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Richard Strauss: Salome, hrsg. von Claudia Heine (Richard Strauss Werke – Kritische Ausgabe). Schott RSW 103-10
Richard Strauss: Salome, hrsg. von Claudia Heine (Richard Strauss Werke – Kritische Ausgabe). Schott RSW 103-10
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Wild lodernde, vollendet beherrschte Formung

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Strauss’ „Salome“, Verdis Requiem und Werke von Bohuslav Martinu in neuen Ausgaben
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Richard Strauss: Salome, hrsg. von Claudia Heine (Richard Strauss Werke – Kritische Ausgabe). Schott RSW 103-10 +++ Giuseppe Verdi: Messa da Requiem, hrsg. von Marco Uvietta. Bärenreiter BA 7590 +++ Bohuslav Martinu: The Spectre‘s Bride, H 214 I A; Field Mass, H 279, hrsg. von Paul Wingfield (Bohuslav Martinu Complete Edition). Bärenreiter BA 10573-01

Richard Strauss: Salome, hrsg. von Claudia Heine (Richard Strauss Werke – Kritische Ausgabe). Schott RSW 103-10

Neben Gustav Mahler betrifft die Corona-Krise ganz besonders auch Richard Strauss, denn auch er hat – von ein paar Jugendwerken abgesehen – kaum Kammermusik geschrieben. Wären da nicht die Lieder, denen die Kritische Ausgabe seiner Werke ja auch bereits einen Band gewidmet hat. Nun ist – nach den wegweisenden symphonischen Dichtungen „Macbeth“ und „Don Juan“ – die „Salome“ in ihrer deutschen Fassung, herausgegeben von Claudia Heine und (postum) Salome Reiser, in dieser umfassenden kritischen Ausgabe erschienen. In der nach wie vor gigantisch anmutenden Partitur haben sich unzählige Flüchtigkeitsfehler gefunden, unter denen einige das hörbare Resultat effektiv beeinflussen. Natürlich ist das meiste gar nicht bemerkbar, doch eine solche Bereinigungsaktion ist ein wichtiger Schritt, der sich in seiner Gesamtheit für alle Beteiligten lohnt, zumal die 1941 zu Lebzeiten des Komponisten geplante Neuauflage nicht zustande gekommen ist, was uns natürlich auch um den Genuss von Revisionen bringt, die er gewiss vorgenommen hätte.

Die 1905 vollendete „Salome“ auf der Grundlage von Oscar Wildes Drama von 1891 bildete zunächst die Speerspitze des Modernismus, und es war eben nicht nur der Tabubruch hinsichtlich Verruchtheit und zur Schau gestellter Grausamkeit (der die Zensur auf den Plan rief), sondern vor allem die für damalige Begriffe schrill dissonante, funktionsharmonische Bezüge aushebelnde Partitur, die für Schrecken und Begeisterung sorgte. Der alte Felix Draeseke, vormals erklärtes symphonisches Vorbild des jungen Strauss, der den „Don Juan“ noch so liebevoll besprochen hatte, wandte sich mit Entsetzen ab und veröffentlichte im Oktober 1906 in der Neuen Musik-Zeitung sein Pamphlet „Die Konfusion in der Musik“ („die Unklarheit und Verwirrung ist so hoch gestiegen, dass auch viele Künstler sich nicht mehr in ihr zurechtfinden“), mit welchem er den Beifall der konservativen Zunftgenossen und Spott und Hohn von den Fortschrittlichen erntete. Den Siegeszug der „Salome“ dürfte dies lediglich befeuert haben. Strauss galt nun als der Führer unter den Modernen und fand eine breite Gefolgschaft, die er 1909 mit seiner „Elektra“ nicht enttäuschte. Was für eine wild lodernde, beinahe zügellos leidenschaftlich scheinende Musik, die gleichwohl von vollendeter Beherrschung der zusammenhängenden Formung zeugte! Mit dem „Rosenkavalier“, seiner nachhaltig erfolgreichsten Oper, vollzog Strauss dann die Wende hin zu allgemeiner Verbindlichkeit und klinkte sich aus einer rasanten Entwicklung aus, die über die unerhörten Kühnheiten der dissonanten Freitonalität (Schönberg, Bartók, Strawinsky etc.) in jene Entwicklungen und Sys­tematisierungsversuche mündete, die das 20. Jahrhundert so entscheidend prägen sollten. Zu Beginn von alledem stand in Deutschland die „Salome“.

Der sorgfältigst aufbereiteten Neu­edition ist ein umfassend informierendes Vorwort vorangestellt, das alles Wissenswerte über Genese, frühe Aufführungen und Alternativfassungen bereitstellt und damit einen guten Überblick für weitere Erkundungen gibt. Die gleichfalls von Strauss direkt stammende französische Fassung der „Salome“ und seine viel erwähnten Dresdner Retuschen werden in einem zusätzlichen Band veröffentlicht, wogegen die Fassung für ein reduziertes Orchester und die italienische Fassung, da nicht von Strauss selbst erstellt sondern lediglich autorisiert, nicht Bestandteil der Kritischen Ausgabe sein werden. Vorliegender Band enthält auch im Anhang die Ossia-Abschnitte der Salome-Partie, die Strauss 1915 für Eva von der Osten vornahm. Der kritische Bericht umfasst mehr als 80 Seiten. Es steht außer Frage, dass diese Ausgabe die Basis für künftige gewissenhafte Aufführungen bilden wird.

Giuseppe Verdi: Messa da Requiem, hrsg. von Marco Uvietta. Bärenreiter BA 7590

Nach der ersten kritischen Neuausgabe des Requiems von Giuseppe Verdi durch Charles Rosen (Ricordi 1990) hat Marco Uvietta für Bärenreiter eine zweite kritische Neuausgabe vorgelegt, die im Anhang die fugierte Erstfassung des „Liber scriptus“ für Chor und Orchester enthält. Uvietta legt die Entstehungsumstände, ausgehend vom 1869 für das gescheiterte Kollektivprojekt „Messa per Rossini“ komponierten „Libera me“, dar und schildert die Schwierigkeiten der ersten Aufführungen. Bei der Uraufführung dieser grandiosen Totenmesse, die in Deutschland im Gefolge von Bülows ablehnender Polemik lange sehr argwöhnisch beäugt und von Felix Draeseke als „Indianermusik“ abqualifiziert wurde, durften die Frauen in San Marco in Mailand nur mitwirken, wenn „alle Maßnahmen getroffen werden, damit sie durch ein Gitter, einen Schleier o. ä. verborgen bleiben“. Der ausschließlich englische kritische Bericht umfasst 45 Seiten. Es ist Uvietta mit gründlicher Arbeit gelungen, eine substanzielle Alternative zu Rosens Edition zu bewerkstelligen, die auf dessen Vorarbeit aufbaut.

Bohuslav Martinu: The Spectre‘s Bride, H 214 I A; Field Mass, H 279, hrsg. von Paul Wingfield (Bohuslav Martinu Complete Edition). Bärenreiter BA 10573-01

Recht zügigen Schrittes schreitet die Gesamtausgabe der Werke Bohuslav Martinus voran. In einem gemeinsamen, von Paul Wingfield herausgegebenen Band liegen nun zwei Werke vor: Die höchst unkonventionelle „Feldmesse“ für Bariton, Männerchor, Bläser, Schlagzeug, Harmonium und Klavier ist eine nach Kriegsbeginn 1939 begonnene spontane Vertonung der Textskizze seines Freundes Jiri Mucha. Dieser war dann verblüfft, dass Martinu schon fast fertig war, als er seinen Text revidiert hatte. Die Anfang 1932 komponierte Kantate „Die Geisterbraut“ für Sopran, Tenor, Bass, Frauenchor und Orchester basiert auf der schon von Dvorák in weit größerem Stil vertonten Ballade von Jaromir Erben. „Die Geis­terbraut“ (The Spectre’s Bride) bildete ursprünglich den Schlussteil des Balletts „Spalicek“, doch dann entschloss sich Martinu zunächst, getrennte Teil­aufführungen zuzulassen, um schließlich 1940 das etwa halbstündige Werk ganz auszugliedern. Diese Kantate liegt nun erstmals in einer seriösen Druckausgabe vor. Sie ist recht unbekannt geblieben, ist typisch für Martinus mittlere Pariser Periode, in welcher der konzertante Neoklassizismus intensiv mit tschechischem Idiom vermischt wird, und lohnt die Entdeckung.

Die zirka 25-minütige Feldmesse ist, bei aller Knappheit, ein in Tschechien äußerst wichtiges Werk des politischen Widerstands, dessen Bedeutung man ähnlich etwa dem „War Requiem“ von Britten, freilich in weit bescheidenerer Dimensionierung, empfindet, was natürlich auch mit der sehr unorthodoxen Textzusammenstellung zu tun hat. In vorliegender Gesamtausgabe ist erstmals auch der ursprüngliche, etwas orthodoxere Schluss mit beigegeben. Die Vorworte informieren über alles Wesentliche in ausführlicher Weise. Im Anhang finden sich die englische Übersetzung des Librettos zur Geisterbraut sowie gleich vier englische Übersetzungen und je eine französische und russische zur Feldmesse. Der minutiöse kritische Bericht listet eine überschaubare Anzahl differierender Lesarten auf. Es ist höchst erfreulich, dass dergestalt das gesamte Œuvre Martinus in exzellenten Neuausgaben zugänglich gemacht und manchen seiner Werke, wie hier der Geisterbraut, damit überhaupt erst der Weg zu internationaler Kenntnisnahme geebnet wird.
 

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