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Titelseite der nmz 2020/02
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Van-Tomas?

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Theo Geißler über musikalische Bildung im Beethoven-Tsunami
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Es kommt nicht allzu häufig vor, dass in unserer weitgehend zahlengesteuerten Gesellschaft die so genannte „klassische Musik“ mal sonderliche Aufmerksamkeit genießt. Allenfalls blondierte Geigenschinder wie André Rieu lassen mit weichgespülten Bach- oder Mozart-Arrangements, gestützt durch volkstümlich hinterherträllernden Chor und meist zusammengewürfeltes Rumpforchester ein marketinghöriges, ansonsten nicht unbedingt ernsthaften Kompositionen zugeneigtes Publikum Konzerthallen füllen, im Fandelirium jubeln und dafür kräftig löhnen.

Da sollte man als geschmacklich etwas streng gestrickter Kulturmensch eigentlich in ungehemmte Freude ausbrechen, wenn einem musikalischen Genie wie Ludwig van Beethoven nicht nur von den üblichen engen Kenner-Zirkeln, sondern auch von den „Influencern“ der Unterhaltungswelt (von Medien-Abfüllern, deren Macher bis vor kurzem gar nicht wussten, dass Fidelio keine Wimperntusche ist) ein ganzes Jahr gewidmet wird. Schuld daran ist freilich nicht eine zauberische Bildungs- und Geschmacks­erweiterung. Sondern wie heute üblich eine Zahl. Ein zweihundertfünfzigster Geburtstag, dessen üppige Umsatz-Moneten-Torte natürlich nicht mehr dem Jubilar, aber seinen mehr oder viel weniger kompetenten Verwertern aller Art köstlich schmecken dürfte. Abgesehen von jeder Menge teils sicherlich hochwertiger Konzerte und wertvoller wissenschaftlicher Durchdringungen werden Devotionalien wie Briefmarken oder Gedenkmünzen produziert, vom künstlerischen Ausdruck her auf dem Niveau gehäkelter Klopapierrollen-Bezüge in Auto-Rückfenstern. Letzteres lohnt sich finanziell.

Sicher gibt es Initiativen, die den Fokus ihrer Arbeit auf qualitätvolle musikalische Bildung setzen. Die – getragen vom diesjährigen Beethoven-Tsunami – aus verschiedenen Quellen Gelder erhalten, mit denen fantasievolle Projekte zumindest kurzfristig umgesetzt werden können. Höchste Zeit, gerade junge Menschen aus der auch im Musikbereich weit verbreiteten Geschichtsvergessenheit zu wecken.

Geschuldet ist dieser Gedächtnisschwund einer üblen Missachtung zum Beispiel eben der Musik im Fächerkanon unserer vom Digitalfetischismus befallenen Bildungseinrichtungen aller Stufen. Bayerns „Freie Wähler“ haben den Juristen Michael Piazolo als Staatsminister für Unterricht und Kultus in die Regierung transplantiert. Und der stellt seine Kompetenz unter Beweis, indem er angesichts grausiger Fehlplanungen bei der Ausbildung von Lehrern laut „Augsburger Allgemeine“ rät, ausschließlich in Fächern wie Sport und Musik pädagogisch unerfahrene Quereinsteiger einzusetzen. Dafür erhielt er vom Bayerischen Musikrat und dessen Präsidenten Thomas Goppel leider nur brieflich eine hochverdiente „Watschn“. Piazolos offensichtliche MINT-Fixiertheit lässt an seiner Eignung für das verantwortungsvolle Amt zweifeln. Vielleicht findet sich irgendwo in dieser Republik eine Musikschule, die es wagt, sich im Bereich der Früherziehung auch eines besonders beschränkt denkenden Individuums im Feld der so genannten „weichen“ Unterrichtsfächer aufklärend anzunehmen. Aus Diskretionsgründen Angebote bitte schriftlich an das Staatsministerium, München, – nicht Beethoven-, sondern Salvatorplatz.

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