chéreau nach der Premiere zum Vorwurf gemacht und es ist heute so unverständlich wie damals. Ohnehin verwies Peter Dannenberg schon 1976 darauf, dass die Kapitalismus-Kritik der Tetralogie „anderswo längst viel deutlicher und grundsätzlicher inszeniert worden“ ist; dass der Jahrhundert-„Ring“ im Vergleich dazu eher die „Position der konservativen Gegenrevolution“ einnehme. Warum aber kam es dann zum Eklat?

Lebte Richard Wagner heute noch, er würde in Hollywood arbeiten – das vermutete sein Enkel Wieland Wagner einmal und wer den Chéreau-Ring gesehen hat, der wird dieser Annahme wohl zustimmen. Der Franzose und sein Ausstatter-Team (Richard Peduzzi, Bühne; Jacques Schmidt, Kostüme) realisierten ihre Bilderträume nämlich mit filmischen Mitteln: Die Rheintöchter räkeln sich vor einem Staudamm, Walhall ist ein gründerzeitlicher Prachtbau, Notung wird im Hochofen geschmiedet. Das alles ist in Grautönen gehalten und so subtil ausgeleuchtet, dass etwa der Walkürenfels wie ein Bild von Caspar David Friedrich wirkt. Dass man sich dennoch an Film-Ästhetik erinnert fühlt, das liegt auch an der Personenführung – weil die Figuren vital und natürlich agieren, weil sich Aktionen und Reaktion an dem orientieren, was gesungen wird. Das so entstehende Beziehungsgeflecht der Protagonisten hält einen immer am Denken.

Dass ich das einhellige Lob im Jahr der Absetzung dennoch nicht ganz teilen kann, liegt zum einen am Dirigenten Pierre Boulez. 1981 erschien die Video-Produktion auch als Audio-Ableger und zugegeben machen etliche Orchesterstellen, die vor dem Lautsprecher fahrig wirkten, in Kombination mit dem Bild plötzlich Sinn. Trotzdem klingt bei Boulez für meine Begriffe vieles unbeteiligt und gefühlsarm; nicht so hingebungsvoll wie im legendären „Ring“ unter Solti, aber auch nicht so fein und subtil wie in der Einspielung von Karajan.

Auch mit den Leistungen der Sänger kann ich mich nicht recht anfreunden. Gwyneth Jones als Brünnhilde etwa: Bei allem Respekt für ihre schonungslose Identifikation mit der Figur – aber an den exponierten Stellen klingen manche Spitzentöne grell und unsauber intoniert. Manfred Jung hingegen bewältigt die heikle Partie des Siegfried gut und hinterlässt dennoch wenig Profil. Dagegen zeigt Heinz Zednik als Mime und Loge einmal mehr, dass er ein Charakterdarsteller ersten Ranges ist. Auch Hermann Becht als Alberich und Fritz Hübner als Hagen beweisen optisch und akustisch viel Mut zur Gestaltung. Aber die Tetralogie steht und fällt eben doch mit ihrem Wotan: Donald McIntyre klingt und agiert eher matt. Jedenfalls im Vergleich zu einem Hans Hotter, der als Wotan die noch immer gültigen Maßstäbe gesetzt hat. Nachzuhören ist das etwa in der diskografischen Großtat Georg Soltis. Was der quirlige Ungar getan hat, um seine Sänger zu solch nachhaltigen Leistungen zu motivieren, dem können Wagner-Enthusiasten auch auf Video nachspüren: Dieser Tage erscheint ein „Making of“ der Solti-Aufnahmen unter dem Titel „The Golden Ring“ auf DVD. Im Video-Regal ist ja jetzt ausreichend Platz...

R. Wagner: Der Ring des Nibelungen. Donald McIntyre (Wotan, Der Wanderer), Heinz Zednik (Loge, Mime), Hermann Becht (Alberich), Hanna Schwarz (Fricka) , Matti Salminen (Fasolt, Hunding), Fritz Hübner (Fafner), Peter Hofmann (Siegmund) u.a., Chor und Orchester der Bayreuther Festspiele, Pierre Boulez; Inszenierung: Patrice Chéreau, Bühnenbild: Richard Peduzzi, Kostüme: Jacques Schmidt; Bildregie: Brian Large (1979/80)
Philips 7 DVD Box 070407-9 (auch einzeln erhältlich)

„The Golden Ring” – The making of Solti’s „Ring”. Mit B. Nilsson, G. Frick, W. Windgassen, D. Fischer-Dieskau; Wiener Philharmoniker, Sir Georg Solti; Regie: Humphrey Burton (1965)
Decca DVD 071 153-8

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!