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Zwischen Mut und Routine

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Ein neues „Schul-Liederbuch“ mit angenehmer Diversität
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Stefan Sell, Friedrich Neumann (Hg.): Schul-Liederbuch für allgemein bildende Schulen, 408 Seiten, Schott Music 2018, ISBN 978-3-795711-80-1

Version A: Schulliederbüchern jedweder Coleur haftet metaphorisch – und auch buchstäblich – der Stallgeruch renovierungsbedürftiger Musiksäle an allgemeinbildenden Schulen an. Im zentimeterdicken Staub der Jahrzehnte vereinsamt auf ehemals furnierten Ablagen in abstrakten Stapelgebirgen ihr Dasein fristend, lassen sie ihre halb abgerissenen, der weit fortgeschrittenen Erosion anheimgefallenen Einbände deprimiert hängen... sich vergebens sehnend nach der Metamorphose in ein trendiges Youtube-Singalong-Tutorial, eine multipel animierte Karaoke-App oder doch zumindest ein Keynote-gebeamtes Leadsheet.

Version B: Schulliederbücher repräsentieren – jenseits aller Digitalisierungswut beflissener Bildungspolitiker/-innen – das analoge Herz musikalischer Herzensbildung. Ihre halb abgerissenen Einbände lassen das ungestüme Begehren der entdeckerfreudigen Schülerschaft nach in Töne gegossenen Emotionen der Vergangenheit und Gegenwart haptisch spürbar werden.
Im Spannungsfeld dieser beiden – nur unwesentlich überzeichneten – Bilder vom Leben und Sterben eines zentralen musikbezogenen Lehr- und Lernmittels bedeutet die Neukonzeption eines Schul-Liederbuchs entweder redaktionellen Mut oder eben aber Editionsroutine.

Wohin das Pendel im vorliegenden Fall ausschlägt, mag der Betrachter und Nutzer letztlich selbst entscheiden. Konstatieren aber kann man dem Projekt aus dem Hause Schott jedenfalls ein hohes Maß an Ausgewogenheit in allen Belangen: Geographische, historische und genrebezogene Kriterien werden gleichermaßen berücksich­tigt und führen zu einem Kompendium, welches zum einen ein Arbeiten mit Querbezügen (zum Beispiel politisches Engagement im Volkslied wie dem Popsong) unterstützt, zum anderen aber auch hemmungslos ausschweifende Streifzüge durch die Liedlandschaft der letzten Jahrhunderte zulässt.

Natürlich, jeder kann auf den knapp vierhundert Seiten das nicht finden, was er/sie vermissen will, allein verglichen mit vielen anderen Vergleichsprodukten ist aber hier angenehme Diversität erreicht. Natürlich, man könnte sich ein penibleres Lektorat angesichts so mancher unklarer Notationsdetails oder auch Textunschärfen wünschen. Natürlich, eine deutlicher ausgeprägte redaktionelle Spürnase für die Songs der jüngsten Vergangenheit – mit allen Risiken, dass dieser oder jener dann doch nicht bleiben wird – hätten ein Alleinstellungsmerkmal bedeuten können.

Natürlich könnte man sich fragen, warum manche Lieder/Songs verhältnismäßig ausschweifend kontextualisierend kommentiert werden, andere – sie hätten es auch verdient – aber gar nicht oder nur knapp.

Aber man kann auch zu viel wollen. Und sich dann fragen, welches der derzeit angeboten Liederbücher mit gemischtem Repertoire die bessere Alternative darstellen könnte. Glück auf dabei!
 

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