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Der Bedarf nach musikalischen Angeboten für Senioren ist groß. Foto: Pat Christ
Der Bedarf nach musikalischen Angeboten für Senioren ist groß. Foto: Pat Christ
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Wie fit macht Musizieren?

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Großangelegte Studie mit Senioren startet an der Musikhochschule Hannover
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Seit vielen Jahren geht Eckart Altenmüller, Direktor des Instituts für Musikphysiologie und Musikermedizin an der Musikhochschule Hannover, der Frage nach, was das aktive Musizieren im Seniorenalter bewirkt. „Fit im Kopf durch Musizieren: Eine Untersuchung zu den Auswirkungen von Musikunterricht auf Denken, Lebensqualität und Hirnplastizität“ lautet der Titel seiner neuesten Studie. 100 Seniorinnen und Senioren zwischen 64 und 76 Jahren nehmen daran teil.

Die Studie geht von der Erkenntnis aus, dass sich die Nervenzellen im Gehirn auch im Alter weiter anpassen können. Musik kann diesen Prozess befördern. Die Forscher wollen die Effekte nun erstmals genau untersuchen. In einem Jahr sollen erste Ergebnisse vorliegen.

In der Studie erhalten 50 Senioren einmal in der Woche Klavierunterricht, die anderen 50 nehmen an einem Kurs mit dem Titel „Musik erleben und verstehen“ teil. Dabei geht es um das aktive Musikhören und um das Sprechen über das Erlebte. Altenmüller: „Die Kursteilnehmer können sich mit ihren Lieblingsstücken einbringen.“ Der Unterricht umfasst jeweils 46 Stunden, die im Laufe eines Jahres absolviert werden müssen.

Laut Altenmüller ist es grundsätzlich gut, wenn Senioren ein Musikinstrument spielen. Für das Klavier entschied er sich bei seiner Studie, weil die Leistungen eines Schülers hier besonders gut messbar sind: „Wir können mit Hilfe eines Computers zum Beispiel die Präzision von Fingerbewegungen im Fünftonraum analysieren.“ Außerdem sei das Klavier ein altersgerechtes Ins­trument: „Allein dadurch, dass es bequem im Sitzen bedienbar ist.“ Flöte zu spielen, sei im Alter wegen der Zähne schwierig, bei der Geige bereiteten die Handstellungen Probleme.

Teilnehmen darf, wer bisher im Leben noch keinen intensiveren Musik­unterricht gehabt hat. Alle Probanden verpflichten sich überdies, täglich 30 Minuten Klavier zu üben oder sich anderweitig mit Musik zu beschäftigen. Spannend wird laut Altenmüller die Frage, ob sich Effekte auf die Hirnstruktur bei der Klavier spielenden Gruppe von den Effekten der Musik hörenden Gruppe unterscheiden: „Da bin ich mir nicht sicher.“ Allerdings gehe er fest davon aus, dass in beiden Gruppen eine Auswirkung auf die Neuroplastizität festzustellen sein wird.

Das Interesse, an der Studie teilzunehmen, war enorm. „Wir hatten 800 Bewerbungen“, so Altenmüller. In den vergangenen Monaten wurden sämtliche potenziellen Probanden untersucht und getestet. „Wer teilnehmen möchte, muss gesund sein“, so der Professor. Vor allem dürfen die Probanden keine Medikamente nehmen, die auf das zentrale Nervensystem einwirken.

Alle Senioren hatten sich im MRT untersuchen lassen. In sechs Monaten, in zwölf Monaten und danach abermals nach zwölf Monaten stehen weitere MRT-Untersuchungen an. „Wir wollen schauen, wie nachhaltig die Veränderungen sind“, erläutert Altenmüller.

Weitere Tests heben auf das Sprachverstehen mit Hintergrundrauschen sowie auf eine mögliche Verbesserung der Reaktionszeiten ab. Aber auch nach der Lebensqualität sowie nach möglichen Anzeichen für Depressivität bei den Probanden wird geschaut. Durch Blutuntersuchungen soll festgestellt werden, ob sich die Stresstoleranz der Studienteilnehmer durch die Beschäftigung mit Musik verbessert hat.

Sechs von der DFG finanzierte Forscher begleiten die Studie, darunter zwei Professoren, zwei Doktoranden und zwei Post-Docs. Außerdem sind drei Musikpädagogen, unter anderem ein Spezialist für den Erwachsenenunterricht, in das Team integriert. So­eben wurden die Vortests abgeschlossen, nun geht das Forscherteam daran, die Gruppen für die Studie zusammenzustellen.

Dabei ist ein gestuftes Vorgehen geplant: Die ersten Unterrichtsgruppen beginnen im Dezember, die letzten im März. 32 Masterstudierende, die am Projekt teilnehmen, wurden das ganze Sommersemester über methodisch auf ihre Aufgabe als Musiklehrer für Senio­ren vorbereitet. Sie erfuhren, wie man Senioren, die noch nie aktiv musiziert haben, ermutigt, sich ans Klavier zu setzen und die ersten Lektionen zu lernen.

Von der transgenerationalen sowie der interkulturellen Anlage des Projekts erwarten sich die Forscher noch einmal spezielle Effekte. Drei der beteiligten Studentinnen stammen aus Persien, drei aus der Türkei. Daneben sind Masterstudierende aus osteuropäischen Ländern in das Projekt integriert.

Mit dieser Untersuchung, sagt Altenmüller, gehe für ihn ein Forschungs­traum in Erfüllung. Hat er doch keineswegs zum ersten Mal versucht, eine Studie über die Effekte des Musizierens bei Senioren auf den Weg zu bringen. „Vor zehn Jahren hatte ich mit einem Kollegen einen ähnlichen Antrag bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft gestellt“, berichtet er. „Damals wurde er nicht bewilligt.“ Nun fließen fast eine halbe Million Euro nach Hannover. Das zeigt, dass die Gesellschaft umgedacht hat. „Die Frage nach der Lebensqualität im hohen Alter hat einen ganz anderen Stellenwert bekommen“, so der 62-jährige Professor. Er selbst wolle sich in den kommenden fünf Jahren intensiv mit seinem letzten großen Forschungsprojekt beschäftigen.

Gleichzeitig appelliert Altenmüller an Musikhochschulen, Musikschulen und Volkshochschulen, seniorenfreundlicher zu werden und ältere Menschen stärker einzubeziehen. Der Bedarf nach Angeboten, die den Zugang zu Musik vermitteln, ist nach seinen Beobachtungen bei Senioren „riesig“. Dies belege nicht zuletzt ein Blick in die Hörsäle seiner eigenen Musikhochschule: „Die ersten beiden Reihen sind gefüllt mit Seniorinnen und Senioren, die sich im Ruhestand als Gasthörer musikalisch weiterbilden.“

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