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Der Landesjugendchor Hamburg bei seinen ersten Proben – schnell hat man sich zusammengefunden. Foto: © Kai Erik Thies

Der Landesjugendchor Hamburg bei seinen ersten Proben – schnell hat man sich zusammengefunden. Foto: © Kai Erik Thies

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Der Chor mit dem WOW-Effekt – Die Debütkonzerte des Landesjugendchores Hamburg

Vorspann / Teaser

Es ging alles ganz schnell. Um sich auf seinen allerersten Auftritt vorzubereiten, hat sich der Anfang dieses Jahres vom Landesmusikrat Hamburg gegründete Landesjugendchor Hamburg nur zwei Probenwochenenden und einen Probentag gegönnt. Das ist sehr wenig! Um so mehr konnte das Ensemble unter der Leitung von Cornelius Trantow von der Hochschule für Musik und Theater mit einer durch und durch glanzvollen Leistung sein Debüt geben. Mit einem Programm voller kleiner Schmuckstücke der Chorliteratur hat der Chor auch sich selbst einen hohen Anspruch gesetzt. Einzig: ein paar (eigene) Tenöre und Bässe könnte der Chor schon noch gebrauchen.
 

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    In einer Zeit, in der der normale alljährlich wiederkehrende Winter schon als einzigartige überregionale Schneekatastrophe betitelt wird, ist es schwer wirklich herausragende Ereignisse mit angemessenen Worten zu beschreiben. Die beiden Debütkonzerte des neu gegründeten Landesjugendchores Hamburg (LJC HH) unter dem Motto „Auftakt“ waren unzweifelhaft solche positiv herausragenden Ereignisse. Der erwähnte sprachliche Gigantismus hat hierfür keine Worte mehr – deshalb muß ein einziges Wort reichen: ein ehrliches und tiefempfundenes voller Ehrfurcht hingehauchtes „WOW“!

    Der LJC HH ist erst in diesem Jahr gegründet worden. Kurz vor Beginn der Sommerferien wurde das erste offizielle Mitglied des Chores, der Chorleiter Cornelius Trantow, vom Landesmusikrat Hamburg gewählt. Am 8. Juli und 3. September fanden die Vorsingtermine für mögliche Chorsänger statt. Es folgten zwei Probenwochenenden und ein Probentag. Am 24. und 25. November trat der Chor mit dem WOW-Effekt erstmals in der Kirche St. Antonius und im Spiegelsaal des Museums für Kunst und Gewerbe an die Öffentlichkeit.

    „Niemand kannte sich“, beschreibt eine Sängerin die erste Begegnung auf dem Probenwochenende in Büsum. Die Sänger und Sängerinnen sind zwischen 15 und 27 Jahre alt – teilweise noch im Schulchor, teilweise noch in der Ausbildung und manche schon im Arbeitsleben. Eine andere Sängerin meinte dazu: „Sonst habe ich mit so Kleinen nichts zu tun. Aber die hier sind toll, die sind so frisch und lebendig – das tut mir gut.“ Für alle Teilnehmer ist der Chor eine Übergangsphase entweder in einen „Erwachsenenchor“ oder auch ein professionelles Musikerleben. Ein Übergang, der aber durch viele neue musikalische Erfahrungen geprägt und begleitet wird.

    Bedenkt man, dass manche Chöre oftmals viele Jahre brauchen, um sich irgendwie (menschlich wie stimmlich) zusammenzufinden, hat Trantow in nur fünf Tagen geradezu Unvorstellbares geleistet. Das Konzertprogramm des Debütkonzertes umfaßte Werke durch alle Epochen von Heinrich Schütz (1585 – 1672) bis hin zum britischen Blues- und Soulsänger Rory Charles Graham (* 1985), bekannt geworden als Rag’n’Bone Man. Schöne und zumeist eher unbekannte Werke durchaus bekannter Komponisten (z. B. Fanny Hensel, Johannes Brahms, Hugo Distler) ließen immer wieder aufhorchen. Dabei scheuten sich Trantow und der Chor auch nicht vor einem anspruchsvollen achtstimmigen doppelchörigen Werk.

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      Noch ist der Spiegelsaal im Museum für Kunst und Gewerbe beim Ansingen leer. Das Konzert war dann fast ausverkauft. Foto: © Caroline Steinhagen

      Noch ist der Spiegelsaal im Museum für Kunst und Gewerbe beim Ansingen leer. Das Konzert war dann fast ausverkauft. Foto: © Caroline Steinhagen

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      Trantow ist ein bißchen anders als diejenigen Chorleiter, die die meisten Sänger und Sängerinnen wohl noch kennengelernt haben. Er reitet nicht auf stundenlang auf einer falschen Note herum und wedelt vor dem Chor mit den Armen. Trantow ist uneitel und (für hanseatische Verhältnisse) eine Frohnatur. Allein ihn als Zuhörer im Konzert von hinten zu sehen, erhöht die Serotonin-Produktion im eigenen Körper. Wie muß das erst für die Musiker vor ihm sein!

      Trantow liebt die Arbeit mit jungen Leuten, findet sie „cool“. Das ist unübersehbar und unüberhörbar. Er will Menschen (und Musiker) zu mehr Selbständigkeit führen (Nicht erziehen! – Führen!). „Ich stehe vor dem Chor, mache eine gute Figur und betreibe Musikvermittlung“, beschreibt er sein Selbstverständnis als Chorleiter. Er möchte, dass die Sänger nicht reagieren, sondern agieren. Ein Sänger beschreibt das so: „Er erklärt uns die Musik, möchte, das wir verstehen und begreifen, was wir singen. Er probt nicht wirklich – er macht uns sensibel.“ Eine Sängerin ergänzt: „Er pflanzt uns so etwas wie ein musikalische Gruppengehirn ein.“ Dieses Gruppengehirn aber braucht keinen Leiter mehr im herkömmlichen Sinn. Für Trantow bedeutet das, er muss bei der Aufführung nur noch „freundlich lächeln und motivieren“. Nur bei Notfällen muß er noch mal kurz eingreifen.

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        Was bedeutet das alles konkret? Das konnte man gleich beim ersten Auftritt des Chores in der Kirche St. Antonius erleben. Heinrich Schütz’ doppelchörige Motette „Jauchzt dem Herren“ (Psalm 100) – der größere Teil des Chores steht und singt in der Kirche. Ein kleiner vierstimmiger Chor geht quasi vor die Tür und bildet – ohne den anderen Chor und den Dirigenten zu sehen – eine Art Echochor. Der Bassist des Echochores ist erkrankt, Trantow muß selbst einspringen und geht mit dem Echochor hinaus. Der Hauptchor sieht seinen Dirigenten nicht mehr, besser noch: der dirigiert nicht, sondern singt selbst mit. Vom intuitiv richtigen ersten gemeinsamen Einatmen über die einzelnen Stimmeinsätze bis hin zum gegenseitigen aufeinander Hören – auf den eigenen Chor und auf den anderen Chor – klingt alles ausgewogen, perfekt und von den Ausführenden geistig und musikalisch durchdrungen. WOW!

        Auch die Moderation durch den Abend haben die Mitwirkenden aus dem Chor selbst übernommen. Neben Worten des Dankes und historischen Anekdoten zu den aufgeführten Stücken, konnte man das gesunde Selbstbewußtsein der Sprecherinnen genießen. So bemängelte eine, dass im ganzen Programm nur eine Komponistin vertreten ist. Ja, das muß angesichts der noch immer übermächtigen männlichen Komponistenszene in Konzertprogrammen eingefordert werden. Bravo! Eine andere sagte abschließend: „Ich denke, wir können mit Stolz unseren Namen unter dieses Kunstwerk [Anm.: gemeint ist das Konzert] setzen!“ Damit griff sie auf den Anfang des Programms zurück, in der in dem Gedicht „Wie man einen Vogel malt“ (Vertonung Harald Genzmer) der Maler aufgefordert wird: „Und schreibst in eine Ecke des Bildes deinen Namen nieder“.

        Was nach einem solchen Anfang noch kommen kann – davon kann man nur träumen. Denn schon dieses Konzert war ein (leider viel zu kurzer) Traum. Andererseits gibt es noch viele Leerstellen, die der Chor noch zu füllen hat. Nur durch Trantows gute Kontakte konnte er sich an den Musikhochschulen in Hamburg und Lübeck Gastsänger ausleihen, die den Tenor und den Baß verstärkt haben. Da wären eigene Männerstimmen schon ein kleiner, aber notwendiger Luxus! Das nächste Vorsingen und dann auch die nächsten Proben und Konzerte stehen schon vor der Tür!

        Weitere Informationen:

        • https://www.lmr-hh.de/project/landesjugendchor/ – Internetpräsenz des LJC HH beim Landesmusikrat Hamburg
        • Für das Vorsingen am 9. Februar 2024 kann man sich per E-Mail bei Claudia Klemkow-Lubda anmelden: klemkow-lubdaatlmr-hh.de (klemkow-lubda[at]lmr-hh[dot]de) – Man bekommt dann rechtzeitig eine Einladung mit genauen Infos zu Uhrzeit, Ort u. ä. – Natürlich werden nicht nur Bässe und Tenöre gebraucht – auch Frauenstimmen dürfen sich gern bewerben!

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