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Großer Aufmarsch für Hans Zender: Das SWR- Sinfonieorchester mit den SWR-Vokalsolisten, zwei Pianisten und als Dirigent Emilio Pomarico. Foto: C. Oswald
Großer Aufmarsch für Hans Zender: Das SWR- Sinfonieorchester mit den SWR-Vokalsolisten, zwei Pianisten und als Dirigent Emilio Pomarico. Foto: C. Oswald
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Weite Reisen in unbekannte Landschaften der Musik

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Hans Zenders „logos-fragmente“ in Freiburg, „Urgewalten“ in Köln, eine wiederentdeckte „Verkündigung“
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Die Rundfunksinfonieorchester unserer Sendeanstalten rücken offensichtlich immer stärker in den Blick der Rechnungshöfe und der hauseigenen Sparkommissare. Siehe dazu unseren Bericht auf der vorangehenden Seite. Die besten Argumente gegen drohende Fusionen oder Reduzierungen liefern dabei die Orchester selbst. Wer soll denn Hans Zenders komplexen und komplizierten Gesamtzyklus der „logos-fragmente“ kompetenter und bis ins Detail durchgearbeiteter aufführen als ein Rundfunksinfonieorches-ter, dem nicht nur die notwendige Probenzeit zur Verfügung steht, sondern durch langjährige Erfahrung mit moderner Musik auch das so genannte Know-how für die Umsetzung schwierigster Partituren.

 

Das Orchester des Südwestrundfunks ist ein solches Ensemble. Auch das Sinfonieorchester des Westdeutschen Rundfunks engagiert sich immer wieder für das zeitgenössische Schaffen – und das seit sechzig Jahren, seit der Eröffnung des damals neuen Sendesaals in Köln, bei der kein Geringerer als Igor Strawinsky das Rundfunksinfonieorchester leitete. Beim Bayerischen Rundfunk setzt sich das Sinfonieorchester seit Kriegsende hochmotiviert immer wieder für das aktuelle Schaffen in der „Musica viva“-Reihe ein, zuletzt für ein neues Werk der Komponistin Younghi Pagh-Paan (siehe Seite 42). Aber auch das inzwischen schon einmal heftig geschrumpfte (ein Skandal) Rundfunkorchester des Bayerischen Rundfunks entfaltet unter seinem Chefdirigenten Ulf Schirmer bemerkenswerten Ehrgeiz: siehe den Bericht über die Wiederaufführung von Walter Braunfels‘ Oratorium „Verkündigung“ auf dieser Seite. 

Hans Zender gehört zu den Komponisten, die in der Musik nicht nur eine Ansammlung von Notenzeichen sehen, sondern darüber hinaus auch Perspektiven auf die geistigen Dimensionen eines Werkes öffnen. Als Helmut Lachenmann dem Dirigenten Michael Gielen einmal wortreich technische Details seiner neuen Komposition erläuterte, unterbrach ihn Gielen mit der kurz angebundenen Frage: „…und wo bleibt die Transzendenz?“. Hans Zender hätte er eine solche Frage nicht zu stellen brauchen. Zenders Komponieren, im Laufe der letzten Jahrzehnte immer gewichtiger geworden, enthält stets etwas Entscheidendes, was vielen jüngeren Komponisten leider oft fehlt: eine Utopie. Eine existentielle Sinngebung. Einen geistigen Anspruch. Zenders „logos-fragmente“, in vielen Jahren in einzelnen Teilen entstanden und auch einzeln uraufgeführt, erfuhren im letzten Herbst in Berlin zum ersten Mal eine Gesamtaufführung mit dem SWR-Rundfunksinfonieorchester unter Emilio Pomarico. Es war eine noble Geste des Orchesters, dem Komponisten zu dessen fünfundsiebzigstem Geburtstag eine zweite Aufführung im Freiburger Konzerthaus zu widmen. An Geschlossenheit, klanglicher Differenzierung, innerer Gespanntheit und geistiger Durchdringung dürfte die Interpretation kaum zu übertreffen sein. Emilio Pomarico muss man zu den wichtigsten Dirigenten unserer Zeit zählen. Die Souveränität, mit der er den Riesenapparat mit Orchester, SWR-Vokalensemble und zwei Pianisten (mit eindrucksvoller Präsenz: Julia Vogelsänger und Christoph Grund) durch die  schwierige Partitur führte, beeindruckte ebenso wie das persönliche Engagement für Zenders Musik. 

Es ist schon faszinierend zu erfahren, dass Musik auch heute in der Lage ist, ferne Texte aus, wie hier, frühchristlicher Zeit (Worte des Johannes und des Thomas, Psalm des Valentinus) in eine gegenwärtige „Sprache“ zu übersetzen und zugleich zu überhöhen. Zenders Musik strahlt bei aller Kompliziertheit und Komplexität eine große, irgendwie ganz einfache emotionale Energie aus, die einen ebenso in Bann schlägt wie die intellektuelle Geschliffenheit der Form.

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