Hauptbild
In der brasilianischen Tradition verwurzelt – in der Gegenwart zuhause: Hamilton de Holanda. Foto: Bento Viana
In der brasilianischen Tradition verwurzelt – in der Gegenwart zuhause: Hamilton de Holanda. Foto: Bento Viana
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Virtuosität gepaart mit musikalischer Reife

Untertitel
Hamilton de Holandas Hommage an die Musik von Chico Buarque
Publikationsdatum
Body

„Zwei Apfelsinen im Haar und an der Hüfte Bananen ...“ zwitscherte France Gall 1968 den deutschen Schlagertext zu einer Sambamelodie des brasilianischen Liedermachers Chico Buarque und blieb mit ihrer etwas hektischen und ungelenken Interpretation hinter dem entspannt rollenden Original „A Banda“ zurück, das Buarque 1967 selbst eingesungen hatte.

Typisch für die damalige Zeit, in der man im europäischen Schlager zwar gerne exotische Einflüsse aufnahm, damit aber nicht immer ganz überzeugend umzugehen wusste. In Brasilien sind die Melodien des 1944 in Rio geborenen Songwriters und Autors heute ein ebenso fester Bestandteil des heimischen Kulturguts wie die Welthits von Tom Jobim, weshalb sich jetzt der brasilianische Mandolinenvirtuose Hamilton de Holanda – interessanterweise ein Namensvetter Chico Buarques (dessen bürgerlicher Name: Francisco Buarque de Hollanda) – mit einem Tributealbum vor dessen kompositorischem Schaffen verneigt hat: „Samba de Chico“ (MPS).

Der in Rio geborene Saitenvirtuose Holanda, der im Frühjahr seinen 40. Geburtstag gefeiert hat und kurz darauf im Mai mit dem Echo Jazz ausgezeichnet wurde, kann mit inzwischen rund 30 eigenen CD-Produktionen als äußerst produktiv bezeichnet werden. In der Vergangenheit hat er sowohl in verschiedenen Jazzensemble-Besetzungen als auch solo oder in intimen Kleinstbesetzungen – wie dem fantastischen Duo mit dem italienischen Pianisten Stefano Bollani („O Que Será“, ECM) – seine enorme stilistische Bandbreite gezeigt. Dabei konnte er sein 10-saitiges Bandolim (eine portugiesische Mandoline – bei Holanda mit fünf doppelchörigen Saiten ausgestattet, statt der üblichen vier) stilistisch nicht nur für seine große Leidenschaft, den brasilianischen Choro, sondern auch in modernen Fusionensembles und klassischen Modernjazzbands durchwegs überzeugend einsetzen. Die Virtuosität und musikalische Reife Holandas blieb auch der internationalen Jazz-welt nicht verborgen, wovon Kooperationen mit Jazzgrößen wie Wynton Marsalis, Chick Corea oder dem französischen Akkordeonisten Richard Galliano Zeugnis ablegen, und auch Wayne Shorter hat bereits seinen Wunsch nach einer Zusammenarbeit mit dem Brasilianer geäußert. Auf der im Herbst erscheinenden Veröffentlichung des deutschen Klarinettisten Rolf Kühn, ebenfalls frisch gebackener Echo-Jazz-Gewinner, wird Holanda als Gast zu hören sein – eine „Label-Kooperation“ von MPS.

Auf seiner eigenen neuen CD „Samba de Chico“ richtet der Bandolimvirtuose den Blick allerdings einmal mehr auf die Musik seiner Heimat, indem er sich ganz den Kompositionen von Chico Buarque widmet, die in Brasilien als Klassiker gelten. Nur der Titeltrack stammt aus Holandas eigener Feder. Und gerade bei schnellen Stücken wie diesem, wenn Holanda mit unglaublicher Leichtigkeit rasende Läufe und typische Latinjazz-Akkordbegleitung kombiniert, erinnert der mal metallisch perlende, mal akustisch perkussive Klang des Bandolim an den Gypsy-Sound von Django Reinhardt. In Triobesetzung mit dem Percussionisten Thiago da Serrinha sowie den beiden sich abwechselnden Bassisten Guto Wirtti und André Vasconcellos soliert sich das Bandolim federleicht durch Chico Buarques Musik – bei jeweils zwei Stücken ergänzt durch das Piano von Holandas kongenialem Duopartner Stefano Bollani, durch die Stimme der katalanischen Sängerin Sílvia Pérez Cruz und durch den inzwischen 72-Jährigen Chico Buarque selbst, der ebenfalls als Sänger zu hören ist. Und weil es ohne die Apfelsinen im Haar nicht gehen würde, gibt es als Bonustrack am Ende noch „A Banda“ in einer leicht humoristischen Instrumentalversion mit Pizzicato-Begleitung.

Auf „Samba de Chico“ präsentiert sich Holanda repertoirebedingt weniger jazzig als zuweilen in der Vergangenheit, wie beispielsweise mit seinem recht experimentellen Quintett, aber auf virtuose Läufe und Kapriolen auf seinem 10-saitigen Spielgerät muss man auch diesmal nicht verzichten. Diese Reverenz an einen großen Protagonisten der populären brasilianischen Musik der letzten Jahrzehnte, die so weit in die Musik anderer Kulturkreise ausgestrahlt hat, ist wie ein Spiegel von Holandas eigener Musikwelt, in der die Einflüsse der großen musikalischen Strömungen immer in Dialog mit dessen brasilianischen Wurzeln treten. Eine Welt, in der Virtuosität dankenswerter Weise nie ohne Musikalität auskommen muss.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!