Banner Full-Size

Bitte warten – Download beginnt in Kürze

Untertitel
Die deutschen Musikhochschulen loten den Bereich „E-Learning“ aus
Publikationsdatum
Body

Der Ausbau der virtuellen Dimension hat das letzte Jahrzehnt bestimmt und ihm seinen Stempel aufgedrückt. Das Internet, ursprünglich als reines Kommunikationsmittel erdacht, ist heute zum unerbittlich präsenten sozialen Treffpunkt für die Gesamtgesellschaft geworden, darüber hinaus aber auch zu einem Umschlagplatz für Waren aller Art – zum Beispiel Information. Daten, Musik, Fotos – alles wird mittlerweile aus dem Netz gezogen und wer die Akkorde von „Knocking on Heaven’s Door“ sucht, lädt die Gitarrentabs lieber von entsprechenden Downloadportalen herunter, als sich ein Songbook zu kaufen.

Ein Problem, das naturgemäß die GEMA mehr beschäftigt als die deutschen Musikhochschulen. Die wiederum müssen sich freilich um ihr Bildungsmonopol in der professionellen Musikausbildung kümmern und sich auf das veränderte Nutzungsverhalten der Studierenden bei der Informationsbeschaffung einstellen. Gelingen soll dies unter anderem mit der Schaffung eigener multimedialer Angebote. Bereits der klassische Frontalunterricht in allgemein bildenden Schulen fließt mitunter schon über Tastaturen in Laptops, Vorträge und Vorlesungen an Hochschulen werden mittels digitaler Recorder konserviert und fehlendes Unterrichtsmaterial wird den notorischen Schwänzern nicht mehr von gutwilligen Kommilitonen kopiert, sondern bequem als Mailanhang zugestellt. Oder, und hier betreten wir die neu abgesteckte Domäne der neuzeitlichen Multimedia-Hochschule, das Material wird vom Dozenten auf Hochschulservern zum Download bereitgestellt. Dies ist je nach Hochschule und Dozent bereits seit einigen Jahren Usus und der erste Schritt auf einer Skala von Maßnahmen, für die sich der weit gefasste Sammelbegriff „E-Learning“ gefunden hat.

E-Learning – ein Begriff ohne klare Abgrenzung

Dass „E-Learning“ keine klar abgesteckte Bezeichnung ist und ganz verschiedene Intensitäten virtuellen Lernens beschreibt, verdeutlicht der Blick nach USA, wo sich mit dem Berklee College of Music eine reale Musikuniversität einen kompletten virtuellen Ableger unter dem Namen Berkleeemusic geschaffen hat. Ein Coup, der es dem renommierten College erlaubt, sein Bildungsangebot weltweit zu vermarkten und auch für Studenten zugänglich zu machen, deren künstlerische und finanzielle Fähigkeiten für ein längeres Studium am Hochschulstandort Boston nicht ausreichen würden. Derlei Ambitionen auf einem „Bildungs-Weltmarkt“ zeigt man in Boston schon lange, mit einem umfangreichen Workshop- und Lehrbuch-Angebot, komprimierten Sommerkursen und Kooperationspartnern in Europa, wie der Jazz und Rock Schule Freiburg, die als Partnerschule deutschen Studenten durch Austauschprogramme Kontakt zur Berklee-Lehre ermöglicht. Die Zertifizierung im Online-Bereich, also das Abnehmen von Prüfungen und der generelle Leistungsnachweis ist natürlich ein Problem, weshalb Berkleemusic keine Bachelor- und Masterstudiengänge durchführt, sondern lediglich mehrwöchige „certificate programms“ im Bereich digitale Musikproduktion, Arrangement/Orchestration, Songwriting/Komposition, Music Business sowie mehrere Instrumentallehrgänge, nach deren Absolvierung dem Studenten immerhin ein Zertifikat winkt, das ihn als Absolventen eines Berklee-Lehrgangs ausweist. Ein Ersatz für ein Vollstudium ist damit nicht geschaffen worden, ein professionell arbeitendes Weiterbildungszentrum mit weitreichenden Möglichkeiten allemal.

Vergleichbare Aktivitäten mit komplett online stattfindenden Kursprogrammen gibt es auch in Deutschland bei zahlreichen privaten Online-Akademien, die das klassische Fernstudium alter Tage ersetzen oder Weiterbildungsmöglichkeiten anbieten, und auch einige Universitäten haben virtuelle Lehrangebote in Form „Virtueller Hochschulen“ (z.B. in Baden-Württemberg und Bayern) geschaffen, die für Studierende der beteiligten Partneruniversitäten kostenlos, für Außenstehende kostenpflichtig zur Verfügung gestellt werden. Diese Angebote verstehen sich jedoch als Ergänzung und Unterstützung der regulären Lehre, die auch an den Volluniversitäten nach wie vor in Präsenzveranstaltungen durchgeführt wird. Aus der ursprünglichen Vision, mittels E-Learning die herkömmliche Lehre komplett zu ersetzen, ist der bescheidene Ansatz geworden, mit Hilfe multimedialer Möglichkeiten ein flexibleres und abwechslungsreicheres Studium anbieten zu können. E-Learning soll stützen, nicht revolutionieren.

Einzelunterricht gegen Download

Der Blick auf die deutschen Musikhochschulen zeigt, dass die künstlerische Ausbildung noch überwiegend reale Züge trägt und die virtuellen Aktivitäten vor allem auf moderne Webpräsenzen mit gut sortierten Veranstaltungskalendern abzielen. Umfassende Online-Programme fehlen. Woran liegt das? Ist es träge Rückständigkeit oder zweifeln die Institutionen einfach nur daran, mit Online-Angeboten eine qualitativ hochwertige Ausbildung gewährleisten zu können? Ein nicht unwesentlicher Faktor bei der gemächlichen Entwicklung des E-Learnings im künstlerischen Hochschulbereich dürfte die besondere Bedeutung sein, die dem Einzelunterricht hier zukommt.

Die Studierenden treten im Hauptfachunterricht wesentlich enger mit einem persönlichen Mentor in Wechselwirkung, als dies bei Studierenden von Volluniversitäten der Fall ist. An der HfMDK Frankfurt weist man auf einen Anteil des Hauptfachunterrichts am Studium von 80 Prozent hin, für andere Hochschulen dürfte das ebenfalls gelten. Der Mentor schlägt hier ganz klar das Lernprogramm.

Die Stunde des PC ist dann aber doch gekommen, wenn es um die theoretischen Fächer in der Musikausbildung geht. Bei Vorlesungen und Seminaren zur Musikgeschichte, -pädagogik und -theorie wird die Vor- und Nachbereitung tatsächlich mehr und mehr ins Netz verlagert, ebenso bietet sich die praxisorientierte Gehörbildung als virtueller Lerninhalt an – die Seminare selbst finden nach wie vor in Klassenräumen und Hörsälen statt. Eine Form der kombinierten Vermittlung, die man als Blended Learning (zu deutsch: integriertes Lernen) bezeichnet.

Rezeption und Produktion

Das Internet als virtueller Vermittlungsort ist nicht die einzige Möglichkeit für multimediales Lernen. Natürlich ist auch der PC selbst als Plattform für Sequenzer-, Notations und Produktionsprogramme wie Logic, Cubase, Pro Tools, Finale oder Sibelius inzwischen Pflichtausstattung für zeitgemäße Musikausbildung. Damit wird der Begriff des E-Learning von der reinen Rezeption von Inhalten um die Möglichkeit aktiver Produktion erweitert. Da elektronische Musikproduktion und Notensatz inzwischen fast ausschließlich auf digitalem Weg stattfinden, gehören Computerraum, Medialab und Tonstudio mittlerweile ebenso zum Inventar einer Hochschule, wie Hörsaal, Überaum und Audimax. Notenpult, Tafel und Klavier sind MIDI-Keyboard, Maus und Bildschirm zur Seite gestellt worden. Allerdings erfordert die notwendige Ausstattung an Geräten und Softwarelizenzen nicht unerhebliche Mittel, die nicht alle Hochschulen in ausreichendem Maße aufbringen können oder wollen. Die Verhältnisse an den Hochschulen sind hier nicht überall gleich gut, aber dort wo Fachbereiche wie Jazzabteilungen, zeitgenössische elektronische Komposition oder Filmkomposition von den technischen Einrichtungen profitieren können, sind sie meist recht gut ausgebaut.

Von der Durchführung kompletter multimedialer Kurse, Seminare oder Workshops in der Breite ist man an deutschen Hochschulen noch weit entfernt und eine mögliche kommerzielle Nutzung von Online-Angeboten verbunden mit einer Öffnung der Lehre nach außen, wie es Berklee praktiziert, wird wohl so bald nicht stattfinden. Vielleicht möchte man das auch nicht, denn gerade die zeitgenössische Musikproduktion, und hier speziell der populäre Bereich, würde von einem solchen Angebotsausbau profitieren. Diese Lehre, die sich erst mit den technischen Möglichkeiten des neuen Jahrtausends entwickeln konnte, die weiterhin stark dynamisch sein wird und nicht gerade zum Kerngebiet der traditionell ausgerichteten Hochschulen gehört, überlassen die Hochschulen überwiegend privaten Akademien und Instituten – die kommerziellen Möglichkeiten auch.

Weitere Upgrades dringend empfohlen

Der aktuelle Stand der Dinge in Sachen E-Learning an deutschen Musikhochschulen mag noch nicht zufriedenstellend sein, der Wille, das Angebot auszubauen wird jedoch allerorts betont. E-Learning- Systeme und Media-Tools wie „Moodle“, „Opal“ oder „Magma“ werden getestet oder sind bereits im Einsatz, und auch über neue Vermittlungsformen wird laut nachgedacht. An der Musikhochschule derJ ohannes-Gutenberg-Universität Mainz hat man mit „Inside Music“ ein dynamisches Lernkonzept für Musiktheorie und Gehörbildung vorgestellt, an der HMTM Hannover schreiben Studenten mit dem PC Bläser-Arrangements für Schulensembles mit anschließender CD-Produktion.

An der Hochschule für Musik und Theater München interessiert sich besonders die 2008 eingegliederte Jazzabteilung für die Möglichkeiten, die das Internet als Lernplattform zu bieten hat. Video-Workshops ist eines der Stichworte in diesem Zusammenhang. Öffentlichkeitswirksame „Online-Lectures“ renommierter amerikanischer Jazzgrößen via Video-Stream wären auch für eine konservative deutsche Hochschule ein nicht zu unterschätzender Werbe-Coup. So ließe sich beispielsweise eine Workshop-Serie starten, die das eigene Renommee erheblich steigert, ohne dass man Gefahr läuft, in seinen Kernkompetenzen an Überzeugungskraft zu verlieren. Ein erfolgreiches Beispiel? Sie ahnen es ... Berklee!

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!