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ARD-Anstalten senden größte Lyrik-Produktion ihrer Geschichte

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Zu Ostern beginnt die ARD mit der Ausstrahlung der bislang größten Lyrik-Produktion der deutschen Radiogeschichte. Mehr als 1000 Gedichte aus der Sammlung des Kölner Literaturwissenschaftlers Karl Otto Conrady wurden dafür beim SWR von bekannten Schauspielern aufgenommen.

Köln (ddp-nrw). Ein reger Karten-Schwarzmarkt für eine Literaturveranstaltung zum Thema Lyrik, das hat es selbst auf der erfolgsverwöhnten lit.Cologne noch nicht gegeben. Innerhalb von zwei Tagen waren die 1300 Karten für die Matinee «Lauter Lyrik» mit Elke Heidenreich und Karl Otto Conrady in der Kölner Oper verkauft gewesen. Unentwegte hofften am Sonntag noch Minuten vor Veranstaltungsbeginn auf Karten, die meisten allerdings vergeblich.

Ihnen entging eine Lyrik-Vormittag frei von jeder bildungsbürgerlichen Betulichkeit. Auf der schlicht dekorierten Opernbühne trugen die Schauspieler Ulrich Matthes, Donata Höffer, Sandra Hüller und Hanns Zischler Gedichte vor, die der Kölner Literaturwissenschaftler Karl Otto Conrady ausgewählt hatte. «Gedichte erschließen sich völlig neu, wenn man sie hört und nicht nur liest», sagte Conrady im Gespräch mit Moderatorin Heidenreich und warb dafür, CDs mit Lyrik auch in Fußballstadien oder Diskotheken aufzulegen.

Bekannt wurde der 82-Jährige als Herausgeber der nach ihm benannten Lyrik-Anthologie «Der Neue Conrady» (Patmos-Verlag). Von dem über 2000 Gedichte umfassenden Buch wurden seit der Erstausgabe 1977 rund 120 000 Exemplare verkauft. Es gilt als Standardwerk, das die deutsche Lyrik von ihren Anfängen bis in die Gegenwart abbildet.

Mit der Kölner Veranstaltung wollte Conrady auch auf die bislang größte Lyrik-Produktion der deutschen Rundfunkgeschichte aufmerksam machen. Mehr als 1000 Gedichte aus seiner Sammlung wurden dafür beim SWR von bekannten Schauspielern aufgenommen. Zu hören ist «Lauter Lyrik. Der Hör-Conrady» ab 25. März in den Kultur- und Wortprogrammen der ARD.

«Lyrik sei der Versuch, aus dem Material Sprache etwas Besonderes zu schaffen», erläuterte Conrady. Ob das Ergebnis dieser Versuche immer etwas tauge, sei dann eine andere Frage, fügte der Herausgeber hinzu und setzte ein Gedicht von Peter Rühmkorf an den Beginn der Veranstaltung. Der dichtete: «Wer Lyrik schreibt, ist verrückt. Wer sie für wahr nimmt, wird es."

Er habe schon als Pimpf bei der Hitlerjugend Gedichte rezitiert, erinnerte sich Conrady. Im besten Fall könnten Gedichte nach Jahrhunderten wieder aktuell werden, sagte er und wusste in der Auswahl der vorgetragenen Texte nachzuweisen, dass es herb-feministische Lyrik bereits im Barock gegeben hat.

Ein anderes Beispiel war das «Börsengedicht» von Achim von Arnim, in dem ein Anleger über seine Rendite sinniert. Es entstand nicht zur Zeit der New Economy, sondern bereits 1825. «Ich suche derzeit Gedichte aus dem 18. Jahrhundert, die sich mit dem Thema Steuerflucht befassen», konstatierte Conrady angesichts der aktuellen Liechtenstein-Affäre.

Der Professor, dessen nüchterne Art eigentlich gar nicht zu seinem großen Enthusiasmus für Gedichte passen will, erwies sich zunächst als Herausforderung für die gewohnt unorthodoxe Heidenreich. Doch gerade der Kontrast der beiden so gegensätzlichen Temperamente tat der Veranstaltung gut. Zumal sich auch die «Lesen»-Moderatorin als Lyrik-Begeisterte erwies, die ihre Liebesbriefe einst mit abgeschriebenen Gedichten veredelte.

Die Leistungen der rezitierenden Schauspieler rundeten die größte Lyrik-Veranstaltungen der diesjährigen lit.Cologne ab. So meisterte Hanns Zischler souverän das eigentlich schier unvortragbare «Heldenplatz»-Gedicht von Ernst Jandl, während Ulrich Matthes bei Paul Celans «Todesfuge» für Gänsehaut beim Publikum sorgte.

Schließlich überkam es auch Heidenreich und Conrady: Gemeinsam wurde mit Inbrunst Morgenstern und Brecht rezitiert - wobei Heidenreich einräumte, dass sie beim Auswendiglernen zum Schludern neige.

Die Gedichte aus «Lauter Lyrik. Der Hör-Conrady» erscheinen auch als Hörbuch auf 22 CDs.