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Bahnbrechende Messages per Twitter: Pearl Jam
Bahnbrechende Messages per Twitter: Pearl Jam
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Tamagotchi heißt jetzt Twitter – Ferchows Fenstersturz

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Aus tiefstem Herzen bin ich ein aktiver Daten-Rambo. Es ist mir egal, wer meine Daten an wen verkauft. Es interessiert mich nicht, wenn sich „Researcher“ ihren Tageshöhepunkt verschaffen, indem sie sich zusammen stümpern, zu welchen Tageszeiten ich bei „real“ meine „Payback-Karte“ zücke.

Preisausschreiben beim Discounter? Rücksichtslos fülle ich die Kärtchen aus. Inklusive Lebensbiografie. Gierig öffne ich E-Mails, die Genitalvergrößerungen aller Art oder Diätpampe feil bieten. Wissen ist Macht. Ich finde, man muss sich nicht immer so aufregen, Herr Schaar. Unser oberster Datenschützer macht mich noch krank mit seiner Paranoia. Nur immer dagegen sein ist keine Lösung. Ich habe übrigens auch bei Shell getankt, als der Ölmulti 1995 wegen der geplanten Versenkung einer Plattform boykottiert wurde. Und ob das Finanzamt mein Bankkonto ausspioniert, geht mir am verlängerten Rücken vorbei. Meine Sache und deren Tränen.

Allerdings werde ich verdammt ungemütlich, wenn mich die Datenspuren anderer belästigen. Stichwort „Twitter“ (Zwitschern). Die Sozialplattform für Kontaktgestörte fährt mir seit einiger Zeit in die Parade. Ich möchte mich nur über Künstlerneuigkeiten informieren, da springt mir bereits ungefragt der bandeigene Twitter-Blog ins Gesicht und martert mich mit Auskünften, deren Haltwertzeit kaum im Nanobereich nachzuweisen ist. Ach so, falls Sie Twitter nicht kennen: online anmelden, dann absurde Kurznachrichten ins Handy jagen und schon besteht die Chance, dass ihnen „Followers“ hinterher hecheln wie die rollige Katze dem Kater. Vorausgesetzt Sie können mit einem spannenden Tagesablauf diesseits der obligatorischen Toilettenbesuchszeiten aufwarten. Oder den Spieß umdrehen, ihre ersten Gehversuche als virtueller Stalker wagen und ihr Opfer verfolgen, das sie stündlich mit Gräuelnachrichten verhätschelt. Aber Vorsicht! Nicht wenige sind sich zu schade, uns bis in die Tiefen der Bremsspuren ihrer Unterhosen mitzunehmen. Belanglosigkeit ist Trumpf.

Und wo die sich trollt, ist die Musikindustrie nicht weit. Knackige Promo-Botschaften werden minütlich als Info-Ei gelegt. Und die Fans der Twitter-Bands gackern ganz aufgekratzt, wenn die Ultramaxisingle als USB-Stick geordert werden kann. Bei Abschluss einer zehnjährigen Familienklubmitgliedschaft. Zahlbar im Voraus. Twitter-Auswahl gefällig? Bitteschön: „Arrived at Puno (REM), European tour dates announced! (Pearl Jam), Looking forward to Stanford this morning (MC Hammer), We are busy, busy people, aren‘t we? (Yoko Ono), Dentist. Boo (Pink), Live your life! (John Mayer) Had a good bike ride today (Plattenfirma undergradtv)“. Klar, dass bei derart mitreißendem Inhalt der Twitterzwang steigt. Alle müssen mit. Doch spätestens wenn ein Soziopath vor Ihrer Tür steht, weil er Sie mit Google Earth und Twitter geortet hat, wird auch diese hysterische Vermarktungsmaschine ihr jähes Ende finden. Dann zwitschern andere Vöglein. So oder so.

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