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(v.li.): Leander Hotaki, Geschäftsführer Albert Konzerte Freiburg und Hörtnagel Konzerte Nürnberg (Foto: Thomas Langer) und Marc Oßwald, Geschäftsführer der Vaddi Concerts GmbH (Foto: privat).
(v.li.): Leander Hotaki, Geschäftsführer Albert Konzerte Freiburg und Hörtnagel Konzerte Nürnberg (Foto: Thomas Langer) und Marc Oßwald, Geschäftsführer der Vaddi Concerts GmbH (Foto: privat).
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„Wir brauchen Rechtssicherheit“

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Auswirkungen der Viruskrise auf die Arbeit der Konzertagenturen
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Lange hat man von der Politik nur wenig zur Kultur gehört. Über die Abstandsregelungen in Baumärkten machte man sich viel früher Gedanken als darüber, in welcher Form wieder Theatervorstellungen oder Konzerte möglich wären. Die pauschale Untersagung aller kulturellen Veranstaltungen kam einem Berufsverbot für Schauspieler, Sänger, Musiker und Veranstalter gleich. Die Kulturszene befand sich in Schockstarre. Wohnzimmerkonzerte wurden gestreamt, digitale Schnipsel von einzelnen Musikern zu Orchestervideos zusammengeschnitten. Aber politischen Druck konnte man wenig aufbauen. Inzwischen rückt die Kultur mehr ins Rampenlicht. Die Bundeskanzlerin widmete ihren letzten Videopodcast den Künstlerinnen und Künstlern.

Am 15. Mai wurde im Bundesrat einem tags zuvor beschlossenen Gesetz zugestimmt, das Konzertveranstaltern das Recht einräumt, bereits verkaufte Tickets in Gutscheine umzuwandeln. Und auch in Baden-Württemberg hat die Landesregierung  in der gleichen Woche einen Masterplan-Kultur vorgelegt, der zwar noch viele Detailfragen offenlässt, aber eine Wiederbelebung des kulturellen Lebens zum Ziel hat.

Für Marc Oßwald, Geschäftsführer der Vaddi Concerts GmbH, bringen die im Masterplan verkündeten Perspektiven noch nichts. Er geht davon aus, dass er in diesem Jahr keine Konzerte mehr veranstalten kann. Eigentlich hätte die Konzertagentur, ein Tochterunternehmen des Branchenriesen CTS Eventim, in diesem Jahr vornehmlich in Süddeutschland rund 200 Veranstaltungen durchgeführt. Davon gingen aber coronabedingt nur 40 über die Bühne. Mit der kurzfristigen Absage des Konzerts von „Annen May Kantereit“ durch die Stadt Freiburg am 10. März wurden er und die Agentur von einem Tag auf den anderen in den Krisenmodus versetzt. Das Konzert wurde auf den 23. August verlegt und ist auf der Website des Veranstalters noch aufgeführt. Dass es noch nicht abgesagt ist, hat finanzielle Gründe, die wiederum mit fehlenden rechtlichen Vorgaben zu tun haben. „Wir brauchen Rechtssicherheit. Wir können ein Konzert in aller Regel erst dann absagen, wenn es behördlich untersagt wird. Erst dann ist es höhere Gewalt.

Andernfalls wären wir gegenüber den Künstlern, Vermietern der Spielstätten und den Dienstleistern unter Umständen schadenersatzpflichtig. Auch sollte von der Politik endlich definiert werden, was genau eine Großveranstaltung ist“, fordert Oßwald. Seit dem 10. März ist aus dem rührigen Konzertveranstalter ein Krisenmanager geworden, der Konzerte verlegt, den Kontakt zu den Bands hält und immer neue Szenarien durchdenkt. Die zwölf Mitarbeiter sind in Kurzarbeit. Die Geschäftsführung des Zeltmusikfestivals Freiburg hat er vor wenigen Wochen abgegeben, um sich ganz der Agentur widmen zu können. „Ich habe schon den Eindruck, dass der, der am lautesten schreit, gehört wird – wie die Deutsche Fußball-Liga. Da stehen dann die wirtschaftlichen Interessen im Vordergrund. Auch der DEHOGA hat sich Gehör verschafft. Die Kulturindustrie dagegen ist sehr kleinteilig aufgestellt und hat keine so starke Lobby. Wirtschaftlich ist sie dagegen mit am stärksten betroffen und bringt dabei sehr viel Verständnis für die Maßnahmen im Rahmen des Lockdowns auf. Wir als Musikveranstalter waren die ersten, die zusperren mussten und werden die letzten sein, die wieder aufmachen“, so Oßwald. Die gerade beschlossene Gutscheinlösung für bereits bezahlte Ticketpreise begrüßt er, weil sie die Liquidität der Veranstalter unterstützt. Er hofft auf das Weihnachtsgeschäft und würde sich sehr freuen, wenn er bald wieder mit einer konkreten Planung anfangen kann, auch wenn sich die Bedingungen geändert haben. „Bei den Konzerten wird es eine Zeit vor Corona geben und eine Zeit danach. Hoffnung macht mir, dass nach der Spanischen Grippe auch die Roaring Twenties gekommen sind.“

Im Klassikbereich wird noch langfristiger geplant als im Unterhaltungsbusiness. Die kommende Spielzeit 2020/21 hatte Leander Hotaki bereits im November 2019 fertig gestellt. Der Geschäftsführer der Albert Konzerte Freiburg und der Hörtnagel Konzerte Nürnberg, der ab Juni auch die Geschäftsführung der Pro Arte-Konzertreihen in Mannheim und Essen übernehmen wird, hat in Freiburg und Nürnberg jeweils drei große Orchesterkonzerte der laufenden Saison ersatzlos streichen müssen. Einige Konzerte, wie der geplante Auftritt von Lang Lang, sollen in der nächsten Saison nachgeholt werden. Für seine Konzertzyklen, deren Karten vor allem im Abonnement erworben werden, hat er sich gegen eine Gutscheinlösung entschieden. „Im Grunde sind das ja Zwangskredite, die deshalb auch umstritten sind. Mir wäre es schwer gefallen, sie die Gutscheinlösung gegenüber unserem Publikum in Freiburg und Nürnberg vertreten zu müssen, da sie [die Gutscheinlösung, Anm. d. Red.] zu Irritationen der Vertrauensbeziehung zwischen den Kunden und der Konzertreihe führen kann und in vielen Fällen auch wird – ein Vertrauen, das gerade in der Klassik über Jahrzehnte gewachsen ist.“ Er habe eine Welle der Solidarität erfahren, erklärt er dankbar. Viele Musikfreunde hätten auf die direkte Rückerstattung des Geldes, die er angeboten habe, verzichtet und den Betrag gespendet oder auf das neue Abonnement übertragen lassen.

Auch für ihn ist die rechtliche Unsicherheit eine große Belastung. „Die Konzertveranstalter, jedenfalls die privaten, brauchen klare Perspektiven, die die Politik jedoch gegenwärtig offenbar einfach nicht geben kann. Vielen wäre mit einem Verbot von Großveranstaltungen bis sagen wir Ende des Jahres eher geholfen als mit einem völlig offenen Szenario für die Zeit nach dem 31. August, dann wäre jedenfalls eine Rechtssicherheit geschaffen“, sagt Hotaki. Die geplante Publikumsbeschränkung für Konzertsäle sei für einen privaten Veranstalter eine große Herausforderung. Einen Kammermusikabend oder einen Klavierabend mit der Hälfte der Zuschauerplätze durchzuführen, sei durchaus denkbar – ein großes Orchesterkonzert aber ausgeschlossen. Den Masterplan Kultur des Kunstministeriums Baden-Württemberg betrachtet er als wichtiges Signal. „Er belegt, dass die Politik die Gefahr breitflächigen Kultursterbens begriffen und Ansätze für den Wiederbeginn von Veranstaltungen erarbeitet hat. Eine Planungssicherheit über den 31. August hinaus kann er freilich auch nicht geben. Mit dem Notprogramm – zusammengesetzt aus Nothilfefonds und dem Programm ‚Kunst statt Abstand‘ – macht er Mut, dass finanzielle Verluste, sei es durch Konzertausfall oder reduzierte Bestuhlung, gemindert werden können.“

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