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Musiktheorie-Training auf dem Smartphone, hier mit der App NoteWorks. Foto: Juan Martin Koch
Musiktheorie-Training auf dem Smartphone, hier mit der App NoteWorks. Foto: Juan Martin Koch
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Wolken, Loops und Intervalle

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Apps und andere digitale Anwendungen in der Musikpädagogik – eine Übersicht
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Die Verwendung von digitalen Medien in Form von Apps, Clouds und anderen „smarten“ Anwendungen wird in Zukunft einen wesentlichen Bestandteil beim Üben und Musizieren einnehmen. Dies bringt auch zahlreiche Veränderungen für den schulischen und instrumentalen Musikunterricht mit sich. Während diverse Cloud-Dienste neue Möglichkeiten im Bereich der Verwaltung von Organisationsabläufen und beim Zurverfügungstellen von Daten ermöglichen, bieten Apps in all ihren verschiedenen Ausführungen und Einsatzbereichen neue methodische und didaktische Möglichkeiten.

Anselm Ernst, einer der bekanntesten Forscher im Bereich der Instrumentalpädagogik, machte bereits in den 1980er-Jahren auf die Wichtigkeit der Verwendung von Medien aller Art aufmerksam. Zu dieser Zeit war es ihm vor allem ein Anliegen, dadurch den pädagogischen Einfallsreichtum der Lehrer/-innen zu wecken, sowie verschiedenste Lernmaterialien zu entwickeln. Im Laufe des letzten Jahrzehnts fand im Musikunterricht in Bezug auf die Vielfalt und Modernität der Medien ein großer Wandel statt. Speziell die Verwendung von Apps und anderen digitalen Anwendungen ist dafür verantwortlich und bietet unzählige neue Möglichkeiten und Methoden des Übens und Musizierens für Lehrende und Lernende. Während viele (ältere) Kollegen die Entwicklung mit großer Skepsis beobachten, nutzen jüngere Pädagoginnen – vor allem aus der Jazz/Rock/Pop-Szene – Apps und Clouds regelmäßig bei ihren musikalischen Aktivitäten.

Der Musikunterricht und die Musikschule an sich waren immer schon Räume, wo Generationen aufeinandertreffen. Während sich die als „Digital Immigrants“ bezeichneten Lehrer/-innen über Jahre hinweg mit verschiedensten digitalen Anwendungen erst vertraut machen mussten, sind „Digital Natives“ damit aufgewachsen und verbringen heutzutage durchschnittlich mehr als drei Stunden täglich vorm Smartphone oder Tablet. In Sachen der Bedienbarkeit bringt dies allerdings nur geringe Vorteile mit sich. Vielmehr ändert sich aber das Berufsbild des Pädagogen – weg vom Wissensvermittler hin zum Begleiter und Coach. Dafür verantwortlich zeigen sich nicht nur Apps, sondern die in schriftlicher oder vor allem in audiovisueller Form vorkommenden Tutorials.

Im Mai 2019 machte der Rat für kulturelle Bildung eine Umfrage unter Jugendlichen (12 bis 19 Jahre) betreffend deren Nutzung von Bildungsangeboten an digitalen Kulturorten, wie YouTube, Vimeo et cetera. In den Ergebnissen wurde deutlich, dass Jugendliche entgegen der öffentlichen Meinung im Netz gezielt nach Inhalten suchen und sich durch Videos bei YouTube & Co. angeregt fühlen, selbst aktiv zu werden. Außerdem wünscht sich die Mehrheit der Befragten eine „stärkere Rezeption, Reflexion und Produktion von Webvideos in der Schule“. Dies hat zur Folge, dass sich aufgrund der Digitalisierung nicht nur der schulische Unterricht, sondern auch der Unterricht an Musikschulen verändern muss.

Der Einsatz von digitalen Medien und der Wechsel vom Wissensvermittler hin zum Coach soll bestimmt keine bewährten Methoden nichtig machen. Vielmehr sollen zusätzliche, individuelle Lehr- und Lernwege im Sinne des „Blended Learning“ (hierzu erscheint in der März-Ausgabe der nmz ein weiterer Artikel) entwickelt werden und so auch Platz für Motivation und gegenseitiges Lernen im Unterricht entstehen. Die Veränderungen betreffen aber nicht alleine die Lehrenden. Speziell die dafür nötige Infrastruktur am Musikschulstandort und die Rechtssicherheit müssen von den Verantwortlichen geschaffen werden. Angefangen bei eigenen Musikschul-Tablets, über flächendeckendes WLAN an Unterrichtsorten bis hin zu Daten- und Urheberrechtsschutz-Angelegenheiten warten große Herausforderungen.

Dropbox, WhatsApp und Co.

Apps finden aber nicht nur im musikalischen Bereich Einzug in Musikschulen. Vor allem Dienste zur sozialen Vernetzung, Kommunikation und Information sowie Anwendungen für Organisation und digitale Informationsspeicher bieten zahlreiche neue Möglichkeiten. Mit Google Drive, Windows OneDrive, Apple iCloud und Dropbox sind wohl die vier bekanntesten Clouddienste genannt. Jede dieser Clouds hat ihre Vor- und Nachteile. Eine Cloud schafft die Möglichkeit, sämtliche Daten auf einem Online-Server zu speichern und einen standort- und geräteunabhängigen Zugriff zu gewährleisten und das (fast) ohne Speicherplatzverlust am Endgerät. Neben einem gewissen Ausmaß an kostenlosem Speicherplatz, das jede Cloud zur Verfügung stellt, ist Dropbox aber diejenige Cloud, welche es ermöglicht, den Speicherplatz kostenlos zu erweitern. Zusätzlich kann Dropbox auf jedem Betriebssystem installiert werden.

Neben dem Zurverfügungstellen gespeicherter Daten ist die Cloud-Anwendung mit unterschiedlichen Features ausgestattet. Beim Einsatz im Musikunterricht bietet Dropbox diverse Möglichkeiten für alle Beteiligten: Zugriff mit WLAN oder mobilen Daten ist von überall und zu jeder Zeit möglich – wichtige Dateien können auch offline verfügbar gemacht werden.

  • Organisation und Strukturierung von Noten- und Organisationsmaterialien
  • Zurverfügungstellung von eigens produzierten Playbacks, Videos und Bilder
  • Direktes Scannen mit der App (z.B. von Noten oder sonstigen Dokumenten)

Kooperatives Arbeiten außerhalb des Unterrichts

Aber auch Dropbox kann an Grenzen stoßen. So können seit Anfang März vergangenen Jahres bei der Gratisversion nur noch drei Endgeräte gleichzeitig bei der Dropbox angemeldet sein. Zudem ist bei der Gratisversion der Dropbox nur ein gewisser Speicherplatz verfügbar, der durch Empfehlungen erweitert werden kann. Durch die DSGVO, die am 25. Mai 2018 EU-weit in Kraft getreten ist, muss auch auf das Datenschutzrecht geachtet werden. Es ist daher nützlich und sicherer, seine Daten zu verschlüsseln und gegebenenfalls per Passwort zur Verfügung zu stellen. Die App Boxcryptor beispielsweise ermöglicht genau eine solche Verschlüsselung der Daten und stellt sicher, dass diese nicht unrechtmäßig missbraucht werden.

Durch die Erfindung neuer digitaler Medien ergeben sich nicht nur vielfältigere methodische Einsätze im musikpädagogischen Bereich, es wird auch viel mehr untereinander kommuniziert als bisher. WhatsApp ist im deutschsprachigen Raum die meist genutzte Kommunikations-App unter Jugendlichen. Ähnlich wie bei den verschiedenen Cloud-Diensten kämpft aber WhatsApp immer wieder mit datenschutzrechtlichen Problemen und darf vielfach gar nicht verwendet werden. Zum Glück gibt es zahlreiche, sicherere Alternativen, die ähnliche Möglichkeiten bieten. Während die App Signal bereits vielfach in Pflichtschulen eingesetzt wird und die App Konzertmeister vor allem für Orchester und Chöre eine sichere Kommunikationsplattform darstellt, bietet die App Assionato eine Alternative für den Unterricht an Musikschulen. Die sichere Kommunikation wird dabei durch einen PIN-Code ermöglicht, den nur die betreffenden Personen erhalten. Die Stundenplanerstellung, etwaige Stundenverschiebungen und Unterrichtsnotizen können direkt über die App kommuniziert werden. Leider ist es aber nicht möglich, Audio-, Videomitschnitte und Links zu versenden.

Apps für den Musikunterricht

Während althergebrachte Metronome und Stimmgeräte – teils separat oder in Kombination erhältlich – schön langsam ausgedient haben, gibt es immer mehr Apps, die diese Funktion übernehmen. Soundcorset ist eine kos­tenlose App für Android und iOS Betriebssysteme. Es handelt sich dabei um eine grafisch passable Aufbereitung von Stimmgerät und Metronom in einem. Beim Stimmgerät lassen sich Frequenz und Instrument ohne Probleme voreinstellen und zu einer besseren Tonkontrolle ist zusätzlich eine grafische Aufarbeitung deiner Tonstabilität zu finden. Neben verschiedenen voreingestellten Rhythmen können beim Metronom auch eigene Beats generiert werden. Fürs Üben ist es beispielsweise möglich, eine Steigerung der Schläge pro Minute in einem zuvor ausgewählten zeitlichen Bereich einzustellen.

Eine attraktive jedoch kostenpflichtige Alternative zu Soundcorset bietet die App TE Tuner, welche ebenfalls für beide Betriebssysteme erhältlich ist. Diese App beinhaltet neben Stimmgerät und Metronom beispielsweise noch einen Intonationstrainer, welcher das Zusammenspiel mit einer anderen Person simuliert. Mit der App Drumgenius (iOS und Android) sei abschließend noch eine Alternative zu herkömmlichen Metronomen genannt. Diese Anwendung bietet eine Vielzahl an live eingespielten Drum-Loops für den Unterricht.

Zu den wichtigsten Apps für den Instrumentalunterricht gehören aber auch noch folgende zwei Anwendungen. Anytune (Pro) und Music Speed Changer ermöglichen eine Tempoveränderung von Audiofiles und das ohne Veränderung der Tonhöhe. Außerdem kann man in diesen Apps auch Loops setzen, welche vorab eingezeichnete Passagen in Endlosschleife wiederholen. Während die kostenlose Variante Music Speed Changer ausschließlich für Android Geräte zu Verfügung steht, ist das kostenpflichtige Programm Anytune Pro nur für iOS Geräte zu haben. Dafür bietet die letztgenannte App eine Vielzahl an weiteren, spannenden Möglichkeiten.

Musikbezogene Apps

Die Anzahl der musikbezogenen Apps, welche in den jeweiligen Online Stores (Google Play Store, Apple Appstore) heruntergeladen werden können, ist sehr umfangreich und steigt stetig. Deshalb hilft es, sich einen Überblick zu verschaffen und die zahlreichen musikbezogenen Apps hinsichtlich ihrer Funktionen in folgende sechs Kategorien einzuteilen.

1. Apps als musikalisches Werkzeug

Als die am meisten genutzten musikalischen Werkzeuge in Form einer App gelten erfahrungsgemäß Metronome und Stimmgeräte. Trotz der durch Werbeanzeigen eingeschränkten Bedienung ist die Qualität der kostenlosen Metronome und Stimmgeräte grundsätzlich sehr gut. Zu dieser Kategorie zählen aber auch Drum-Computer und Intonations-Apps, welche oft eine willkommene Abwechslung beim Üben bringen.

  • Empfehlungen: siehe oben; Cleartune (Android und iOS); IPT Tuner (Android), Musikalisches Metrum (iOS)

2. Apps zum Komponieren, Organisieren und Bearbeiten von Noten und Playbacks

Diese Kategorie umfasst eine Vielzahl von Apps mit unterschiedlichsten Verwendungsmöglichkeiten. Während sich das Komponieren vor allem aufgrund der Größe der Endgeräte oft als schwierig gestaltet, ist die Organisation von digitalen Noten aktuell ein wesentlicher Arbeitsaufwand vieler Musiker/-innen.

  • Empfehlungen: forScore (iOS); Mobile Sheets Pro (Android); Musescore (Windows, Android und iOS); iReal Pro (Android und iOS)

3. Apps zum Aufnehmen, Bearbeiten und Abspielen von Musik

Neben den für den Unterricht durchaus brauchbaren vorinstallierten Aufnahme-Apps am digitalen Endgerät ist eine große Anzahl von Diktiergeräten in den verschiedenen Online Stores zu finden. Die hohe Leistungsfähigkeit moderner Smartphones und Tab­lets ermöglicht mittlerweile Studioproduktionen von bemerkenswerter Qualität. Auf diese Weise können beispielsweise Loops erstellt oder mehrere Audiospuren gleichzeitig aufgenommen werden.

  • Empfehlungen: siehe oben; Amazing Slow Downer (Windows, Android, iOS), Audacity (Windows, Mac)

4. Apps für Musiktheorie und Musikgeschichte

Einen weiteren großen Bereich ergeben jene Anwendungen, die zur Vermittlung von theoretischem und geschichtlichem Wissen dienen. Eine besondere Form stellen dabei Apps, welche in Form von Lernspielen aufgebaut sind, dar. Diese Anwendungen sind vielfältig und bieten kreative Ansätze für den Musikunterricht. Verschiedene Online-Plattformen stellen zudem nicht nur zahlreiche vorgefertigte Apps zu Verfügung, sondern ermöglichen auch das selbstständige Erstellen unterrichtsspezifischer Apps. Zahlreiche Angebote gibt es im Bereich der Gehörbildungssoftware. Das Hören von Akkorden, Intervallen oder Melodien und das Erfassen von Rhythmen lässt sich dadurch auf unterschiedlichste Weise erlernen.

  • Empfehlungen: learningapps.org (Online); musikkunde.net (Online); NoteWorks (Android und iOS); EarTrainer (iOS); NoteTrainer (iOS)

5. Instrumentalspezifische Apps

Apps, die speziell für ein Instrument oder eine Instrumentengruppe entwickelt wurden, beinhalten alle wichtigen Informationen und Anwendungen im Umgang damit. Folgende Angebote sind demnach in vielen solcher Apps zusammengefasst: Grifftabelle, Transpositionshilfen, Metronom und vieles mehr. Erfahrungsgemäß bringen solche Apps (noch) nicht die gewünschte Unterstützung beim Üben und Musizieren und leiten zumeist zu weiterführenden, kostenpflichtigen Angeboten weiter. Ernstzunehmende Apps hingegen sind solche instrumentenbezogenen Lern-Apps, welche ein echtzeitbezogenes Feedback auf Intonation und Feedback geben.

  • Empfehlungen: Tonestro (Android und iOS); PhonicScore (Android); PracticeBird (iOS)

6. Apps als eigenständige Musik­ins­trumente

Bei diesen Apps handelt es sich um Anwendungen am mobilen Endgerät, mit denen mittels einfacher Bedienung Klänge erzeugt werden können. Für Instrumentalisten/-innen sind solche eigenständigen Musikinstrumente weniger interessant, jedoch bieten sie bereits als Soloinstrument die Basis für Orchesterkompositionen aller Art. Solche Musikapps werden in Zukunft eine noch stärkere Rolle in den Musikschulen aber auch im schulischen Musikunterricht einnehmen. So können zum Beispiel stark beeinträchtigte Menschen mittels geringem körperlichen Aufwand musizieren. Weiters können größere Klassengemeinschaften zeitgleich mit unterschiedlichen Musikapps auf ihren Smartphones miteinander musizieren und jammen.

  • Empfehlungen: Remix Live (Android und iOS); NinjaJamm (Android und iOS); Jambl (iOS)

Abschließen möchte ich diesen Artikel mit zwei Lehrsätzen, welche aus der Wirtschaft kommen und die digitale Revolution wie folgt beschreiben: „Alles was digitalisiert werden kann, wird digitalisiert. Alles was nicht digitalisiert werden kann, wird digital ersetzt.“ Dies löst wohl bei vielen Leserinnen und Lesern eine gewisse Unsicherheit und Angst vor dem aus, was da kommen wird. Das Gute daran ist aber, dass die Digitalisierung gerade erst begonnen hat. Es ist aber höchste Zeit, sich den aktuellen Herausforderungen zu stellen, um die zukünftigen (5G, Augmented Reality, usw.) bewältigen zu können. Denn die Musik lebt vom persönlichen Kontakt, dem Kommunizieren, dem gemeinsamen Empfinden und Spüren in einer angenehmen und offenen Umgebung, die nicht ausschließlich in einer virtuellen Umgebung stattfinden kann.
 

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