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Vor 50 Jahren: Luigi Nono im Gespräch mit Hartmut Lück

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„Zuerst müsste man natürlich die Gesellschaft ändern!“
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Immer wieder mit Erstaunen nimmt man zur Kenntnis, mit welcher Vehemenz politische und ästhetische Diskussionen vor 50 Jahren geführt worden sind. Luigi Nono ist hier im Gespräch mit Hartmut Lück in voller Fahrt. „Zuerst müsste man natürlich die Gesellschaft ändern!“

Luigi Nono: […] Für mich ist die menschliche Stimme dasjenige der uns zur Verfügung stehenden Instrumente, das am freiesten ist, nicht gebunden an historisch festgelegte Skalen wie Violine, Klarinette oder Klavier. Wenn man andere Kulturen, andere Zivilisationen analysiert und die verschiedenen Arten des Gebrauchs der Stimme studiert, und zwar nicht von einem eurozentristischen Standpunkt aus, sondern mit der Methode des Marxismus, so wird man feststellen, daß die Stimme technisch und linguistisch immer die größten Ausdrucksmöglichkeiten hatte. Wenn ich also, besonders in der letzten Zeit, oft die Stimme und elektronische Verarbeitung benutze, so deswegen, weil ich hier die größte Freiheit des Ausdrucks finde.

Lück: Wenn Sie für die Konzertplangestaltung verantwortlich wären, was würden Sie ändern?

Nono: Zuerst müsste man natürlich die Gesellschaft ändern! Aber da wir noch in einem kapitalistischen Land leben, bin ich sehr kritisch gegenüber Formulierungen wie „Neue Musik“ oder „musica viva“, man muß auch in der heutigen Produktion von Musik unterscheiden, was wirklich neu ist und was nur scheinbar neu oder konsumorientiert. Und man sollte zuerst ein neues Publikum suchen, man sollte heraus aus dem Konzertsaal und weg von dem ausgewählten, der Klassik hörigen Publikum. Das Problem ist nicht nur ein ökonomisches, also die Frage billiger Eintrittskarten, sondern einen Ort und eine Situation zu finden, wo wirklich Leute leben, die in der heutigen Gesellschaft vom kulturellen Leben ausgeschlossen sind. Das ist eine politische Entscheidung, aber das muß man machen. Aber in der Musikwelt wird dies nicht nur nicht gemacht, sondern man ist auch ganz dagegen, denn die Musikwelt ist mit am meisten verbunden mit der Organisation der heutigen Gesellschaft – passiv, zufrieden und völlig integriert. […]

Neue Musikzeitung, XIX. Jg. 1970, Nr. 2 (April/Mai)

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