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Von Altgold zu Tiefbraun

Untertitel
Eine politische Geschichte der Salzburger Festspiele zwischen 1933 und 1944
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Die Lese-Enttäuschungen zuerst: Salzburgs „Heilige Kuh“ wird nicht geschlachtet; der Aufstieg des Salzburgers Herbert von Karajan als „doppeltes“ NS-Mitglied – durch zweimaliges Eintreten – wird nicht so historisch-kritisch dargestellt und bewertet, wie das endlich von einem wissenschaftlich fundierten Buch und neuerlichen Recherchen zu erwarten gewesen wäre.

Insofern führt Robert Kriechbaumer mit zehn Karajan-Stellen auf 445 Seiten kaum über den Band 1 der 1990 im Salzburger Residenz-Verlag erschienenen Festspielgeschichte der Autorinnen Fuhrich und Prossnitz hinaus. Hinter Peter Uehlings Feststellungen in dessen Karajan-Biographie bleibt er sogar weit zurück … Rücksicht in einem der umstrittenen Festspielpräsidentin Rabl-Stadler gewidmeten Buch? Das wirkt umso inkonsequenter, als den in Goebbels Festspielleitung geförderten Dirigenten Böhm, Knappertsbusch, Furtwängler und vor allem Clemens Krauss gut charakterisierende Porträts gewidmet sind.

Im gesamten Aufbau machen sich einmal die Schwäche oder gar das Fehlen eines fachlich gewichtigen Lektorats als Gegenüber zum Autor, zum anderen die durchscheinende Entstehung des Bandes aus einer Vielzahl von Einzelstudien ermüdend bemerkbar: Die Aufteilung in Kapitel, die viele Einzelaspekte beleuchten, führt zu vielfachen Überschneidungen und Wiederholungen. Allein die Verteilung von 43, teils seitenlangen Aussagen und zahlreichen Details zur antifaschistischen Rolle Arturo Toscaninis 1933–38 über eine Fülle anders betitelter Kapitel hinweg ist dafür ein bedauerliches Beispiel.

Gelungen und für den historisch, ideologie-, geistes- und kulturgeschichtlich interessierten Leser ist dagegen Kriechbaumers Intention, eine politische Geschichte der Festspiele zu schreiben. Richard Wagners Diktum – „Das absolute Kunstwerk ist ein vollständiges Unding“ – gilt in vollem Umfang. Kriechbaumer zeichnet beeindruckend den „goldenen Herbst“ österreichischer Selbstbehauptung und Selbstvergewisserung durch die zunehmende politische Instrumentalisierung der Kultur im Festspielort: Insbesondere in den Jahren nach 1933 versteht man sich als Antipode zur „neuen deutschen Kultur“ der Nazis. Deren „Kulturkampf“-ähnliche Maßnahmen – die 1.000-Reichsmark-Abgabe für deutsche Salzburg-Reisende; der Absage-Druck auf deutsche Künstler; der diffamierende Boykott des „Juden-Festivals“; die zunehmenden Hetzreden, Flugblattabwürfe, Demonstrationen und sogar Bombenanschläge österreichischer Nazis unter anderem – führen andererseits zur Internationalisierung der Festspiele. All das gipfelt im „deutschen Rom“ etwa in den Festen Max Reinhardts auf seinem Schloss Leopoldskron wie auch im damaligen Promi-Reigen mit Namen wie Roosevelt, Windsor, Schaljapin, Fairbanks, Wilder, Maugham, Remarque, Dietrich, Zweig, Hofmannsthal, Wells, Schnitzler, Joyce …

Ebenso zitatreich wird die kulturpolitische Machtübernahme durch die Nazis offengelegt – bis hin zur Rivalität zwischen Hitler (Bayreuth-affin), Göring (Staatstheater-Protektor) und Goebbels, der Salzburg zu „seinem“ Festival machen will, was durch den Weltkrieg immer weniger gelingt. Hier führt Kriechbaumer auch die österreichischen Mitläufer und Mitmacher, ihre bereitwillige Korruption aus Karrieregründen samt ihren heute gespenstisch wirkenden Aussagen auf.

In diesen anschaulichen Kontrasten zwischen kultureller Weltoffenheit, ideologischem und propagandistischem Missbrauch liegen die Verdienste des Kriechbaumer-Buches. Griffiger und entschiedener aber hat Andreas Novak 2005 in seinem vergriffenen, aber antiquarisch erhältlichen Buch „Salzburg hört Hitler atmen“ die Festspieljahre 1933 bis 1944 dargestellt.                     

  • Robert Kriechbaumer: Zwischen Österreich und Großdeutschland. Eine politische Geschichte der Salzburger Festspiele 1933–1944. Böhlau, Köln/Weimar/Wien 2013, 445 S., Abb., € 49,00, ISBN 978-3-205-78941-3

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