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Gegen Tintenfraß und Schimmel - 70 Bibliotheken und Archive laden im ganzen Land zum Aktionstag ein - 60 Millionen Schriften vom Zerfall bedroht
Berlin (ddp). «Den 2. September 2004 werde ich so schnell nicht vergessen», sagt Kulturstaatsministerin Christina Weiss (parteilos). Was sie damals bei ihrem Flug nach Weimar vom Hubschrauber aus gesehen habe, sei ein Schock für sie gewesen: die nach dem Brand noch rauchende, stark beschädigte Anna Amalia Bibliothek. «Es war eine nationale Kulturkatastrophe, die uns bis ins Mark getroffen hat», betont sie. Der Brand habe aber auch den Blick auf die großen, ganz alltäglichen Probleme der Bibliotheken und Archive im Land gelenkt - auf die Gefährdung von rund 60 Millionen Schriften, vornehmlich durch Säurefraß.Genau ein Jahr nach dieser Katastrophe werden sich mehr als 70 Bibliotheken und Archive in ganz Deutschland am 2. September an einem gemeinsamen Aktionstag beteiligen. Die «Aktion Lesezeichen» will auf die alltägliche und ständige Bedrohung der Bestände hinweisen. «Der Schutz von Archiv- und Bibliotheksbeständen, unserem kulturellen Gedächtnis, muss für alle Beteiligten eine vordringliche Aufgabe bleiben», sagt Weiss. Mit Ausstellungen, Vorträgen sowie offenen Magazinen und Werkstätten wollen die Einrichtungen auf ihre Probleme aufmerksam machen. Für den Aktionstag hat Literaturnobelpreisträger Günter Grass («Die Blechtrommel», «Der Butt») in limitierter Auflage eigens ein Lesezeichen gestaltet, das in den teilnehmenden Bibliotheken kostenlos ausgegeben wird.
Schätzungen gehen von 60 Millionen Schriften in deutschen Bibliotheken aus, die durch Schäden wie Tintenfraß, Verschleiß, Schimmel oder Schädigung durch säurehaltiges Papier, aber auch durch mangelnden Brand- und Wasserschutz gefährdet sind. Das sind mehr als tausendmal so viele wie in Weimar. Dort waren bei dem Brand 50 000 äußerst wertvolle Bände vernichtet worden, 62 000 weitere Exemplare sind seitdem stark beschädigt. «Eine der Lehren aus diesem Brand war, dass wir mehr Geld in einen verbesserten Katastrophenschutz investieren müssen», sagt Weiss.
Aber selbst in feuer- und wassersicheren Magazinen der Bibliotheken und Archive seien Teile des schriftlichen Kulturerbes gefährdet, sagt Birgit Schneider, die Direktorin der Deutschen Bücherei Leipzig. So könnten beispielsweise auch Daten bei der Archivierung moderner Medien verloren gehen, und über ihre Langlebigkeit sei bislang wenig bekannt.
In der Leipziger Bibliothek, in der vor allem Bände des 19. und 20. Jahrhunderts lagern, sei der Schaden durch die um 1850 begonnene industrielle Herstellung von Papier besonders groß. «Von den zehn Millionen Bänden sind fünf Millionen durch saures Papier gefährdet», sagt die Expertin. Seit acht Jahren sei man damit beschäftigt, die Bestände zu entsäuern. «Rund 15 Prozent konnten wir bislang retten.»
Die «Aktion Lesezeichen» wurde von der «Allianz zur Erhaltung des schriftlichen Kulturgutes», einem Zusammenschluss großer deutscher Bibliotheken und Archive, initiiert. Diese hatten sich 2001 zu einem Runden Tisch zusammengeschlossen, um die Methoden der Bewahrung und Sicherung des Bestandes zu verbessern. Der Aktionstag wird von der Volkswagen-Stifung unterstützt. Das Faltblatt «Deutsche Tragödien» informiert ausführlich über die «Aktion Lesezeichen».
http://www.schriftliches-kulturerbe.de