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Rapper Xuman geht für die Biennale auf Sendung. Foto: Keyti
Rapper Xuman geht für die Biennale auf Sendung. Foto: Keyti
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Vom Musiktheater zum Polit-Theater

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Zur dritten Ausgabe der Münchener Biennale unter der Doppelspitze Tsangaris-Ott
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Nach dem Corona-Lockdown Mitte März herrschte zunächst bleiernes Schweigen – doch im wunderschönen Monat Mai, da sprossen schon die ers­ten, neuen Konzert-Pflänzchen durch das engmaschige Netz der Kontaktsperrevorschriften. Egal ob die Tage neuer Kammermusik in Witten, das Moers-Festival oder das Mozartfest Würzburg – alle gaben ihre individuelle Antwort auf die Krisensituation.

Auf die Antwort der Münchener Biennale war man besonders gespannt. Hatten doch die Doppel­intendanten Manos Tsangaris und Daniel Ott eine „dynamisierte Fes­tivalausgabe aufgrund der Corona-Pandemie mit unterschiedlichen Uraufführungsterminen und Spielorten in München und außerhalb“ versprochen.  

Die beiden setzen auch bei ihrem dritten gemeinsam verantworteten Fes­tival für neues Musiktheater auf ein gehaltsästhetisches Konzept: Man begab sich wieder mitten hinein in soziologische Diskurse und politische Debatten, kreuz und quer zwischen Digitalisierung, Atomisierung der Gesellschaft, Nord-Südkonflikt, den Folgen der Migration und der Globalisierung. Das Festival als Ort der politischen Bildung? Was sich trocken anhört, war im Einzelnen spannend, kontrovers, sehenswert und manchmal auch musiktheatralisch.

Subnormal Europe

Die Festival-Live-Premiere der Biennale fand nicht im Münchener Gasteig, sondern Mitte Juni, einen Monat nach dem offiziellen Start, im Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) in Karlsruhe, statt. Man war aber nicht nur nach Karlsruhe ausgewichen, weil man in München noch nicht durfte, sondern weil in der Fächerstadt die  Produktionsbedingungen für ein multimediales Kompositionsprojekt wie „Subnormal Europe“ ideal waren und der Auftrag an das junge spanische Künstlerduo Belenish Moreno-Gil und Óscar Escudero als Multi-Koproduktion im Netzwerk für formübergreifende Musiktheaterformen vergeben worden war. Damit ist auch schon die Frage beantwortet, ob neues Musiktheater denn nicht häufiger gespielt werden müsste als nur am Tag seiner Uraufführung. Statt der 300 Zuseher, die im ZKM-Medientheater Platz gefunden hätten, waren pandemiebedingt etwas über 20 geladene Gäste anwesend. An digitalen Besucher des Premieren-Streams wurden knapp 100 gezählt.

„Subnormal Europe“ ist Konzeptkunst, die den Fortschritt im Bereich der Audiovision in verschiedenen Metaebenen thematisiert. Es geht um die erste Tonaufnahme der Geschichte, die erste Bewegtfilmsequenz oder die erste große Veranstaltungsübertragung (hier: 1936 von den Olympischen Spielen in Berlin). Um diese paradigmatischen Materialien der Dokumentation und der Repräsentation herum schufen die beiden Komponisten mit dem Toningenieur Sebastian Schottke und der Kontra-Altistin und Performerin Noa Frenkel eine Live-Aufnahmesession, die ihren aus der Improvisation gewonnenen Charakter nicht verbergen wollte. Die Komponisten und der Toningenieur jagten Noa Frenkel eine Stunde lang durch Massen von Texten und Visuals. Ihre komplizierten Gänge über die Bühne, schnell wechselnde Positionen und Gesten im Rhythmus der Bilder – beinahe schon Tanztheater –, dazu Frenkels Stimm- und Gesangsakrobatik machten die Zuschauer schwindeln. Sehenswert auch das digitale Bühnenbild, vom Hertz-Labor Ludger Brümmers auf drei großen bühnenfüllenden Leinwänden inszeniert. Man zeigte, was man drauf hat im ZKM.

Journal Rappé

2013 entwarfen die senegalesischen Rapper Xuman und Keyti ein satirisches Nachrichten-Magazin, das „Journal Rappé“. Alle Sprecher und Korrespondenten rappen ihre Beiträge. Um dieses musikalische Bürger-Fernsehen nach München zu holen, hatte die Biennale erstmals mit der Musikplattform Music in Africa (MiA) kooperiert. Die Plattform war vor fünf Jahren von der in München beheimateten Siemens Stiftung ins Leben gerufen worden. Bei der Online-Satire über Themen wie Migration und Menschenverachtung, Diskriminierung von Frauen, das desaströse Gesundheitswesen vieler afrikanischer Staaten, Korruption und andere heiße Eisen Afrikas blieb einem das Lachen oft im Halse stecken. Zehn Mal boten Xuman und Keyti in ihrem „Journal Rappé“ grooviges Polit-Theater vom Feinsten.

Wer meint, verglichen mit den Lebensumständen in manchen afrikan­ischen Staaten, man könne sich hierzulande sicher fühlen wie in Abrahams Schoß, den belehrten die niederländisch-belgische Komponistin Cathy van Eyck und ihr Librettist und Regisseur Schorsch Kamerun eines Besseren. In „M – eine Stadt sucht einen Mörder“ inszenieren sie mit den Schauspielern des Residenztheaters  eine Großstadt – M wie München –, in der allgemeine Verunsicherung herrscht. Wer hat Angst vor was und warum? Diese Fragen ziehen sich durch die Konzertinstallation nach der gleichnamigen Vorlage von Fritz Langs Filmklassiker aus dem Jahre 1931. 

Eine Stadt „M“ als Ort der Angst

München, das größte Dorf Bayerns,  das war einmal. Die Landeshauptstadt hat sich anderen Metropolen angeglichen und kommt ihren Bürgern längst nicht mehr vertraut und heimelig vor, sondern als ein Ort, wo sich alte und neue, reale und irreale Ängste massiv manifestieren. Fritz Langs Berlin der 30er-Jahre als Ort der Angst wird zu einer Folie der Gegenwart. Trotz coronabedingter Umarbeitung des Musiktheaters zum Hörstück schaffen es die Resi-Schauspieler, den Hörer in die Identifikation mit vielen Situationen der Angst hineinzumanövrieren. Immer wieder flackern im Libretto von Kamerun die populären – Intensität verleihenden – Originaldialoge aus dem Fritz-Lang-Film auf. Leider bleiben die Klanglandschaften Cathy van Eycks „nur“ auf die Funktion als Theatermusik reduziert, ihre Musik bleibt illustrativ und gewinnt kaum Autonomie. Das ist schade, denn wer van Eycks Arbeiten kennt, weiß, wie angstfrei sie sich in klangliches Neuland vorwagt.

Ein Festival unter dem Virus – das heißt auch, es ist noch lange nicht zu Ende. Einige Aufführungen werden erst in den nächsten Wochen und Monaten zu erleben sein, je nach Gefahrenstand durch die Pandemie. Auch wenn das Programm gehaltsästhetisch und soziologisch aufgepumpt wirkte, die von Ott und Tsangaris versprochenen „Sichten und Wunder“ machten das Publikum immer wieder aufs Neue staunen.

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