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Gruppenbild mit Namensgeber: Die Gewinner des Joseph-Joachim-Wettbewerbs. Foto: Marius Maasewerd
Gruppenbild mit Namensgeber: Die Gewinner des Joseph-Joachim-Wettbewerbs. Foto: Marius Maasewerd
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Flexible Regularien, partnerschaftliches Publikum

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Beobachtungen beim Joseph-Joachim-Violinwettbewerb in Hannover
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„Very hard“, „aber es lohnt sich“, „man muss sehr diszipliniert an sich arbeiten“, „4 bis 6 Monate Vorbereitung“ steckten dahinter – das ist der Tenor der 35 konkurrierenden jungen Geiger, die aus 178 Bewerbungen nach Hannover eingeladen waren, zur Teilnahme an dem Wettbewerb, der dem Geiger Joseph Joachim als Vorbild huldigt. Je zur Hälfte kamen sie aus Europa und fernen asiatischen Ländern. Aus Deutschland war nur einer darunter. Viele haben in Europa, meist an deutschen Hochschulen ihre Ausbildung erfahren oder setzen sie hier fort. Um die durch einen Wettbewerbspreis versprochene Starthilfe für die erhoffte internationale Karriere zu erhalten, müssen sie sich durch ein anspruchsvolles solistisches Programm hochspielen.

Denn die Sechs, die es durch zwei Vorrunden über das Semifinale (da waren es noch zwölf) bis zum Finale geschafft haben, sollen nachhaltig (mit Preisgeld) und wirksam (mit Debutkonzerten, CD-Produktion, Leihgabe eines Meisterinstrumentes) unterstützt werden – das ist die Philosophie der Stiftung Niedersachsen, die diesen mit 140.000 Euro „weltweit höchstdotierten“ Violinwettbewerb im Dreijahresrhythmus zum achten Mal veranstaltet hat. Auch die, die es (noch) nicht ganz nach oben schaffen, wurden nicht heimgeschickt, sie durften ihre Musik zum Publikum bringen; zwölf niedersächsische Orte profitierten von Extra- Konzerten, 2.000 Schüler von Workshops in Klassenzimmern.

In den Vorspielrunden hatten die Kandidaten das auch in vergleichbaren Wettbewerben übliche Pflicht- und Wahlprogramm aus verschiedenen Epochen, Stilbereichen und Gattungen zu absolvieren, im Finale schließlich je ein Solokonzert nach eigener Neigung (Schostakowitsch, Beethoven, je zweimal Tschaikowsky und Sibelius), begleitet von der NDR Radiophilharmonie mit dem übereifrigen finnischen Kapellmeis­ter Hannu Lintu am Pult.

Die internationale Zwölfer-Jury stand unter dem (nicht votierenden) Vorsitzenden Krzysztof Wegrzyn, zugleich Wettbewerbsinitiator und dessen künstlerischer Leiter. Etwas erstaunt empfunden wurde es, wie die sich aus den ermittelten Jurypunkten ergebende Rangfolge der Finalisten genutzt wurde, das in den Regularien vorgegebene Preis-Schema zu modifizieren, nicht zum Nachteil, eher zum Vorteil ausgerechnet der Schüler des Juryvorsitzenden. Da war im Publikum dann doch ein Raunen zu vernehmen, und man kann nur hoffen, dass dies den Ruf dieses noblen Wettbewerbes nicht ankratzt. Denn zwei erste Preise mit je 50.000 Euro (und keinen 2. Preis) gab es für die aus Moldawien stammende, in Hannover studierende Alexandra Conunova-Dumortier (24 Jahre) und für die Koreanerin Dami Kim (23). Zwei erste Preise hat es bisher bei diesem (und wohl auch bei keinem anderen der namhaften internationalen Wettbewerbe) gegeben. Bemerkenswert, dass auch der fünfte und sechste Platz in zwei gleichrangige fünfte Preise, je 8.000 Euro, umgewandelt wurde. Mit dem 3. Preis (20.000 Euro) bedacht wurde der einzige deutsche Kandidat, Tobias Feldman (21), Schüler der ehemaligen Joachim-Preisträgerin Antje Weithaas in Berlin und kurz zuvor aus dem Deutschen Musikwettbewerb des DMR als Hauptpreisträger hervorgegangen. Mit dem 4. Preis (8.000 Euro) ausgezeichnet wurde der mit 17 Jahren jüngste Kandidat, der Koreaner In Mo Yang.

Für den weiteren ersten Preis konnte zwar die Preissumme aufgestockt werden, aber für die mit dem ersten Preis versprochene Leihvergabe einer wertvollen Guadagnini-Geige 1765 von der Fritz-Behrens-Stiftung wäre die Wettbewerbsleitung fast in Verlegenheit geraten, wenn nicht der Stiftungsvorsitzende Hans Eveslage verstanden hätte, flugs eine weiteres Leihinstrument des Londoner Geigenhändlers Florian Leonhard einzuwerben.

Regularien in Ehren, von diesen – begründet oder nicht – nachträglich abzuweichen, damit begibt man sich auf ein sensibles Feld, das die Seriosität eines Unternehmens infrage stellt. Warum sollte man dann nicht gleich die ermittelten drei oder sechs Allerbesten mit einem Preis auszeichnen, die zur Verfügung stehende Preissumme auf alle Preisträger gleichmäßig verteilen? Dann gäbe es kein Gemauschel. Verdient hätten sie es schon diesmal; denn sie alle hatten, jeder auf seine Weise, höchst eindrucksvolle Interpretationen abgeliefert, natürlich auch Schwächen gezeigt. Denn so bemerkenswert unterschiedlich in ihrer künstlerischen Präsentation zeigten sich die Finalisten in den abschließenden Konzerttagen nicht. Das fiel auch den Hannover’schen Zuhörern auf; denn diese hatten eine etwas andere Einschätzung: Sie vergaben ihren Publikumspreis dem dritten Preisträger, dem deutschen Tobias Feldmann. Ihm wurde auch der Kritiker-Sonderpreis zugesprochen, beide verbunden mit einem Scheck über 5.000 Euro. 

Die Abfolge des Preisträgerkonzertes glich mit seinen Einzelpiecen notgedrungen einem Fleckerlteppich. Dahin hätte auch noch das für diesen Wettbewerb von Peter Francesco Marino komponierte Auftragswerk für Violine solo, betitelt „unentrinnbar“, gepasst – es war zugleich das einzige wirklich zeitgenössische Werk dieses Wettbewerbes. Mit diesem hatten sich alle Semifinalisten kurzfristig auseinanderzusetzen. Für dessen „beste Interpretation“ gab es keinen Sonderpreis.

Ein eigenes Schlusswort hatten sich nach den selbstzufriedenen Glückwünschen der Wettbewerbsleitung noch die Preisträger erbeten: Für diese trat Alexandra Conunova-Dumortier charmant hervor und sagte sinngemäß: Unser Dank gilt dem zahlreichen Publikum, es war ständig präsent und aufmerksam, für uns ein ganz wichtiger Partner. Das hat uns ungemein geholfen. „Was wären wir ohne das Publikum?“  

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