Wo steht die Laienmusikszene? Wie wird das Ehrenamt in der Gesellschaft betrachtet? Welche politische Unterstützung erfährt die Laienmusik von Volksvertretern und Parteien? Diese Fragen sind Grundlage der Artikelserie „Die Laienmusikszene in Deutschland – Mut zur Veränderung!“ in der nmz von Nico Lauxmann und Stefan Liebing. Der heutige Artikel beschäftigt sich mit einem Beispiel der Zusammenarbeit von Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen im Bereich der Musikschulen in Sindelfingen, Landkreis Böblingen.
Das Ziel: wir fahren nach England! Die Zutaten: eine Musikschule, zwei Vereine, zwei Berufsdirigenten, drei ehrenamtliche Jugendleiter und natürlich nicht zu vergessen: etwa siebzig Jugendliche im Alter zwischen 10 und 17 Jahren. Alles in allem eine Mischung die Pädagogen und alle, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten erzittern lässt. Das Ergebnis des Projektes England war zum Redaktionsschluss noch nicht bekannt, frühere Erfahrungen lassen aber darauf vertrauen, dass auch diesmal alles wie am Schnürchen klappen wird.
Wie alles begann
Doch der Reihe nach. Bereits im Jahr 2001 haben die Sindelfinger Schule für Musik, Theater und Tanz (SMTT) und die Stadtkapelle Sindelfingen nach einer längeren Phase getrennter Wege entsprechend der Rahmenvereinbarungen des BVBW (Blasmusikverband Baden-Württemberg e.V.) und des VdM (Verband deutscher Musikschulen) einen Kooperationsvertrag abgeschlossen. Hauptinhalt ist die enge Zusammenarbeit im Bereich der bläserischen Jugendausbildung. Zuständigkeiten, Zuschüsse und Ziele sind im Vertrag schriftlich fixiert, gegenseitige Rechte und Pflichten erläutert, denn man wollte natürlich aus Versäumnissen der Vergangenheit lernen. Von Beginn an war klar, dass sich die Stadtkapelle nicht nur finanziell sondern auch personell engagieren wollte, schließlich ist die Sicherung des Nachwuchses für Vereine eine Frage des Überlebens. Wichtige Faktoren sind dabei nicht nur die Qualität der Ausbildung, sondern auch die Attraktivität des gesamten Angebotes. Und hier kommt ein äußerst komplexes Paket zusammen, das von rein logistischen Dingen wie Proben und Räumlichkeiten über Stückauswahl, Konzerte und Auftritte bis hin zu Freizeitveranstaltungen und der vielgerühmten Kameradschaft reicht.
Markus Nau, Schulleiter und Dirigent in Personalunion verfolgte die Zielsetzung mit großer Motivation und stellte das noch gar nicht existente Team gleich auf die Probe. Eine Einladung aus Ungarn lag vor. Also wurden gemeinsam mit der ehrenamtlichen Jugendleiterin der Stadtkapelle, Tanja Knof die ersten Pläne geschmiedet. Doch schnell musste man feststellen, allein reicht es nicht wir sind noch zu wenige und zu jung, wir brauchen Verstärkung! Nach kurzem Überlegen wurde man in der eigenen Stadt fündig, das Netzwerk der Jugendleiter im Kreisverband der Musikvereine hatte geholfen. Mit Armin Moroff und seinen Jungmusikanten aus Darmsheim, einem Teilort Sindelfingens war die Mannschaft vollzählig an Bord und es konnte losgehen. Mit großem Elan wurde diese Reise zu einem großen Erfolg und hat dann ein gutes Team hervorgebracht, das in den folgenden zwei Jahren weitere, kleinere Projekte durchgeführt hat. Und nun also das Großprojekt England.
Um es gleich vorneweg zu sagen: würde die Chemie zwischen den Hauptakteuren nicht so gut passen, so hätte das Projekt an vielen Stellen scheitern können. Denn trotz prinzipieller Übereinstimmung tauchten enorm viele kleine Probleme und Widrigkeiten auf, mit denen man so nicht gerechnet hatte. Es begann ganz harmlos mit der Festlegung von Besprechungsterminen. Ehrenamtliche Mitarbeiter haben eben immer noch einen Hauptberuf, und der geht vor, auch und gerade wenn der Arbeitgeber der Weltkonzern mit dem Stern ist. Und die Musikprofis haben meist dann ihre Termine, wenn normale Menschen Freizeit haben. Doch die moderne Kommunikation – auch das als wichtige Erkenntnis – macht’s möglich. Über Handys und E-Mail wurden Termine abgestimmt, Protokolle und Entwürfe verschickt und Kontakt gehalten.
Als zweiter wichtiger Punkt in der Zusammenarbeit zwischen Ehrenamt und Profis wurden von Beginn an eine klare, aber gleichwertige (!) Arbeitsteilung vereinbart. Die Musikprofis kümmerten sich um die Auswahl der Stücke, Besetzung und Probenplanung, die Jugendleiter um Infobriefe, Angebote, Anmeldung und Freizeitplanung. Als Koordinationsstelle fungierte die Musikschule, trotz leerer kommunaler Kassen mit einem gut funktionierenden Büro und allen technischen Hilfsmitteln ausgestattet. Die Nutzung vorhandener Ressourcen hängt natürlich ebenfalls stark von der Kommunikation ab. Ohne das Wissen, was wo vorhanden ist, sind Synergieeffekte nicht nutzbar.
Als ein Pluspunkt hat es sich auch erwiesen, dass die Jugendleiterin der Stadtkapelle, Tanja Knof hauptberuflich ebenfalls bei der Stadt arbeitet und ihre Vorgesetzten ihre ehrenamtliche Tätigkeit nicht nur tolerieren sondern auch unterstützen. Was manche Arbeitgeber hier übersehen ist die Tatsache, dass ehrenamtlich engagierte Mitarbeiter auch in den Betrieben die Aktivposten sind. Sonderurlaube oder die Nutzung von Kommunikationseinrichtungen dürften sich dadurch sogar rechnen!
Die erste gemeinsam Probe
Ein weiterer Meilenstein des „Projektes England“ war dann die erste gemeinsame Probe. Man sollte die Identität auch eines aus Jugendlichen bestehenden Klangkörpers nicht unterschätzen. Es erfordert einiges an Fingerspitzengefühl zwei verschiedene Orchester zusammen zu schmieden. Da sich die Dirigenten im Vorfeld auch in Fragen wie Sitzordnung oder Disziplin gut abgestimmt hatten, war der Zusammenklang von fast 70 Instrumenten dann sofort ein Erlebnis. Ganz nebenbei wurde das Jugendblasorchester Sindelfingen noch komplett neu eingekleidet, eine Aktion die von Jugendleiterin Tanja im Alleingang meistert wurde! Besonders anstrengend wurde die schon angesprochene Arbeitsteilung für die Ehrenamtlichen dann mein folgenden Probenwochenende.
Während die Dirigenten tagsüber mit den Jugendlichen Proben bis die Lippen schlapp machten, mussten die Jugendleiter, die für dieses Wochenende noch Verstärkung mitgebracht hatten nachts für Ruhe in der Jugendherberge sorgen. Eine Sysyphosarbeit und daraus die Erkenntnis: man kann auf Reisen und Freizeiten nie genug erwachsene Betreuer dabei haben. Ein Konzert im Rathaus bildete dann den Abschluss der Vorbereitungen und auch hier waren ehrenamtliche Heinzelmännchen mit an der Arbeit. Sowohl beim Auf- und Abbau als auch beim Pausensekt halfen die Orchestereltern, organisiert natürlich von der Jugendleitung. Bleibt also nur noch, der ganzen Gesellschaft eine gute und erfolgreiche Reise zu wünschen. Im wörtlichen Sinne auf die Insel, gutes Wetter und viel Publikum eingeschlossen. Und natürlich auf dem weiteren Weg des Orchesterlebens mit vielen gut organisierten Veranstaltungen und Erlebnissen, die man nur als Musiker machen kann und die so nur in der Kombination von Ehrenamt und Proffesionalismus erreichbar sind. Für die Zusammenarbeit zwischen Ehrenamt und Profis lassen sich aus der praktischen Erfahrung folgende Punkte ableiten:
Zusammenfassend lassen sich für die Zusammenarbeit zwischen Ehrenamt und Profis aus der praktischen Erfahrung und der täglichen Arbeit folgende Punkte ableiten. Die Gleichwertigkeit der Partner in der täglichen Arbeit, in Diskussionen und bei Projekten ist eines der wichtigsten Punkte, um eine erfolgreiche Verbandsarbeit durchzuführen. Auch spielt hier die Unterstützung sowie die Förderung der Ehrenamtlichen durch deren Arbeitgeber eine wichtige Rolle, damit eine für die Mitglieder interessante und abwechslungsreiche Freizeitgestaltung geschaffen werden kann. Nur mit guten Kommunikationsstrukturen sowie einer klaren Abgrenzung der Zuständigkeiten von Ehrenamtlichkeit und Hauptamtlichkeit lassen sich gemeinsam die Verbandsziele erreichen.
Aber auch der Einfluss von Außenstehenden mit flankierenden Maßnahmen ist für eine erfolgreiche Arbeit unerlässlich. Eine wichtige Rolle spielt hierbei die Politik, die die Ehrenamtlichkeit mit einem Gesetz zur Förderung des Ehrenamtes sowie Steuererleichterungen für Ehrenamtliche unterstützen könnte. Auch die Förderungsmöglichkeiten für engagierte Ehrenamtliche innerhalb des Hauptberufes darf nicht außer Acht gelassen werden.