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Mit pädagogischem Feingefühl gibt Bauckholt beim Gesprächskonzert ihre ausgetüftelte Klangvorstellung an  Musikstudierende weiter. Foto: Reinhard Jakubek
Mit pädagogischem Feingefühl gibt Bauckholt beim Gesprächskonzert ihre ausgetüftelte Klangvorstellung an Musikstudierende weiter. Foto: Reinhard Jakubek
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Über die Abstraktion des Alltäglichen

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Carola Bauckholt im Portrait bei den Internationalen Weingartener Tagen für Neue Musik 2014
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Bereits seit 1986 wird das oberschwäbische Weingarten einmal im Jahr zum Mekka für Komponisten und Liebhaber der Neuen Musik. Initiiert von der Pianistin Rita Jans, sind die Internationalen Weingartener Tage für Neue Musik heute ein Festival, das durch die Kulisse Deutschlands größter Barockbasilika und insbesondere der Nähe zu den Komponisten seinesgleichen sucht. Im Gegensatz zu den Festivals in Darmstadt oder Donaueschingen, in denen Zeitströmungen in ihrem breiten Spektrum beleuchtet werden, sind die Weingartener Tage für Neue Musik traditionell einem Komponisten gewidmet. In diesem Jahr stand das Werk Carola Bauckholts im Zentrum des dreitägigen Musikfestivals.

Wer versucht, die Musik der 1959 in Krefeld geborenen Komponistin mit Worten zu beschreiben, wird schnell an sprachliche Grenzen stoßen. Bauckholt hat durch ihren neugierigen Blick auf Gewohntes und die damit verbundene Belebung und das Bedürfnis nach Fülle von Phantasie und Gedanken, eine ganz persönliche Tonsprache geschaffen.

Ungewohnte Klangfarben, Geräusche und anfangs noch so kleine, alltägliche, der Umwelt abgelauschte Höreindrücke bilden die Basis für ihre Kompositionen. Neben dem Alltagsbezug sind Bauckholts Kompositionen geprägt von basalen ästhetischen Erfahrungen und gewachsen aus erlebten Situationen, klingenden Gegenständen. Sie selbst sagt hierzu folgendes: „Ich muss die Dinge irgendwie erleben. Ich muss etwas gehört haben, was mich berührt oder etwas selbst gefunden haben, was mich berührt hat. Es ist immer die Berührung, die als Ausgangspunkt stattgefunden haben muss.“

Eröffnet wurde das dreitägige Festival mit dem Kölner Schlagquartett, Karin Hellqvist (Violine), Caspar Johannes Walter (Violoncello) und Helena Bu-gallo (Klavier). Dass Musik nicht immer einer klassischen Spieltechnik und instrumententypischen Klängen unterliegen muss, zeigte das Werk „Hirn & Ei“, bei dem das Schlagensemble Köln auf Gore-Tex-Jacken musizierte. Die Basis für dieses Werk bilden rhythmisierte Wischklänge, welche durch feine Veränderungen der Artikulation variiert und umgedeutet werden können. Dieses Stück entstand als Auftragskomposition für das Schlagensemble und wurde den Musikern somit sprichwörtlich auf den Leib geschneidert. Auch in den anderen Kompositionen des Abends stand der Einsatz und das plötzliche Erscheinen von alltäglichen Gegenständen, als Interpunktion von feinen Geräuschklängen, im Vordergrund. So integrierte Bauckholt in „langsamer als ich dachte“ einen Diaprojektor ins Geschehen, der mit seinen mechanisch-ratternden Geräuschen und den Texten der projizierten Dias eine Symbiose mit Schlagzeug und Violoncello einging und nicht nur mediale Übergänge ermöglichte, sondern auch Geräusche subtil zu Klängen erwachen lies.

Im bereits traditionellen Gesprächskonzert stellten drei Nürnberger Musikstudenten und Schülerinnen aus Biberach ihre Interpretationen von zwei ausgewählten Werken Bauckholts vor. Schnell wurde klar, dass die Klangwelt der Komponistin ganz besondere Ansprüche an den Interpreten stellt. Das ästhetische Verständnis Bauckholts fokussiert nicht etwa das Fremde oder Abstrakte, sondern das Alltägliche und Naheliegende, das bei genauer Betrachtung merkwürdig erscheint, wie das Haar unter dem Mikroskop. Umgekehrt entpuppt sich ebenso oft das Fremde als etwas Naheliegendes. Mittels einer veränderten Neugierde und der Trennung von individuellen Erinnerungen zu Geräuschen, verhalf Bauckholt den Musikern zu einer veränderten Herangehensweise und einem ganz neuen Verständnis für ihre Werke.

Im Zentrum des dritten Konzerts standen – zunächst – sehr bildhaft wirkende Titel für Orchester, wie „Laufwerk“, „Keil“ oder „Lichtung“, welche vom Cikada Ensemble aus Oslo gespielt wurden. Doch wer das Werk Bauckholts kennt, weiß, dass es in ihren Kompositionen nicht um eine originalgetreue Reproduktion von Hörerfahrungen, sondern um eine Erweiterung der Klangfarbenpalette und der Schöpfung neuer musikalischer Klangzusammenhänge geht. Für Bauckholt bildetet die Irritation die Grundlage, ein Werk nicht bloß als musikalische Mimesis zu sehen, sondern das Eigenleben des musikalischen Materials zu erleben: „Ich will nicht nur ein Abbild, sondern ich will ja die Substanz treffen. Das kann man vergleichen mit jemandem, der ein Ölbild malt. Da gibt es eben nicht nur das, sondern da gibt es die ganze Situation herum, die Grundierung, den Vordergrund, den Hintergrund und so weiter.“

Den Abschluss der Musiktage, welche nur einen kleinen Einblick in die musikalische Bandbreite von Bauckholts Schaffen geben konnten, bildete das Konzert mit den Stuttgarter Vocalsolisten. Das genuin szenische Denken der Komponistin wurde hier besonders deutlich. Mit Werken wie „Stroh“, „Instinkt“ oder dem musiktheatralischen „grave“ schloss sich der Kreis um Bauckholts Werk und der Alltag auf dem Weingartener Martinsberg kehrte zurück, den die Besucher des Festivals nach diesen Konzerten mit ganz neuen Ohren hören werden.

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