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Karikatur: Rupert Hörbst
Karikatur: Rupert Hörbst
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Von Engeln, Feueröfen und verrosteten Rittern

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Theo Geißlers Erzählungen: Zum 75. Geburtstag des Herausgebers, Verlegers und streitbaren Publizisten
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Theo Geißler, Geschäftsführer des ConBrio Verlages und Herausgeber der nmz, wird am 9. Februar 2022 fünfundsiebzig Jahre alt. Die nmz gratuliert ihm mit einem Protokoll, das unseren geneigten Lesern die Möglichkeit gibt, im 71. Jahrgang der nmz und damit im Jahr ihres siebzigjährigen Bestehens einen Blick in die His­torie und auch ein bisschen hinter die Kulissen dieser altehrwürdigen Publikation zu erhalten. Das folgende Protokoll beruht im Wesentlichen auf einem Gespräch, das die Sopranistin Irene Kurka für ihren Podcast „Neue Musik Leben“ (Folge 151) aufgezeichnet hat, den sie seit April 2018 betreibt.

Was Neue Musik in meinem Leben bedeutet? Im Alter von neun Jahren machte ich bei einem Krippenspiel in Gmund am Tegernsee mit. Ich war sehr verliebt in einen Engel namens Susi und wir verzogen uns in den Orgelraum. Weil ich größer war als sie, habe ich mich auf die Orgel gesetzt und einen grandiosen Cluster erzeugt. Das war mein erster Sprung in die Welt der Neuen Musik. In Wahrheit hat es ein bisschen länger gedauert: Ich hatte zuerst Akkordeon und ein wenig Klavier gespielt und dann auch Trompete in einer Dixie Band, die sich dann aber modisch, wie das damals war, in eine Bigband verwandelte, wo man mich nicht gebrauchen konnte, da meine Lippenspannung zu dieser Zeit anscheinend nicht die beste war. Danach hatte ich erst einmal etwas Distanz zur Musik überhaupt.

Welt der Neuen Musik

Enthusiasmiert von Neuer Musik wurde ich durch einen tollen Musiklehrer in der Oberstufe, Herbert Hechtel in Ansbach. Er war Komponist und hat mich mit der Musik Arnold Schönbergs – damals war das Neue Musik – bekannt gemacht. Ich war hin und weg von dieser ganz anderen Klangwelt und mir wurde klar, dass in diesen Experimentierfeldern, in dem, was man noch nicht gehört hat, Zukunft liegt.

Dann gab es eine zweite sehr intensive Berührung mit Neuer Musik, als ich ungefähr 21 war. Ich hatte sehr früh geheiratet – so musste ich neben dem Studium arbeiten, um ein bisschen Kohle für die Familie ranzuschaffen. Da schlüpfte ich bei dem Verleger Bernd Bosse in Regensburg unter, der mich mit Karlheinz Stockhausen und dessen „Gesang der Jünglinge im Feuer­ofen“ bekannt machte. Das war bisher ungehörte Musik für mich, unglaubliche Klänge.

Musikalische Jugend und neue musikzeitung

Über den Verleger Bernhard Bosse bin ich beim Vorläufer der neuen musikzeitung, bei der Musikalischen Jugend, dem Organ der Jeunesses Musicales, gelandet. Dadurch bin ich auch in die Jeunesses Musicales hineingewachsen, die damals in Weikersheim von der Oper bis zur zeitgenössischen Musik alles Mögliche gemacht hat. Das hat mich im Grunde genommen durchs ganze Leben begleitet. Ich bin heute noch mit der Jeunesses Musicales eng verbunden, auch die Zeitung ist es nach wie vor.

Zeitung machen war aber nicht alles in meinem Leben: Ende der 60er-Jahre war ich auf der Hochschule für Fern­sehen und Film in München, wo ich unter anderem eine ziemlich verbotene filmische Version von Peter und der Wolf gemacht habe.

Aus der Filmhochschulzeit hatte ich einen guten Kumpel, Jörg Grünler, der spätere Filmregisseur und Drehbuchautor. Mit ihm habe ich beim Fernsehen die Kindersendung „Clown & Co“ gemacht, mit der Folge, dass wir beim Bayerischen Rundfunk künftig die „Kinder-Kommunisten“ hießen... Aber nach 60 Folgen denkst du: Entweder du bleibst jetzt in diesem Bereich, oder gehst nach Hollywood, was ich sowieso vorhatte.

In dieser Zeit rief der Bosse Verlag an und suchte für die nmz, aber auch für seine Pädagogikprogramme und sein Marketing, noch einen Menschen. Hollywood hatte nicht geklappt und beim BR war ich auch nicht geblieben, also ging ich zur nmz und tanzte eine ganze Zeitlang zwischen München und Regensburg hin und her, um schließlich in Regensburg zu landen. 1969 haben wir dann gesagt: „Musikalische Jugend“ ist nicht mehr der richtige Titel, so erhielt die Zeitung ihren heutigen Namen neue musikzeitung. Relativ bald bin ich Chefredakteur der nmz geworden. Die Zeitung hatte mit dem Namenswechsel auch ihre Optik geweitet, ging stark in die Schulmusik rein, vor allen Dingen aber auch in die Musikschule, und hatte entsprechende Verbände um sich versammelt.

Wir haben zu dieser Zeit einen starken kulturpolitischen, kritischen Akzent mit in die nmz reingebracht. Wir fingen an, Glossen zu schreiben und mit „Clustern“ die Leute zu veräppeln und haben uns ein paar Gerichtsverhandlungen eingesammelt, weil wir entweder schlecht recherchiert hatten oder die Wahrheit gesagt haben.

So hat sich die Zeitung über die Jahre und Jahrzehnte gut entwickelt. Mit Gerhard Rohde als zweitem Chefredakteur hatten wir speziell für die zeitgenössische Musik einen super Redakteur und dazu sehr viele kompetente freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. In der Zeitung war uns ein wirklich breites Spektrum an unterschiedlichen Haltungen und Meinungen wichtig. Ich möchte auch an Reinhard Schulz erinnern, der 2009 leider viel zu früh gestorben ist und der eine relativ strenge, aber doch sehr empathische Sicht auf die zeitgenössische Musik ins Blatt gebracht hat.

Von Bosse zu ConBrio

Der Bosse Verlag gehörte eigentlich dem Bärenreiter Verlag, Bernd Bosse war vom Geschäftlichen her gesehen Prokurist. Ich wurde 1986 sein Nachfolger, auch als Prokurist. 1993 haben mein damaliger Partner Felix Roehl und ich die nmz aus dem Bosse Verlag herausgekauft und rings um die nmz den ConBrio Verlag aufgebaut. Ein Verlagskonzept war schnell entwickelt. Wir hatten unter anderem Kontakt aufgenommen zu den Autoren Felix Janosa und Jörg Hilbert, den Schöpfern von „Ritter Rost“. Das war unser erstes großes, gemeinsames Verlagsprojekt.

Inzwischen haben wir ein relativ breites Portfolio, angefangen bei Coffee­table-Book-ähnlichen Wagner-Büchern über Jazzbücher, über Theaterbücher, aber auch sehr, sehr viel Musikpädagogik. Diesen Verlagsbereich halte ich für besonders wichtig, auch kulturpolitisch, weil die musikalische Bildung auf vielen Ebenen ganz einfach Menschenbildung ist. Nicht nur Herzens-, sondern auch Hirnbildung, wobei ich damit nicht sagen will, dass Musik intelligent macht, wie es manche behaupten. Ich glaube, Musik gehört einfach zu unserem Menschsein. Das halte ich für existenznotwendig und das war für mich immer eine starke Motivation, in dieser Richtung publizistisch tätig zu sein.

Seit 1997 sind wir im Internet: Martin Hufner ist der Spezialist dafür, er hat uns ins Netz gebracht und dort nach vorne. Zu unserem Programm zählt auch die vierteljährlich erscheinende Zeitschrift „Kulturaustausch“ des Instituts für Auslandsbeziehungen in Stuttgart, auch eine tolle Zeitschrift. Worauf ich besonders stolz bin, ist, mit meinem Dauer „Streit-Liebesfreund“ Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats, vor 20 Jahren die „Politik & Kultur“ in die Welt gesetzt zu haben. „Oper und Tanz“ ist die Fachzeitschrift für Opernchorsänger und Bühnentänzer, die wir in Zusammenarbeit mit der Vereinigung deutscher Opernchöre und Bühnentänzer (VdO) seit 2000 con amore machen. Und dann haben wir noch die einzige deutschsprachige Fachzeitschrift für Gregorianik, die wir zweimal im Jahr produzieren und die mir einen sehr interessanten Besuch im Vatikan bei Papst Benedikt einbrachte. 184 Sendungen lang habe ich ein monatliches Musikmagazin namens „taktlos“ moderiert: ein Musikmagazin des Bayerischen Rundfunks und der neuen musikzeitung mit spannenden Gästen und viel Live-Musik. Nicht ganz so lange, etwa zehn Jahre, gab es die Sendung „Contrapunkt“: Das war ein west-östlicher Dialog im Rahmen einer Koproduktion von MDR und BR. Zusammen mit einem Kollegen aus den neuen Bundesländern, Manne Wagenbreth, wollten wir aufzeigen, dass unserer Meinung nach die schöne Wiedervereinigung nicht zu den von Helmut Kohl versprochenen blühenden Landschaften geführt hat, zumindest an vielen Stellen im Bereich der Kultur.

Der Ist-Zustand

Das Schöne ist: Ich bin jetzt im Grunde genommen schon längst Rentner. Mein Tag sieht so aus, dass ich etwas länger schlafe als früher, nämlich immer so bis um achte. Dann höre ich Musik und Nachrichten und komme so gegen 10:30, 11:00 Uhr in den Verlag. Ich schreib‘ auch weiterhin: heiter, giftig, fröhlich, liebevoll und das macht mir sehr viel Freude und gibt mir sehr viel Mut, um nicht völlig zu vergreisen und zu verkalken.

Zum Teil falle ich auch aus der Zeit. Ich merke das daran, dass ich nur noch wenig bei Facebook und gar nicht mehr bei Instagram und Whatsapp aktiv bin. Das mag ich nicht mehr. Ich halte diese für Mitteilungsformen, die von ihrer Konstruktion her eine gewisse Verblödung fahren für eine Verkürzung des Denkens, eine Verkürzung des Urteilens, eine Faul-Machung beim Nachfragen und Recherchieren. Ich fände es peinlich, wenn ich mich diesen verbalen Konstrukten der Jugendsprache annähme und die zwanghaft in meinen Sprachfluss einbaute. Mein Vokabular ist noch ausreichend, um damit das zu formulieren, wonach mir gerade ist, und es gibt noch eine ganze Menge Leute – ich hoffe nicht nur in meinem Alter – die das auch ganz gerne lesen.

Post-Coronarer Soll-Zustand

Wie kann es weitergehen nach dieser Pandemie? – Ich hoffe zum einen, dass Kultur über weite Strecken analog bleibt, dass also jetzt nicht jede Institution anfängt, eine eigene kleine Filmfirma zu werden und sicherheitshalber ihre gesammelte Produktion per schlecht produziertem Video in die Welt zu streuen. Ich sehne mich nach dem direkten Kontakt im Konzertsaal, im Opernhaus, in der Open-Air-Veranstaltung. Ich glaube es ist wichtig, dass jetzt keine digitale Trägheit oder Multiplikationssucht eintritt. 

Dankbar bin ich dafür, dass ich geimpft wurde. Das hat mir viel Angst genommen. Und dass es hier im Haus noch niemanden von uns erwischt hat. Dass es uns heute noch gibt und dass wir bis jetzt  einigermaßen durch diese problematische Zeit gekommen sind, verdanke ich meinem tollen Team im Verlag. Ich bin außerdem dankbar für die Sonne, wenn sie nicht zu heiß ist, und ich bin dankbar dafür, dass ich in meinem doch fortgeschrittenen Alter zumindest oberhalb der Oberlippe noch einigermaßen klar im Kopf und im Körper bin. Ich bin dankbar, bis heute noch so viele sympathische junge Leute in der Musik- und Medienbranche kennenzulernen. Ich höre so viel gute neue Musik – auch dafür bin ich dankbar.

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Buchtipps

Wer mehr aus Theos Welt des Schönen, Wahren und Guten erfahren möchte, dem sei folgende Lektüre ans Herz gelegt:

  • Theo Geißler: Theos Kurzschluss – 85 kleine Streitschriften zu Politik und Kultur, hg. von  Olaf Zimmermann und Martin Hufner, Regensburg 2017, 272 Seiten, ConBrio, ISBN 978-3-940768-66-7 1266
  • Im Februar dieses Jahres erscheint unter dem Titel „Theos Kurzschluss 2.0.“ der Folgeband mit weiteren Glossen und Fantasien über die kulturpolitischen Themen unserer Zeit (CB 1301, ISBN 978-3-949425-01-1).

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