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Solidaritätsadresse an den Broadway

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Die Bundesfachgruppenkonferenz der Musiker in ver.di wählte und tagte zur Tarifdiskussion
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Das Schönste? Das war diesmal ein Beifall. Ein regelrechter Sturm. Beifall, mit dem sich die Delegierten der Fachgruppe Darstellende Kunst bei ihrer Bundesfachgruppenkonferenz am zweiten Märzwochenende in Halle selber feierten, nach dem ein Antrag ohne Gegenstimmen angenommen worden war: Beantragt wurde, auf die Quotierung bei der Vorstandswahl zu verzichten. Zwei Jahre ver.di genügten hier, eine durchaus heterogen zusammengefügte Truppe, deren Mitglieder einander anfangs misstrauische beäugt hatten, in ihren Zielen und in ihrer Arbeit zusammenzuschweißen. Was so oft in Bezug auf die Herkunft als „Quellorganisationen“ beschönigend sprachgeregelt ist, sieht im ver.di-Alltag mitunter heute noch nach aufgequollenen Differenzen aus. Und das ist dann der berüchtigte Mehltau, der alles lähmt. Nicht, wie gesagt, bei den Vertretern der Bühnen. Unnötigerweise dann doch für eine ganze Weile bei den Musikern, die schließlich jedoch in gewohnter Weise zur Harmonie fanden.

Beide Fachgruppen trafen sich zu ihren Bundeskonferenzen in nebeneinander liegenden Sälen des Hallenser Maritim-Hotels. Am ersten Nachmittag sogar in einem: Es ging darin um die Finanzen in den Kommunen nach den Tarifabschlüssen im Öffentlichen Dienst. Betroffen davon und von der Verunglimpfung der Gewerkschaft sind gleichermaßen Theaterleute wie Musiker. Also hatte dieses „Tarifpolitische Forum“ zur Neugestaltung eines einheitlichen Tarifrechts eine immense Bedeutung auf dieser Bundeskonferenz. Kurt Martin vom ver.di-Bundesvorstand hielt den Arbeitgebern, die die Gewerkschaften derzeit als „Plage“ verschreien, entgegen, man wolle dies gerne sein, wenn denn „soziale Gerechtigkeit“ und „kollektive Schutzrechte“ erfolgreich verteidigt würden.

Eile tut Not

Derzeit bündeln vier Arbeitsgruppen Tarifvorschläge, um noch vor den Sommerferien verbindliche Verhandlungen zu beginnen. Eile tut Not: Im Bereich der Bühnen ist kraft Anmaßung der GDBA seit dem 1. Januar der so genannte „Normalvertrag Bühne“ auf dem Tisch, der Angestellte an den Theatern zum Spielball von Sparvorgaben macht. Und bei den Musikschulen nimmt die Zahl der nach dem BAT angestellten und bezahlten Musikschullehrern beständig ab. Gründe hierfür sind die desolaten Finanzen der Kommunen. Andreas Hupke von den Kölner Bühnen forderte Gegenwehr in Form einer „seelisch-moralischen Aufrüstung“ der Beschäftigten und sprach damit auch den Musikern aus dem Herzen, die in den Kommunen von den „Einschränkungen fakultativer Ausgaben“ besonders betroffen sind. Denn als „fakultative Ausgaben“ stehen fast überall in der Bundesrepublik die Aufwendungen für Kultur zur Disposition.

Wie sehr, das machten die Ausführungen von Alexander Wegener (Uni Potsdam) deutlich, noch vertieft durch eine von Heinrich Bleicher-Nagelsmann (Abteilungsleiter der Kunstfachgruppen) moderierte Gesprächsrunde: Eckhard Kussinger (stellvertretender Gewerkschaftsratsvorsitzer in ver.di und Bundesvorsitzender der FG Musik) Frank Werneke (Fachbereichsleiter und Mitglied des ver.di-Bundesvorstandes), Gerald Merten (Geschäftsführer der DOV) sowie Clemens Weise (FG Darstellende Kunst) entwarfen Forderungen zur Finanzsicherung in der Kultur. Die sollte, so Werneke, überall als Pflichtausgabe festgeschrieben werden, mindestens jedoch die Umlandfinanzierung für Einrichtungen in den Städten. Und die Kulturfinanzierung müsse Thema eines zu gründenden Podiums mit allen Beteiligten sein. Mertens Vorschlag zielte in eine ähnliche Richtung, wenn auch auf Voraussetzung dafür: Ausgehend von den Theatern, müssten sich in den Kultureinrichtungen die Belegschaften in ihren gemeinsamen Interessen zusammenschweißen. Das Primat habe der Flächentarifvertrag. Mit Haustarifverträgen könnten Engpässe überwunden werden. „Wir müssen beweisen, dass wir es besser können“, sagte Werneke im Blick auf ver.di als Verhandlungspartner. Es gelte, die GDBA überflüssig zu machen.

Positive Bilanzen

Das Beste? Die Impulse, die die Delegierten beider Fachgruppen aus dieser gemeinsamen Auftaktveranstaltung in ihre getrennten Sitzungssäle mitnahmen. Ulrich Steiner (NRW) von den Musikern formulierte dies sogar als „Auftrag, mehr mit den Theater zusammenzuarbeiten“. Zielgerichtet gearbeitet wurde bei der Fachgruppe Musik in der Zeit ohnehin – auch wenn es sich um die Findungszeit in der neu gegründeten ver.di handelte. Mit Dirk von Kügelgen hat die Fachgruppe seit bald einem Jahr einen neuen Fachgruppenleiter, der in Halle als Nachfolger von Thomas Schwarz mehr bestätigt als neu gewählt werden musste. Die verschiedenen AG´s – Musikschulgesetz, Europa, Sicherung qualifizierter Musikunterricht, Freie – zogen positive Bilanzen. Und es blieb nach der effizient angearbeiteten Tagesordnung sogar noch Zeit einen Vormittag lang über Sachthemen zu diskutieren. Die wichtigste Diskussion drehte sich um Erfahrungen mit der Ganztagsschule: Wird sie, die in einigen Bundesländern bereits flächendeckend umgesetzt wird, das Bild des Musikschullehrers durch ganz neue Aufgabenfelder wandeln? Welche Konflikte sind durch die unterschiedliche Vergütung zwischen Musiklehrern und Musikschullehrern zu erwarten und wie sind sie zu vermeiden? Welche Probleme ergeben sich aus der Klassengröße, aus dem Teamteaching, durch den Unterricht an sozialen Brennpunkten, wo bildungspolitische und erzieherische Defizite zu kompensieren sind? Probleme und Aspekte, die man scharf im Auge haben wird. Dafür bürgt ein Fachgruppenvorstand, der überwiegend aus Kolleginnen und Kollegen mit Vorstandserfahrungen besteht. Einen kämpferischeren Eindruck als die Musiker hinterließen die Theater-Delegierten. Das mag daran liegen, dass sie an den Bühnen und deren Sparten in den letzten Jahren wie keine andere Kultureinrichtung unter Druck stehen. Die Klagen über das immer knappere Geld für die Kunst und die angeblich ins uferlose steigenden Kosten für das technische Personal verdecken demagogisch die Tatsache, dass der Personalabbau an deutschen Bühnen zusammengenommen längst dem bei der Deutschen Bahn gleich kommt. „Streckenstilllegungen“ in der Kultur scheinen unausweichlich. Der „Runde Tisch“ beim Bundespräsidenten mag das öffentliche Bewusstsein für die Probleme geschärft haben, mehr als manifeste Meinungsunterschiede, wie Bühnensterben in den nächsten Jahren zu verhindern ist, scheint der Tisch bislang nicht gebracht zu haben.

Momentan trägt das Allheilmittel den Namen „Gemeindefinanzreform“, aber wann das Mittel auf den Markt kommt und wie es wirkt, weiß derzeit niemand. Frank Werneke meinte, bei ver.di sei man wohl auch zu vertrauenswürdig gewesen in der Gewissheit, die Staatsquote werde gesenkt. Peter Fenske aus Hamburg nannte als vorrangiges Ziel erst einmal ein verbessertes Image von ver.di bei den Künstlern. „Wir müssen weg vom Breitmaulimage“, womit wohl Differenzierung und Attraktivität gemeint waren. Clemens Weise wunderte sich in diesem Zusammenhang, dass im ver.di-Programm „Lebenswerte Stadt“ Kultur nicht mal genannt sei.

Wernekes Vorstoß, die Künstler und Kunstfachgruppen müssten sich in ver.di lautstark profilieren, kann nur zugestimmt werden. Sonst stehen auch hierzulande von Computern ersetzte Musiker vor den Theatertüren wie am New Yorker Broadway. Natürlich wurde in Halle eine Solidaritätsadresse verabschiedet. Die Probleme bei uns brauchen in den kommenden Jahren mehr als nur Solidaritätsadressen!

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