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Zum Status des Freien Mitarbeiters

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Vom (Miss-)Verständnis über Honorarbeschäftigung an Musikschulen
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Es ist in der Zwischenzeit gelebter Alltag an deutschen Musikschulen: Da gibt es die Musikschullehrer/-innen, die einen ordentlichen Arbeitsvertrag haben und jene, die auf Basis eines Honorarauftrages beschäftigt werden. Eigentlich eine klare Sache – oder etwa nicht?

Die individuellen Lebens- und Arbeitsbedingungen der auf Honorarbasis Beschäftigten und die jeweiligen Arbeitsstrukturen an den verschiedenen Musikschulen sind jedoch viel zu unterschiedlich für eine klare Sache. Hinzu kommen die verschiedenen, zum Teil gesetzlichen Vorgaben in den Bundesländern. Daher wird von diesen Beschäftigten der jeweilige Status entsprechend unterschiedlich wahrgenommen. Da gibt es zum Beispiel den tariflich angestellten Orchestermusiker, der sich durch die Tätigkeit an der Musikschule als Nebentätigkeit ein kleines Zusatzeinkommen verdient. Und auch Kolleg/-innen, die zuweilen seit Jahrzehnten mit Deputaten um die 15 Wochenstunden an ein und derselben Musikschule tätig sind. Am anderen Ende des Spektrums muss eine alleinerziehende Kollegin durch tägliche Fahrten zu drei oder vier verschiedenen Musikschulen mit jeweils nur geringsten Stundendeputaten und ein wenig Privatunterricht in der eigenen Wohnung um ihre Existenz und Altersversorgung kämpfen.

Allerdings gibt es ein gemeinsames und verbindendes Problem. Einerseits  fühlt sich die große Mehrheit der „freien“ Mitarbeiter/-innen zu Recht ebenso als Musikschullehrer/-in wie ihre angestellten Kolleg/-innen. Sie haben überwiegend die gleiche, hohe Qualifikation, und sie identifizieren sich ebenso mit ihrer Tätigkeit für ihre Schüler/-innen und zum großen Teil sogar mit „ihrer“ Musikschule. So sind daher aus der Perspektive der Schüler beziehungsweise deren Eltern ob ihres Engagements in ihrem Beruf meistens keine Unterschiede zu entdecken. Andererseits erklären gerade die kommunalen Träger der Musikschulen diesen KollegInnen, dass sie entgegen der eigenen Wahrnehmung eben keine gleichberechtigten Kolleg/-innen, sondern nur  „freie“ Mitarbeiter, sprich: selbständige Unternehmer seien.

Pädagoge vs. Unternehmer

Bedeutet das also, dass sich die „Freien“ ein falsches Bild über ihren eigenen beruflichen Status machen? Für alle Musikschullehrer/-innen ist es grundsätzlich selbstverständlich, alles für eine erfolgreiche pädagogische Arbeit zu tun, im Zweifel sogar außerhalb der Vereinbarungen des Auftrages oder des Arbeitsvertrages. Allerdings führt genau das bei „freien“ Mitarbeiter/-innen oft zu einer etwas überzogenen Erwartungshaltung gegenüber dem Auftraggeber. Dieser freut sich über das Engagement, verweist jedoch fast im gleichen Atemzug auf den Wortlaut des Vertrages. Und dann stellt sich häufig heraus, dass vom eigentlich sehr breiten Spektrum der Aufgaben und Tätigkeiten von Musikschullehrer/-innen nur ein Teil vertraglich vereinbart wurde und daher auch nur diese Tätigkeiten entlohnt werden. Trotzdem agieren auch „freie“ Mitarbeiter/-innen eher als Pädagogen, denn als „Unternehmer“. Insofern kann das eigene Berufsbild in diesem Konflikt, bezogen auf den erteilten Auftrag, zumindest verzerrt sein.

Zum aktuellen, in der Praxis von den Trägern gewünschten und von vielen „freien“ Mitarbeitern/-innen nicht hinterfragten Status als „Honorarkraft“ muss man feststellen, dass es keine andere gesetzliche Bindung, als zwischen einem Auftraggeber und dem jeweiligen selbständigen Unternehmer gibt. Gegenseitige Rechte und Pflichten ergeben sich in erster Linie aus dem geschlossenen Vertrag, dem BGB, aber auch aus dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG). Auch ist der „freie“ Mitarbeiter/-innen laut den Landes-Personalvertretungsgesetzen (PersVG, außer in NRW und in Baden-Württemberg) weder Betriebsangehöriger, noch in irgendeiner Art betrieblich integriert und kann daher auch keinen Anspruch auf innerbetriebliche Vertretung erheben. Es ergeben sich ferner auch keinerlei arbeitsrechtliche oder sozialrechtliche Ansprüche. Nur die Künstlersozialkasse (KSK) steht diesen „Unternehmern“ insoweit zur Seite, dass sie als Sonderregelung für selbständige Künstler/-innen und Publizisten/-innen deren Beiträge zur Kranken- und Rentenversicherung auf den gesetzlichen Arbeitnehmeranteil begrenzt. Das unterscheidet die „freie“ Musikschullehrkraft von Selbständigen in der freien Wirtschaft.

Warum sollte jemand zu solchen Bedingungen tätig sein? Das würde sich doch nur lohnen, wenn sich das mit dem unternehmerischen Risiko verbundene existenzielle Risiko im Verhältnis zu einem entsprechenden Gewinn steht. Allerdings sind die zu erwartenden Jahreseinkünfte von im Bundesdurchschnitt 12.404,- € (Brutto, siehe Umfrage der ver.di-Fachgruppe Musik von 2012) wohl eher kein Zeichen eines erfolgreichen Geschäftsmodells, geschweige denn eine solide Basis zur Existenzsicherung womöglich einer ganzen Familie. Insofern ist nachvollziehbar, dass nur ein vergleichsweise kleiner Teil der auf Honorarbasis Beschäftigten die Tätigkeit unter solchen Rahmenbedingungen auf eigenen Wunsch ausüben möchte. Der weitaus überwiegende Teil tut das wohl einzig aus Mangel an Alternativen. Oder gibt es die vielleicht doch? Zumindest das Arbeitsrecht zeigt eine solche auf.Scheinselbständigkeit

Die Rede ist dabei von „arbeitnehmerähnlichen Personen“ („arbeitnehmerähnliche Freie“) nach Tarifvertragsgesetz (TVG) §12a. Das TVG trägt dem Umstand Rechnung, dass „freie“ Mitarbeiter/-innen durch Erreichen eines bestimmten Einkommensanteils bei nur einem Auftraggeber in wirtschaftlicher Abhängigkeit von diesem Auftraggeber tätig sind. Ab diesem Punkt wird dem Auftraggeber grundsätzlich eine gewisse Verantwortung für „seine“ Mitarbeiter/-innen übertragen. In der Folge werden den arbeitnehmerähnlichen „Freien“ daher einerseits begrenzte Arbeitnehmerrechte (Urlaub) zugebilligt und auch die Möglichkeit von betrieblichen Tarifverhandlungen (zusammen mit Gewerkschaften) zur weiteren Verbesserung der ökonomischen und sozialen Rahmenbedingungen eröffnet.

Leicht mit der Arbeitnehmerähnlichkeit zu verwechseln, da auch mit dem Thema „echte Selbständigkeit“ eng verknüpft, ist die sogenannte Scheinselbständigkeit. Scheinselbständigkeit ist ein Begriff aus der Sozialgesetzgebung. Er beschreibt den Status, vertraglich zwar als selbständig bezeichnet zu werden, aber wie ein Arbeitnehmer handeln zu müssen. Zitat aus „Deutsche Rentenversicherung“:

„Dass Sie kein echter Selbstständiger, sondern nur scheinbar selbstständig sind, dafür sprechen folgende Kriterien:

  • die uneingeschränkte Verpflichtung, allen Weisungen des Auftraggebers Folge zu leisten
  • die Verpflichtung, bestimmte Arbeitszeiten einzuhalten
  • die Verpflichtung, dem Auftraggeber regelmäßig in kurzen Abständen detaillierte Berichte zukommen zu lassen
  • die Verpflichtung, in den Räumen des Auftraggebers oder an von ihm bestimmten Orten zu arbeiten

… Es kommt auf die tatsächlichen Verhältnisse im beruflichen Alltag an.“

Rechten und Pflichten

Es wird klar, wie schmal der Grat ist, auf dem Musikschulen wandeln, wenn sie „freie“ Mitarbeiter/-innen beschäftigen. Leicht handelt es sich um eine abhängige Beschäftigung, also ein arbeitsvertragliches Verhältnis mit allen sich daraus ergebenden arbeitsrechtlichen, tariflichen, dienstrechtlichen und sozialen Rechten und Pflichten für beide Vertragspartner. Aus diesem Grund suchen die meisten Musikschulen diesen Status zu vermeiden, und es wird vertraglich und formal alles unterbunden, was auf eine starke Integration in den Betrieb schließen lässt. Die Begrenzung der Deputate ist dafür ein Beispiel.

Ein weiteres Beispiel dafür, den Anschein zu vermeiden, dass auf Honorarbasis Beschäftigte keine „normalen“ Selbständigen sind, ist das gegenüber den „Freien“ nur selten offen ausgeübte Weisungsrecht. Es gibt keine angewiesenen Dienstberatungen oder Konferenzen, obwohl das natürlich als freiwillige und unbezahlte Tätigkeit gern gesehen wird. Ähnlich läuft es bezüglich der Vorbereitung und der Betreuung von Schülern bei Konzerten und Wettbewerben: gern gesehen, aber nur bezahlt, wenn es explizit im Vertrag vereinbart wird. Es gibt natürlich auch keine inhaltlichen Vorgaben bezüglich des Unterrichts. Ungeachtet dessen hat sich jedoch die Mehrzahl der kommunalen Musikschulen als VdM-Musikschulen gegenüber ihren „Kunden“ verpflichtet, nach den VdM-Lehrplänen zu unterrichten. Man kann diese Aufzählung noch weiterführen, aber die Strategie zeichnet sich auch so ab: Man interpretiere die entscheidenden Vorgaben nach jeweils passender Art, mache dadurch Arbeitnehmerähnliche zu freien Unternehmern,  und schon wird nicht nur jegliche Verantwortung für die Mitarbeiter/-innen abgegeben, sondern man spart auch noch Geld.

Allerdings ist das eine Milchmädchenrechnung, da diese Einsparung nicht nur zu einem geringeren Finanzbedarf der Musikschulen führt.  Ein ausdrücklich nicht vertraglich vereinbartes Maß an notwendigen Tätigkeiten führt zu einer entsprechend geringeren Arbeitsleistung. Möchte jedoch die Musikschule auf all diese Tätigkeiten nicht verzichten, muss sie diese auch entsprechend honorieren. Das führt jedoch wieder zu Kostensteigerung und höherer Integration in den Betriebsablauf  mit dem erhöhten Risiko, dass ein Arbeitsgericht  ein Arbeitsverhältnis erkennen könnte. Die Einführung von Honorarbeschäftigung im Kernbereich der Musikschularbeit, ursprünglich eigentlich nur für Gastvorlesungen an universitären Einrichtungen gedacht, entspringt größtenteils dem Finanzdruck der Kommunen und nur in zweiter Linie dem Wunsch nach höherer Flexibilität der Angebote in den Musikschulen. Das hat für die betroffenen Kolleg/-innen wie deren Schüler/-innen durchaus gravierende Nachteile und ist (arbeits-)rechtlich, kultur- und bildungspolitisch und auch moralisch gerade für kommunal getragene Musikschulen fragwürdig. Die musische Bildung lebt, genau wie auch die Musikschule selbst, nicht nur von der fachlichen Qualität „ihrer“ Lehrer/-innen. Diese ist selbstverständlich eine individuelle Eigenschaft und hängen weitestgehend nicht von der Beschäftigungsart ab. Weitere Voraussetzungen sind z.B. die verlässliche „Verfügbarkeit“ der Lehrkräfte und die Möglichkeit, sie zur Umsetzung der weiteren Bildungsinhalte (Kammermusik, Orchester, Theorie, Konzerte, Wettbewerbe, Freizeiten) sowohl zeitlich und örtlich, als auch inhaltlich zu koordinieren. Das kann ein Betrieb mit wirklich „Freien“ eigentlich nicht umsetzen, da diese selbstbestimmt tätig sind und im Zweifel auch betriebswirtschaftlich denken und handeln müssen. Hier wäre im Interesse der Musikschule und ihrer SchülerInnen eine stärkere Bindung an den Betrieb,  z.B. über das Weisungsrecht eines Arbeitgebers erforderlich.

Rechtskonformes Verhalten

Genau darin besteht jedoch das Dilemma für die Musikschulen. Feste Stellen durch Beschäftigung auf Honorarbasis zu ersetzen, verringert zwar einerseits Kosten, jedoch verliert die Musikschulleitung auch die wichtige Weisungsbefugnis, die sie für Qualität und Kontinuität benötigt. Würden die „Freien“ sich in der Realität rechtskonform verhalten, wäre der Musikschulbetrieb, gerade in Anbetracht ihres nunmehr sehr hohen Anteils dieser Beschäftigung, in der von den Trägern gewünschten und pädagogisch notwendigen Weise wohl nicht aufrecht zu erhalten.

Den tatsächlichen rechtlichen Status kann sich die Lehrkraft eigentlich nicht auswählen. Er ergibt sich unabhängig vom Wortlaut des geschlossenen Vertrages direkt aus den realen und durch den Träger meist einseitig bestimmten Arbeitsbedingungen vor Ort. Dagegen sind Rechte aus einem Arbeitsvertrag gesetzlich und tarifrechtlich verlässlich geregelt und werden von den Arbeitgebern auch weitgehend befolgt. Anders sieht es mit den Rechten der „Freien“ aus. Sowohl Arbeitnehmerähnlichkeit als auch die Feststellung auf Scheinselbständigkeit muss eine Lehrkraft individuell erstreiten. Das ist besonders im Falle der Arbeitnehmerähnlichkeit mehr als ärgerlich, da die Kriterien eindeutig sind und der Status zwar formal beantragt, vom Arbeitgeber aber zwingend zu gewähren ist, und obwohl der Gesetzgeber in §12 TVG ausdrücklich von Personen, „die vergleichbar einem Arbeitnehmer sozial schutzbedürftig sind“, spricht. Bereits die Anerkennung der Arbeitnehmerähnlichkeit führt regelmäßig zu spürbaren Einkommensverbesserungen. Recht haben und Recht bekommen, ist also auch hier nicht Dasselbe. Daher muss man für sein Recht auch kämpfen.

Und es ist auch nicht Dasselbe, ob eine Lehrkraft einsam eine Individualklage führt oder ob dies gleichzeitig von Vielen getan wird. Denn: Gemeinsam mit anderen ist man stark – und ganz besonders als Mitglied einer Gewerkschaft. Sie bietet das notwendige Know-how, den Halt untereinander und besseren Schutz der Rechte und vor Repressalien.

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