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Der Klang des Digitalen

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Geringe Verzögerung: RSH lud zu einer Demonstration von LOLA ein
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„Digitalisierung“: Alle reden davon, alle wollen es. Doch was heißt das aktuelle Buzzword konkret – zum Beispiel für Menschen, die professionell Musik machen? Antworten darauf suchte und fand nun eine Veranstaltung der Robert Schumann Hochschule Düsseldorf im Sommersemster 2019.

In Zusammenarbeit mit der Hochschule Düsseldorf lud die Robert Schumann Hochschule (RSH) zu einer Demonstration von LOLA. Die fesche Abkürzung steht für Low Latency, auf Deutsch: geringe Verzögerung, und ist der Name eines Systems, mit dem Musiker auch über große räumliche Distanzen hinweg gemeinsam üben oder spielen können. Die optische und akustische Verbindung wird dabei durch ein Mikrophon, eine Kamera und einen Monitor hergestellt. Der Clou von LOLA ist der geringe zeitliche Versatz, mit der die Signale via Highspeed-Internet übertragen werden. Gerade einmal 30 Millisekunden benötigen Töne und Bilder zum jeweiligen Gegenüber – das ist für das menschliche Gehör fast nicht mehr wahrnehmbar und reicht für den gemeinsamen Auftritt vor dem Monitor. Vergleichbar ist die ultraschnelle Reise der Tonsignale mit einem gemeinsamen Auftritt auf einer großen Bühne: 30 Millisekunden benötigt der Schall auch, wenn der Ausgangspunkt rund zehn Meter vom empfangenden Gehörgang entfernt liegt.

Dank LOLA sollen sich neue Möglichkeiten in Lehre und Ton-Praxis ergeben. Das sagt zumindest die Theorie. Wie die Praxis aussehen kann, zeigten zwei handfeste Beispiele beim Workshop. In einer Übungseinheit arbeiteten ein Gitarrenstudent und sein Professor gemeinsam an einem Stück von Johann Sebastian Bach. Alles war so, wie man es kennt. Der Student spielt vor, der Lehrer korrigiert und gibt Hinweise. Das Besondere lag in der Distanz: Hier erprobte ein Düsseldorfer Student mit einem Professor in Kopenhagen das sogenannte „Distance Learning“. Und es klappte: Beide hatten nach wenigen Minuten die technischen Hilfsmittel vergessen, die die Kommunikation erst möglich machten, und konzentrierten sich voll auf Griffmus­ter, Phrasierungen und Töne. Alles so wie immer also? Nicht ganz, wie Jesper Andersen, Asscociate Professor an der Royal Danish Academy of Music zu berichten wusste, jenem Institut, das LOLA schon seit mehreren Jahren nutzt: „Interessanterweise führt das System dazu, dass die Musiker mehr miteinander kommunizieren und sich intensiver miteinander beschäftigen. Es wird häufiger gesprochen als bei einer Probe oder Übungsstunde, die in einem gemeinsamen Raum stattfindet. Die Diskussionen sind sehr lebhaft.“

Wie aber funktioniert das System, wenn die Eins-zu-eins-Situation ersetzt wird durch die komplexe Kommunikation innerhalb eines Orchesters oder einer Band? Die Session der fünfköpfigen RSH Jazz-Combo mit einem Saxophonisten vom Royal College of Music in London gab darüber Aufschluss. Beim gemeinsamen Grooven mit dem Mann im Monitor war den Düsseldorfer Musikern nicht anzumerken, dass dieser mit den Tönen seines Instruments den Ärmelkanal überbrücken musste. Schnell wurde aus der virtuellen Ton-Truppe eine musikalische Einheit jenseits aller räumlichen Distanz. Combo-Leiter Jan Schneider machte allerdings eine interessante Entdeckung: „Man hört genauer hin und ‚wartet‘ auf den Anderen, der über LOLA zugeschaltet ist. Auf lange Sicht wird man so gemeinsam langsamer.“
Mit genau diesen Auswirkungen – die sich nicht theoretisch vorhersagen lassen und ausschließlich praktisch erfahrbar sind – befasste sich auch der Vortrag von Tania Lisboa vom britischen Royal College of Music. In mehreren Testreihen hat sie Studierende und Lehrende in LOLA-Situationen beobachtet und anschließend befragt. Das Ergebnis: LOLA führt dazu, dass die Musiker konzentrierter sind und der Austausch mit den Mit-Musikern intensiver wird. Als Ergänzung zur klassischen Probe oder Unterrichtsstunde bescheinigte Tania Lisboa dem System daher eine große Zukunft.

Professor Raimund Wippermann, Rektor der RSH und nach eigener Aussage „als Musiker ein analoger Mensch“, teilte dieses Urteil und resümierte: „Dank LOLA entsteht wirklich ein Zusammenspiel. Die Musik wird durch die technische Komponente nicht eingeschränkt.“ Wippermann sieht die Robert Schumann Hochschule als Schrittmacher in NRW. „Wir wollen uns mit an die Spitze der Bewegung setzen“, betont der Rektor. „Im Mittelpunkt steht für uns die Frage, wie man die Möglichkeiten digitaler Technik für den Kern unserer künstlerischen Ausbildung und Praxis am besten nutzt.“ Seine Hochschule hatte das Konzept für den Workshop ausgearbeitet. Die befreundete Hochschule Düsseldorf wählte man als Ort, weil hier bereits die technischen Voraussetzungen für eine LOLA-Vorführung bestehen: Ein Hochgeschwindigkeits-Internetzugang sowie die Anbindung an das Deutsche Forschungsnetz, eine spezielle und ebenfalls sehr schnelle Hochschul-Kommunikationsstruktur.

Das Fazit der eintägigen LOLA-Demonstration in Düsseldorf war einhellig: Die Highspeed-Bits und -Bytes des Systems sind geeignet, aus dem ab­strakten Schlagwort „Digitalisierung“ ein handfestes Werkzeug für eine neue musikalische Distanzlosigkeit im besten Sinne zu machen: Wenn die Musiker medial zusammenrücken, weitet sich die Perspektive.

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