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Die Beethoven-Community: David P. Graham, Leander Ruprecht, Helmut Zerlett, Stefan Thomas, Frank Zabel, Dennis Kuhn, Susanne Kessel und Ursel Quint (v.l.n.r.). Foto: David Kremser
Die Beethoven-Community: David P. Graham, Leander Ruprecht, Helmut Zerlett, Stefan Thomas, Frank Zabel, Dennis Kuhn, Susanne Kessel und Ursel Quint (v.l.n.r.). Foto: David Kremser
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Warum man diese Aktien zeichnen sollte

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Die Pianistin Susanne Kessel projektiert „250 Piano Pieces for Beethoven“
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Etwas ist anders. Soviel spürt man gleich. Ein Podium, eine Pianistin, ein Programm mit zeitge­nös­sischer Klaviermusik, moderiert ans Publikum gebracht – für sich genommen kaum außergewöhnlich, vielmehr, egal ob mit großem oder kleinem „n“ geschrieben, recht gängiges Format im Neue-Musik-Betrieb. Womit das Stichwort aber auch schon gefallen ist.

Bloßer „Betrieb“ nämlich, new music business as usual ist es nämlich gerade nicht, was die Konzerte der Bonner Pianistin Susanne Kessel auszeichnet. Um präzise zu sein, es ist das genaue Gegenteil davon. Eigentlich hätte man große Lust, seine ratlos gewordenen Freunde, die enttäuschten Anhänger unter den Lieb­ha­bern der (Gegenwarts-)Musik in eines dieser Kessel-Konzerte zu schicken, veranstaltet im Übrigen auf eigene Rechnung an kaum musik­spezifisch zu nennenden Orten wie dem Bonner Kunstverein, einem Rheinhotel oder in der Lounge des Post Towers. Auch so etwas ist anders.

Wo die Basis ist

Die unter anderen Vorzeichen durchaus naheliegende Schlussfolgerung, dass „250 Piano Pieces for Beethoven“ mit einem Beethovenhaus, einer ­Beethovenhalle verlinkt sein müssten, funktioniert hier gerade nicht. Wer nach den Partnern fragt, die ein ­solch ambitioniertes Projekt hat, muss sich vom Institutionenblick lösen. Bis zum runden Geburtstag des Bonner Großmeisters im Jahr 2020 tatsächlich „250 Piano Pieces for Beethoven“ in seinem Geburtsort zur Aufführung zu bringen, geschrieben von 250 Komponisten, persönlich beauftragt von der Projektinitiatorin – dies klingt eben nur nach einem Vorhaben, das am Reißbrett von Intendantenbüros ausgeheckt ist. In Wahrheit verhält es sich auch in diesem Punkt konträr.

„Als Bonnerin gehe ich täglich durch dieselben Straßen, über die schon ­Beethoven wandelte. Angesichts seines 250. Geburtstages im Jahr 2020, den die ganze Welt feiern wird, entstand in mir der Wunsch, ein großes Geschenk für ihn zu initiieren“, schreibt Susanne Kessel im Vorwort des jetzt druckfrisch vorliegenden ersten Notenbandes. Womit die ersten 25 von geplanten 250 Klavierstücken mit Beethovenbezug auf der Welt sind, verlegt, nicht uninteressant, von einem gebürtigen Griechen, Nikolas Sideris. Dass dieser zugleich als Komponist und ausführender Musiker ein Grundverständnis mitbringt für die Dinge, die er im Verlag „Editions Musica Ferrum“ publiziert, passt natürlich kongenial zur Selbstorganisation dieses gesamten Projekts.

Zu dessen Anmutung gehört denn auch ein an heutigen Maßstäben gemessen, leicht abweichendes Impressum. Die einschlägigen Logos von Großbanken, Big Playern und anderen Platzhirschen sucht man vergebens in den Programminformationen von „250 Piano Pieces for Beethoven“. Ebenso die Nobelkarossen für den Künstler- und Intendanten-Fahrdienst. Es sind die „Bürger für Beethoven e.V.“, mit denen sich die bekennende Bonnerin Susanne Kessel zusammengetan hat. Jene wiederum helfen, wenn es klemmt, schon mal an der Kasse aus oder zeichnen, wie man hört mit großer Begeisterung, „Notenpatenschaften“ – die Graswurzel-Aktien dieses Künstlerprojekts. Ganz wörtlich: mit Hand und Herz. Mehr Bottom-up geht nicht.

Was es heißt zu brennen

Auf die Stimmung der Initiatorin, auf die Atmosphäre ihrer Konzerte, soviel liegt auf der Hand, hat all dies ihre Auswirkungen. Da ist der Enthusiasmus, ganz klar. Auf der anderen Seite braucht sich Susanne Kessel nur rumzudrehen, um den Klavierhocker mit dem Bürostuhl zu tauschen. Im Künstlerprojekt, das sie da im Schatten der großen Veranstalter auf die Beine stellt, steckt tatsächlich beides – das Glück und die Krux. Alles selber machen dürfen einerseits – alles selber machen müssen andererseits.

Eine Ausgangslage, die unüberhörbar ist, auch im Gespräch. Als Pianistin sowieso, aber eben auch als Beethoven-Pieces-Projekt-Managerin steht Susanne Kessel notwendig unter Dampf. Rund zwei dutzend Konzerte seit dem Start im November vergangenen Jahres liegen hinter ihr. Was im Augenblick drückt, sind die tausendundeins Fragen, die eine Notenedition so mit sich bringt: Dieses oder jenes Design, wieviele Korrekturläufe, was gehört ins Vorwort, welche Termine stehen an? Und dabei die Musik, die einzustudierende wie die neu zu kreierende immer, im Kopf behalten! An „250 Piano Pieces for Beethoven“ lässt sich eben in jeder Beziehung lernen, was es heißt, für eine Sache zu brennen.

Es ist genau dies, was man spürt, wenn man Susanne Kessel auf der Bühne agieren sieht. Was sie übrigens gleich auf doppelte Weise macht. In erster Linie mit einem bravourösen Klavierspiel, das den feinen Ton verbindet mit dem Abrufen­können der einschlägigen neueren und neuesten Spieltechniken. Ein Niveau, das für die titanische Aufgabe, der sich die Pianistin stellt, freilich auch bitter nötig ist. Wer in ein einziges Programm schon einmal sechzehn Neukompositionen, darunter fünf nacheinander vorgetragene Uraufführungen, packen kann, muss sich auf seine Technik, auf seine Gestaltungskraft verlassen können.

Was weit und nah zugleich ist

Hinzu kommt, dass Susanne Kessel als ihre eigene Moderatorin in Erscheinung tritt. Andererseits gehört genau dies, das Gespräch, der Austausch mit den Komponisten, zum Herzschlag des Projekts. „Die Community“, sagt Susanne Kessel zu ihren Mitstreitern. Was in der Praxis bedeutet, vom munteren Plauderton stante pede überwechseln zu können in die Konzentration, die die Ausführung einer hoch­komplexen Partitur verlangt. Gewiss alles andere als eine Kleinigkeit. Man bangt zuweilen etwas, aber auch diese Hürde geht ohne Blessuren.

Zum Konzert in der Bonner Post Tower Lounge waren übrigens alle fünf Uraufführungs-Komponisten des Abends angereist. Charlotte Seither, aus Hannover kommend, lieferte ein „Left Luggage“ mit viel Stille, Walter Zimmermann aus Berlin zollte „Groll und Dank“. Am nächsten hatte es der Kölner York Höller. Wobei dessen Kompositions­titel durchaus das Zeug dazu hätte, das Motto dafür abzugeben, wie wir zu ihm stehen, zu diesem Monument, das mit jedem Jahresring größer wird. „Weit entfernt – und doch so nah.“ Auch dazu, dazu vor allem, taugen „250 Piano Pieces for Beethoven“.

Terminhinweis
21. November 2015, 19 Uhr,
Bonner Kunstverein, Hochstadenring 22, 53119 Bonn
• Klavierabend Susanne Kessel: „250 piano pieces for Beethoven“ – Feierliche Präsentation der Notenedition, Band 1 – Zu Gast der Verleger und Komponist Nikolas Sideris, Athen
Eintritt: 20,- Euro / erm. 5,- Euro

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