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Was die Welt im Innersten zusammenhält

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Die deutsche Philosophie und die Musik
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Stefan Lorenz Sorgner/Oliver Fürbeth (Hg.): Musik in der deutschen Philosophie. Eine Einführung, Verlag J. B. Metzler, Stuttgart, Weimar 2003, 221 S., € 34,95, ISBN 3-476-01869-5.

Macht Musik weise? Wenn es so wäre, bestünde hierzulande noch Hoffnung. Denn wie der Sammelband „Musik in der deutschen Philosophie“ auf bislang einzigartige Weise resümiert, dürfen wir auf eine große Tradition im Nachdenken über Musik zurückblicken. Kontinuierlich haben deutsche Philosophen das Rätsel der Musik und damit das Rätsel der Welt zu lösen versucht – zumindest in der Theorie.

Musik als Offenbarung, als Weltverbesserung, als Opium, als Utopie – immer schon wurde der Musik eine qualitative Veränderung des Menschen zugeschrieben. Der Philosophie der Musik ging es stets ums Ganze. Bis weit ins 20. Jahrhundert war das Verhältnis der Philosophie zur Musik spekulativer Natur. Auf der Suche nach dem, „was die Welt im Innersten zusammenhält“, ist das Musikalische als Grenzfall des rationalen Begreifens ausgelotet worden. Nicht zufällig ist Thomas Manns moderner „Doktor Faustus“ eine Symbolfigur der haltlosen „deutschen“ Sehnsucht nach musikalischer Grenzüberschreitung.

So überrascht es nicht, dass der Kanon musikalisch inspirierter Philosophen zugleich den Kanon der deutschen Geistesgeschichte darstellt: Kant, Schleiermacher, Hegel, Schelling, Schopenhauer, Nietzsche, Bloch, Heidegger, Gadamer und schließlich Adorno werden als jene Spezies von Musiktheoretikern porträtiert, die keine Notenbeispiele braucht, um zu erklären, was Musik ist. Europäische Einflüsse dagegen (etwa Platon, Rousseau) werden leider zu Fußnoten der Musikgeschichte herabgewürdigt.

Offenbar hörten aber wirklich alle „unsere Besten“ auf die Musik: Schon Luther sah in der Musik ein Mittel zur Besserung der Menschen und zur Vertreibung des Teufels. Kepler lauschte dagegen lieber der Sphärenharmonie, dem Zusammenklang von Kosmos und Seele. Die kopernikanische Wende zur Musikästhetik brachte dann bekanntlich ein anderer: Kant. Obwohl Kant die Musik noch als die „Sprache der Affekte“ charakterisierte, hat er den Begriff der „absoluten“, von allen Zwecken befreiten Musik grundgelegt. In der Romantik begegnet dieses „Absolute“ schließlich doppelt: symbolisch im „Klang“ als dem Medium des Weltinneren (Schelling) sowie in Gestalt der reinen Instrumentalmusik. In deren Emanzipation sah jedoch bereits Hegel die hochartifizielle Inhaltsleere der Moderne heraufdämmern.
Wie am Beispiel Schopenhauers

unterstrichen wird, hat die romantische Idee der absoluten Musik einen geradezu esoterischen „Musikkult“ hervorgerufen, der „speziell in Deutschland und Österreich bis in die Gegenwart Bestand“ habe. Angesichts des allgegenwärtigen kulinarischen Musik-Konsums fragt man sich, wo das tatsächlich noch der Fall sein soll? Musik als „Gottesdienst“ dürfte ebenso ausgedient haben wie Blochs und Adornos Politisierung der Musik als Bild eines gesellschaftlichen „Andersseins“. So macht der Band einen hoffnungslosen Relevanzverlust der Musik deutlich. Seit Adorno hat es offenbar keine neue Philosophie der Musik mehr gegeben. Dies bedeutet nicht nur einen Utopieverlust für die Philosophie, sondern auch für die Musik.

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