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Titelseite des Hochschulmagazins des nmz 2021/12.
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Viele freie Stellen, viel Konkurrenz

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Zur aktuellen Situation auf dem Orchesterarbeitsmarkt
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In der deutschen Orchesterlandschaft spielt sich gerade ein beispielloses Ereignis ab: Wohl zu keinem anderen Zeitpunkt seit der unmittelbaren Nachkriegszeit waren derart viele Orchesterstellen ausgeschrieben wie in den vergangenen Wochen und Monaten – auch dies eine der zahlreichen Auswirkungen der Corona Pandemie, denn bis auf wenige Ausnahmen durften die meisten Orchester bis zum April dieses Jahres weder Stellen ausschreiben noch Probespiele abhalten.

Nachdem diese Spielzeit nun wieder auf (annähernd) Vor-Corona-Betrieb zurückgeschaltet wurde und wieder in voller Besetzung gespielt werden darf, stellen die Folgen dieses Nachwuchsstopps die Orchester vor große Herausforderungen. Erste, teils deutliche Ausfallerscheinungen machen sich bemerkbar. Denn selbstverständlich sind während der vergangenen mehr als anderthalb Jahre KollegInnen in den Ruhestand oder in Elternzeit gegangen oder haben aus gesundheitlichen oder sonstigen Gründen ihr Orchester verlassen. Um die Lücken in den Besetzungslisten zu schließen oder zumindest zu stopfen, werden momentan zahlreiche Praktikumsplätze, Akademistenstellen, Zeitverträge und Stellen ausgeschrieben und Probespiele abgehalten. Goldene Zeiten also für Orchestermusikerinnen und -musiker beziehungsweise solche, die es einmal werden wollen?

Wohl kaum. Dem großen Angebot an freien Stellen steht eine deutlich größere Nachfrage gegenüber. Viele Studierende haben den Abschluss ihres Studiums hinausgezögert, um nicht während Pandemiezeiten ins Berufsleben starten zu müssen (was wiederum die Konkurrenz auf freie Studienplätze für StudienanfängerInnen vergrößerte, da die Zahl der angebotenen Studienplätze sich auch danach richtet, wie viele Plätze in den jeweiligen Klassen frei werden) und kommen nun mit den Jahrgängen unter ihnen gemeinsam auf den Arbeitsmarkt. Auch streben wegen der Corona-Pandemie viele erfahrene MusikerInnen und Musiker, die vormals freischaffend tätig waren, in die relative Sicherheit der Festanstellung beim Orchester. Je nach weiterer Entwicklung der Pandemie spricht vieles dafür, dass sich das Überangebot in naher Zukunft von selbst regulieren oder aber, falls die anrollende vierte Welle weitere Probespiele verhindert, das Nachwuchsproblem weiter verschärfen wird. Wir haben die Orchester mit den meisten Vakanzen angefragt, wie sich die Pandemie auf ihre Probespiele ausgewirkt hat und welche Maßnahmen sie ergriffen haben, um deren sicheren Verlauf zu gewährleisten.

Problem Probespiel

Wie bei vielen anderen Orchestern ist die gegenwärtige Spielzeit der Bamberger Symphoniker besonders dicht mit Terminen gefüllt. Zahlreiche Konzerte, Gastspiele und Produktionen, die in den vergangenen anderthalb Jahren ausgefallen sind oder teils mehrfach verschoben wurden, werden nun nachgeholt. Für die vielen Probespiele, die derzeit durchgeführt werden müssen, ergeben sich damit durchaus terminliche Schwierigkeiten. Aus dienstlichen Gründen besteht nicht immer die Möglichkeit, diese vor- beziehungsweise rechtzeitig anzusetzen. Entzerrt werden die Auswirkungen auf den Spielbetrieb jedoch dadurch, dass die Kolleg*innen, deren Stellen bereits ausgeschrieben wurden, teilweise erst zu späteren Zeitpunkten in den Ruhestand gehen. Neu an den derzeit durchgeführten Probespielen ist sicherlich die (noch striktere) Trennung zwischen den Kandidatinnen und Kandidaten, der Jury und dem Orchester. Abgeschirmte, eigene Zugänge, Aufenthalts- und Einspielräume für die KandidatInnen ermöglichen es, dass es zwischen den Gruppen zu keinen Kontakten jenseits der Bühne kommt. Darüber hinaus gilt bei allen Orchestern die Getestet-, Geimpft- oder Genesen-Regel. Verglichen mit Vor-Corona-Zeiten ist der Kreis an Kandidatinnen und die Kandidaten, die tatsächlich nach Bamberg zu den Probespielen eingeladen werden, deutlich kleiner. Dies ist dem Umstand verschuldet, dass den Bambergern nur eine begrenzte Zahl an Stimmzimmern zur Verfügung steht und das Hygienekonzept eine Mehrfachbelegung der Räume nicht vorsieht. Die Zahl an Stimmzimmern stellt hier gleichzeitig also auch die Obergrenze dar. Trotz der erhöhten Bewerberzahlen können also nicht bei jedem Orchester tatsächlich auch mehr BewerberInnen eingeladen werden (ganz im Gegenteil!). Laut der Bamberger Symphoniker sei aber auffällig, dass im Unterschied zu Vor-Corona-Zeiten spürbar mehr der eingeladenen Kandidatinnen und Kandidaten tatsächlich auch zu den Probespielen erschienen – auch dies also ein Ausdruck eines gestiegenen Interesses, ins Orchester zu kommen.

Das Gürzenich-Orchester hat die Gelegenheit genutzt und im Zuge der ersten Lockerungen im vergangenen Sommer zahlreiche Stellen ausgeschrieben (und auch einige davon besetzt), sodass die Folgen des Nachwuchsmangels derzeit nicht allzu spürbar sind. Bedingt durch seine Größe gibt es jedoch immer diverse Stellen, die offen stehen – insbesondere die Solopositionen, die aus Qualitätsgründen nur äußerst sorgsam besetzt werden. Im Fall des Gürzenich-Orchesters kommt neben den Verzögerungen durch die Lockdown-Phasen allerdings noch hinzu, dass derzeit ein Generationenwechsel stattfindet: Im Zuge der Umsiedlungen aus dem Gürzenich in die Kölner Philharmonie 1986 sind neue Planstellen geschaffen worden; diese Generation geht nun nach und nach in den Ruhestand. Abgesehen davon, dass sich das Orchester derzeit mit mehr Aushilfen und Aushilfsverträgen Abhilfe verschafft als zuvor, birgt die Situation an sich aber wenig Neues. Ungewöhnlich ist lediglich, dass sich nun auch auf „Nischenpositionen“ deutlich mehr KandidatInnen bewerben. Auf die unlängst ausgeschriebene Stelle als Schlagwerker etwa bewarben sich nicht weniger als 240! – Zahlen, die das Orchester vormals nur von Bewerbungen auf Tuttipositionen kannte. Aufgrund der Größe der Kölner Philharmonie konnten tatsächlich auch alle BewerberInnen (unter Einhaltung eines rigorosen Hygienekonzepts) vorspielen. Dies stellte einerseits eine deutliche Mehrbelastung für die Mitglieder des Orchesters dar, anderseits verkleinerte es natürlich auch die Chancen für die KandidatInnen immens.

Anders als das Gürzenich-Orchester konnte die Sächsische Staatskapelle während der verschiedenen Lockdown-Phasen ab März 2020 bis zum Frühjahr 2021 gar keine Probespiele durchführen. Aus diesem Grund stehen viele Stellen – wenn auch nicht ungewöhnlich viele Stellen – offen, die durch Aushilfen oder die SatzkollegInnen kompensiert werden. Als renommierter Klangkörper erhielt die Staatskapelle auch vor Corona bereits zahlreiche Bewerbungen auf offene Stellen, sodass hier kein deutlicher Anstieg zu verzeichnen ist. Im Unterschied zum Regelbetrieb dürfen sich aufgrund des Hygienekonzepts der Semperoper, auf deren großen Bühne die Probespiele stattfanden und -finden, dieses Jahr jedoch maximal zwölf Personen pro Probespiel präsentieren.

Sonderfall Rundfunkorchester

Auch beim Rundfunk Sinfonieorchester Berlin sind derzeit mehr Stellen vakant als gewöhnlich. Anders als bei anderen Orchestern setzt sich die große Zahl an offenen Positionen jedoch nicht primär aus Pensionären zusammen – beim RSB fand der Generationenwechsel bereits kurz vor Beginn der Pandemie statt, sodass das Orchester insgesamt vergleichsweise jung ist –, sondern aus langwierigen krankheitsbedingten Ausfällen und vor allem aus Personen, die das Orchester verlassen haben, um mit ihren Partner*innen in anderen Städten zusammenzuziehen. Als Rundfunkklangkörper galten und gelten für das RSB besonders strenge Hygienevorschriften, sodass es Auswärtigen zeitweise gänzlich untersagt war, die Gebäude des Rundfunks zu betreten. Gegenwärtig finden auch hier die Vorprobespiele via Zoom statt (es freue sich, wer eine stabile Internetverbindung hat), während die Hauptrunden vor versammeltem Orchester erfolgen.

Manche Orchester wiederum hatten mehr Glück als die anderen. So unterscheidet sich etwa das WDR Sinfonieorchester dahingehend von den anderen befragten Klangkörpern, dass es das einzige Orchester ist, welches während der verschiedenen Lockdown-Phasen durchgehend Probespiele abhalten konnte. Hier profitierte es sehr von der Kölner Philharmonie, die es aufgrund ihrer Größe ermöglichte, die Wege zwischen Kandidat*innen und Orchester vollständig zu trennen und sich auch die schärfsten Hygieneregeln befolgen ließen. Die Vorrunden konnten zudem außerhalb der Philharmonie und des Rundfunkgebäudes auf dem Studiogelände des WDRs abgehalten werden – große, leerstehende Hallen. Dass dort der Klang nicht gerade ideal war, wurde gerne in Kauf genommen. Beim WDR ergeben sich die vakanten Positionen also aus dem normalen Betrieb, teils weil Kolleg*innen in den Ruhestand gingen, teils waren Probespiele nicht erfolgreich oder wurden Probejahre nicht bestanden. Auch haben einige Mitglieder das Orchester verlassen, um sich als Solisten selbstständig zu machen oder anderswo Professuren anzunehmen. Auffällig sei aber insbesondere gewesen, dass der WDR gerade zu Beginn der Pandemie deutlich mehr BewerberInnen aus dem Ausland, vor allem aus dem Vereinigten Königreich und den Vereinigten Staaten erhalten habe, also von dort, wo die Orchester ihre Mitglieder nahezu unmittelbar nach dem ersten Lockdown auf die Straße gesetzt haben.

Für das WDR-Sinfonieorchester, wie auch für alle anderen befragten Orchester, gilt, dass es aufgrund der Attraktivität der Stellen keine Bedenken gibt, dass die Vakanzen, trotz der derzeit erhöhten Konkurrenz der Orchester untereinander, erstklassig besetzt werden können. Einig waren sich außerdem alle befragten Orchester, dass sie ihre Stellen mit der gleichen Sorgfalt besetzen werden wie in Vor-Pandemie-Zeiten und diese lieber offen halten würden als Abstriche bezüglich der Qualität des Orchesterklanges zu machen.

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