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Kartoffeldruck? - Foto: Hufner
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Zur Zukunft der Note im digitalen Zeitalter

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Warum Klassikverlage mit Noten-Download kein Geld verdienen
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Gedruckte und gebundene Noten – bewährtes Handwerkszeug der Musiker seit über 500 Jahren – können meiner Einschätzung nach das derzeit stark wachsende digitale Angebot gelassen beobachten und zuversichtlich in die Zukunft blicken. Bei Musikern der sogenannten „klassischen“ Musik wird diese Konkurrenz keine nennenswerte merkantile Größenordnung erreichen.

Auch nicht, wenn jetzt einige bedeutende Musikverlagshäuser das Internet hoffnungsfroh als neues Geschäftsmodell für sich entdecken, indem sie ihre Notenseiten gebührenpflichtig zum Download anbieten wollen. Mutig wird dort behauptet, man komme „an Downloads auf keinen Fall vorbei“, wenn man „im 21. Jahrhundert noch Noten publizieren will“ (so Dr. Matthias Hutzel, Schott-Verlag, Börsenblatt 17/2009, S. 38). Ich sehe das ganz anders. Der Grund für meinen Glauben an die gebundenen Noten ist so einfach, dass man sich fast schämt, es den Kollegen sagen zu müssen: Die gebundene Note ist der schäbigen Einzelblattsammlung oder gar dem Bildschirm in vielerlei Hinsicht unendlich überlegen. (Wer vergessen hat, worin die Vorteile liegen, kann mich gerne kontaktieren.)

Überlegen ist die Musikalie vor allem genau in jenen Punkten, auf die es beim Musikmachen (anders als beim Buch) ankommt: Praktikabilität und Dauerhaftigkeit. Es mag eine Nische geben, die man digital besser erreicht als analog; aber Geld verdient wird hier nicht. Mancher mag diesen Standpunkt für vorgestrig halten und meine Gelassenheit mit Ignoranz oder dem Pfeifen im Walde vergleichen. Ich erläutere in aller Kürze, woher ich meine Zuversicht nehme.

(1) Das massenweise legale oder illegale, kostenlose oder kostenpflichtige Downloaden von Notenbilddaten ist „dank“ des Internets lediglich das bequemere Fotokopieren von heute und morgen. Nach über 30 Jahren Koexistenz mit dem Fotokopierer bleibt festzuhalten: In aller Welt kaufen Musiker immer noch, und in beachtlichen Stückzahlen, gedruckte und gebundene Noten anstatt sie zu fotokopieren. Die Download-Möglichkeit wird das prinzipielle Besorgungs- und Kaufverhalten solcher auf Qualität und Nutzen ausgerichteter Musiker nicht verändern. Sie werden weiterhin die Vorteile der gebundenen Musikalie, sofern sie lieferbar ist und eine gewisse Preisschwelle nicht überschreitet, zu schätzen wissen: Praktikabilität, Stabilität und Werterhalt (einmal ganz abgesehen von Schlagworten wie Ästhetik, Bibliophilie und Prestige).

(2) Das aktuell angekündigte Portal steht in einem Wettbewerb, den es schon verloren hat, bevor überhaupt begonnen wird. Denn die „Konkurrenz“ – im Klassikbereich – stellt ihre hunderttausende Notenseiten schlichtweg kostenlos ins world-wide-web – und zwar (überwiegend) gemeinfreie, aber auch geschützte Werke. Das ist ein unkontrollierbarer, nicht kommerziell ausgerichteter Wildwuchs, und er vermehrt sich tagtäglich. Das Adressenverzeichnis http://www.freesheetmusicguide.com/classical.htm informiert recht gut (aber keineswegs vollständig) darüber, welche Links es momentan gibt, unter denen man Noten jeder Richtung kostenlos downloaden kann. Eine viel besuchte Adresse davon ist http://imslp.org/wiki/Hauptseite (seit 2006 online, bis heute 28.773 gemeinfreie Partituren „klassischer“ Musik hochauflösend zum kostenlosen Download). Dagegen sind beispielweise die über 15.000 Seiten der Neuen Mozart-Ausgabe (Bärenreiter Verlag) unter http://dme.mozarteum.at/DME/nma/nmapub_srch.php geradezu Download-„peanuts“. Und wer lieber die gute „alte“ CD-ROM verwenden und dabei etwas, aber wirklich nur etwas Geld ausgeben will, greift zu bei http://www.cdsheetmusic.com, einem Verlag, der das nahezu gesamte klassisch-romantische Standardrepertoire der sogenannten „Alten Gesamtausgaben“ von Breitkopf & Härtel (und vieles mehr) geraubt, Verzeihung: gescannt hat (70 CD-ROMs mit über 150.000 Musiknoten-Seiten). Hätte unser Markt nur annähernd die Potenz des Buchmarktes – Google oder andere global player hätten schon längst begonnen, die in die Millionen gehenden copyrightfreien Musikwerke zu scannen und online, natürlich kostenlos, finanziert durch Werbeeinnahmen, anzubieten.

Und in diesem Haifischbecken will das deutsche Online-Portal von Schott, Peters und Anderen nennenswerte Umsätze kreieren? Mein Rat wäre, wenn es denn überhaupt sein soll, sich dann doch besser einem eingeführten, kommerziellen Anbieter solcher Notenbilddaten anzuschließen, wo das Inkasso bereits funktioniert und wo man von Musikern wenigstens gefunden wird, falls sie tatsächlich ein konkretes „klassisches“ Werk eines konkreten Verlags suchten. Es böten sich hier, nur als Beispiel, FreehandMusic an, bei denen Schott wohl ein Pilotprojekt laufen hat, oder MusicNotes, mit über 100.000 kostenpflichtig downloadbaren Titeln (!). Natürlich geht es hierbei immer um Popmusik, „Klassik“ spielt auf solchen Seiten keine Rolle.

(3) „Klassische“ Musik eignet sich für aktive Musiker allein schon deshalb nicht zum Download-„fast food“, weil sie oft sehr viele Notenseiten umfasst. Mit wachsender Seitenzahl nimmt bekanntlich auch das Interesse an dieser Alternative zur gebundenen Musikalie rapide ab. Je kürzer die Stücke allerdings sind, je weniger Einzelseiten also nebeneinander zu legen oder aneinander zu kleben sind, desto eher ist man als Musiker bereit, auch aus Kopien zu spielen. Ein Lehrer beispielsweise könnte sich die von ihm ausgewählten Stücke einmal, kostenpflichtig, herunterladen; die künftige kinderleichte Vervielfältigung für seine Schüler übernimmt er selbst. Der Notendownload funktioniert vor allem im Bereich der „Unterhaltungsmusik“ als ernst zu nehmendes Geschäftsmodell, weil es dort zudem darauf ankommt, möglichst rasch an das gewünschte, „aktuelle“ Stück(chen) zu kommen. Ist es nicht mehr aktuell, kann man die Kopien wegwerfen – „fast food“ eben. Kein Streichquartett, das seinen Brahms mal rasch aus Kopien anspielt und dann wegwirft …

(4) Ich fasse zusammen: Das Digitale zieht in unserem speziellen Bereich vor dem Analogen prinzipiell den Kürzeren. Dies wird von unserer Zielgruppe auch so gesehen. Heruntergeladen werden am ehesten kurze, gezielt ausgewählte „klassische“ Stücke, etwa aus Sammelalben oder aus Unterrichtsmaterialien, so wie sie mancher früher fotokopierte. Mancher wird dafür auch – vielleicht – einen kleinen Obulus bezahlen (immerhin spart man sich den Gang zum Copyshop). Auch im Bereich vergriffener Musikalien – das sind solche, die keiner mehr kauft, sonst wären sie noch lieferbar –, wird man immerhin bei einigen Musikern auf Interesse stoßen. Alles in allem also ein Nischenmarkt, an dem die teilnehmenden Verlage wenig Anlass zur Freude haben dürften.

Der Autor ist Geschäftsführer des G. Henle Verlags

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