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Skyscraper mit Chinakohl und frischer Musik: Benedict Mason filmte und komponierte das Pearl River Delta. Fotos: Charlotte Oswald
Skyscraper mit Chinakohl und frischer Musik: Benedict Mason filmte und komponierte das Pearl River Delta. Fotos: Charlotte Oswald
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Was mir das Pearl River Delta erzählt

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Abschluss des „into“-Projekts
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„Made in Hongkong“: Diese Herkunftsbezeichnung sagt nicht mehr allzu viel aus, seit die Metropole chinesische Sonderverwaltungszone ist. Ähnliches gilt für die fünf Kompositionen, die im Rahmen des „into“-Projekts von Siemens Arts Program und Ensemble Modern in Berlin und Frankfurt uraufgeführt wurden. So verschieden waren die musikalischen Annäherungen der aus dem Perlflussdelta Heimgekehrten.

Annäherungen? Drei Komponisten machten vielmehr eine innere Distanz zu den Orten zum Thema, in die sie – so die Idee von „into“ – kreativ hätten eintauchen sollen. Heiner Goebbels war in dieser Hinsicht am konsequentesten, nicht nur, weil er sein Stück in hübscher Umkehrung des Projekttitels „out of“ genannt hatte. Anstatt dem Ensemble Modern ein Werk auf den Leib zu schreiben, beschäftigte er lediglich deren Toningenieur Norbert Ommer, der zusammen mit Goebbels für die raumgerechte Realisierung des elektroakustischen Stücks verantwortlich war.

Goebbels holt in seinem Werk das nach, was er eigenen Angaben zufolge vor Ort nicht geschafft hat: aus der ohrenbetäubenden Fülle an akustischen Ereignissen eine Essenz herauszufiltern. Nicht viel mehr als den Mitschnitt einer 20-minütigen Taxifahrt brachte er mit nach Berlin, wo er ihn dann im Studio auf die Klänge hin absuchte, die er bei seinem Aufenthalt vergeblich aufzuspüren versucht hatte. Das Ergebnis ist bis auf kurze Sprachelemente aus dem Radio oder dem Taxifunk keine ortsgebundene „musique concrète“, sondern ein, man könnte es böse formulieren: akustischer Allgemeinplatz, dessen Puls sich zur Mitte hin zu einem ordentlichen Groove verdichtet, um sich dann wieder aufzulösen. Ein Allgemeinplatz freilich, der nur aus der konkreten Situation heraus entstehen konnte.

Auch Johannes Schöllhorn tut nicht so, als könne er mit seiner Musik vorbehaltlos in die Megastadt eintauchen. Seinen Panoramablick über einen imaginären Tag in Hongkong hat er bezeichnenderweise „Niemandsland“ genannt, Bezug nehmend auf die Durchlässigkeit der Region für täglich Hunderttausende von Pendlern. Sein feinsinnig instrumentiertes, in den ineinandergreifenden Abschnitten sehr schön ausbalanciertes Stück bringt die durch Schlagwerk und Klaviere aufgetürmten Hochhausfassaden und die von zerbrechlichen Streicher- und Bläserklängen durchwehten Hinterhöfe in ein ständig sich veränderndes Verhältnis von Vorder- und Hintergrund. Der faszinierte Blick aus der Distanz, auf den er im Einführungsgespräch Wert legte, ist seiner Musik stets in angenehmer und anregender Weise anzuhören.

China, von den Hebriden aus betrachtet: Diesen ebenfalls nicht sonderlich zentralen Blickwinkel hatte sich der Ire David Fennessy ausgesucht. Das rhythmische Surren dortiger Webstühle untermalt in seinem Stück „13 Factories“ recht vordergündig eine Reflexion über die Schwierigkeit, in der Masse seine Stimme vor anderen abzuschirmen. Ähnlich den von Fennessy in seinem Begleittext beschriebenen Mobiltelefonierern im Zug hielten vier Musiker des Ensemble Modern sinustönende Lautsprecher in unterschiedlicher Abdämpfung ans Mikrophon, während andere bisweilen ihr Instrumentalspiel singend verstärkten. Ein unspektakulärer, leicht einlullender Zusammenklang war das Ergebnis.

Von ihrem Aufenthalt unerwartet persönlich getroffen wurde die Koreanerin Unsuk Chin, die ihre dort ausgelösten Kindheitserinnerungen dann auch in einem sehr prallen, geistvoll unterhaltenden Stück namens „Gougalon“ verdichtete. Obwohl sie die Satztitel ihrer „Szenen aus dem Straßentheater“ laut Programmtext nicht illustrativ verstanden wissen wollte (Gott behüte!), konnte man nicht umhin, im billigen Pathos von Sologeige und gestopfter Posaune das „Lamento der kahlen Sängerin“ oder im Xylo- und Metallophongeklapper das Gebiss des „grinsenden Wahrsagers“ zu vernehmen. Wunderbar vor allem der leicht schwankende „Tanz vor den Baracken“, ein virtuos ineinander verzahntes Geflecht, klanglich beherrscht von den an asiatischem Streichinstrumentenklang orientierten Glissandi. Keine subtile Reflexion vielleicht, aber ein Stück, bei dem die Lust am etwas breiteren Pinsel fast körperlich spürbar war.

Konkretes wollte auch Benedict Mason von seiner Reise zurückbringen. Da schien dem Komponisten, der sich auch als Filmemacher betätigt, das bewegte Bild am besten geeignet. So endete das erfrischend unverkrampfte, vom Ensemble Modern unter Johannes Kalitzke ausgezeichnet gespielte Konzert in der Alten Oper Frankfurt mit einem augenzwinkernden Bilderreigen aus Alltagsbeobachtungen, Momentaufnahmen und digitalen Verfremdungen. Die punktgenaue, auch vor sarkastischen Chinoiserien nicht zurückschreckende Filmmusik gibt dazu Kommentar und doppelten Boden. Für diesen etwas zu lang und eine Spur zu selbstgefällig geratenen Videoclip erntete Mason viel Applaus, aber auch das einzige Buh des Abends.

Das Uraufführungskonzert im Konzerthaus Berlin wird am 30.11. und 2.12. jeweils um 20.04 Uhr vom rbb gesendet. Das Frankfurter Konzert ist am 24.11. um 20.05 Uhr bei hr2-kultur zu hören.

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