Prof.in Dr.in Katharina Bradler leitet das Institut für Musikpädagogik und seit Anfang 2023 das aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds Plus (ESF Plus) im Freistaat Sachsen mit über 600.000 Euro geförderte Projekt „Musizieren – Beziehen – Lernen“ (MuBeLe). Im Interview spricht sie über die Zukunft der Musikpädagogik und welchen Beitrag das Projekt, das bis Ende 2024 läuft, dazu leisten kann.
Wie ist es um die Musikpädagogik bestellt?
Gegenwärtig passiert viel: Es gibt zahlreiche Möglichkeiten und Entwicklungen durch Zuwanderung, Digitalisierung, damit verbundenen musikalischen Praxen und informellen Musizierlernwelten. Gleichzeitig können Hochschulen dies nur bis zu einem gewissen Grad abbilden. Wir stehen als Musikpädagog:innen somit immer an der verantwortungsvollen Schwelle, kulturelles Erbe traditionsbewusst weiterzureichen und gleichzeitig innovativ fortzuentwickeln – ganz gleich, in welchem musikpädagogischen Bereich. Ob Lehramt Musik, Instrumental- und Gesangspädagogik, Musikvermittlung, Musik und Bewegung oder Elementare Musikpädagogik (EMP) – das sind alles Studiengänge, die sich mit dem Vermitteln und Aneignen von Musik in unterschiedlichen Kontexten beschäftigen. Auch vermeintlich „rein“ künstlerische Ausbildungen bergen Lehr- und Lernmomente, da das Musizieren selbst sowie das Üben immer vermittelnd zwischen Menschen beziehungsweise der Musik ist. Gegenwärtig sehe ich einen großen Bedarf, hierfür ein Bewusstsein zu schaffen. Hochrelevant scheinen mir deshalb die Fragen: Wie geben wir Kulturgut weiter? Wie beziehen wir uns aufeinander? Wie gehen wir miteinander um? Sie sehen – Musikpädagogik steckt ein bisschen überall drinnen.
Welche Betätigungsfelder gibt es für Absolvent:innen künstlerisch-pädagogischer Studiengänge?
Das Berufsbild ist sehr offen und weit gesteckt. Vom wöchentlichen Klavier-Einzelunterricht an der Kreismusikschule, über Improvisationsworkshops am Theater und altersübergreifendem Musizieren in Senor:innenheimen bis hin zum Arrangieren für inklusive Ensembles und dem Verfassen von Lehrwerken sind Absolvent:innen kaum Grenzen gesetzt. Die einen machen sich selbständig und gründen einen mobilen Unterrichtsbus, offene Lernwerkstätten oder Digitallabore, die anderen bieten Workshops für interkulturelles Musizieren oder Dirigiercoaching für im Management Tätige an. Aber auch ein vermeintlich „klassisches“ Setting wie Instrumentaleinzelunterricht kann sich ja vom musikalischen und zwischenmenschlichen Interaktionsgeschehen stark unterscheiden. Hier liegen große Gestaltungsspielräume für Lehrende, in denen sich ästhetische Qualitäten entwickeln lassen und Selbstwirksamkeit ermöglicht wird. Das macht den Beruf ja so spannend!
Welchen Herausforderungen stehen Absolvent:innen gegenüber?
Viele Absolvent:innen künstlerisch-pädagogischer Studiengänge möchten sich neben der Unterrichtstätigkeit auch künstlerisch-konzertierend verwirklichen. Gerade in freischaffenden Tätigkeiten ist dies gut möglich. Der gesellschaftliche Stellenwert der Arbeit scheint jedoch nicht immer ausreichend hoch, was sich vor allem in einer geringen Entlohnung wiederspiegelt. Die Musikhochschulen müssen sich im Schulterschluss mit Musikschulen und studienvorbereitenden Ausbilder:innen ganz klar die Frage stellen, wie Nachwuchsförderung aussehen kann und wie wir Kontakt zur Lebenswelt vieler Menschen herstellen. Denn ich kann durchaus die Tendenz erkennen, dass Studieninteressierte eher den „sicheren“ Job oder mehr Gehalt versprechenden Studiengang wählen, und die Musik ein Hobby bleibt. Wir sehen auch, dass Durchlässigkeit in musikpädagogischen Feldern wichtig ist. Denn die Realität zeigt: Absolvent:innen der IGP landen am Ende in der allgemeinbildenden Schule, Orchester- und Chormusiker:innen erteilen Instrumental- beziehungsweise Gesangsunterricht, Dirigent:innen starten Educationprogramme und so weiter.
Welchen Beitrag leistet Ihr Projekt „Musizieren – Beziehen – Lernen“ für die Instrumental- und Gesangspädagogik?
Das zum Anfang des Jahres gestartete Forschungsprojekt setzt an zentralen Fragen der Instrumentalpädagogik an: Was ist Musizieren? Wie wird dieses gelernt? Welche Rolle spielt hierbei Beziehungsqualität? Einerseits möchten wir Instrumental- und Gesangsunterricht auf individueller Ebene weiterentwickeln und die Unterrichtsqualität und somit kulturelle Praktiken nachhaltig stärken, andererseits sollen ausgehend von den Forschungsergebnissen Empfehlungen für die Studiengangentwicklung, das heißt für die Ausbildung von Musikpädagog:innen resultieren. Damit möchten wir einem Nachwuchskräftemangel entgegenwirken. Wir haben verschiedene Studien geplant, die alle einen Bezug zu den Schlüsselbegriffen „Musizieren – Beziehen - Lernen“ haben. Es geht um das in-Beziehung-treten mit Musik, sowie mit sich selbst sowie mit anderen. Soziale, pädagogische sowie spezifisch künstlerische Aspekte werden zueinander in Beziehung gesetzt und hinsichtlich ihrer Wechselwirkungen beforscht. Hierfür konnte ich ein Team von fünf Nachwuchsforschenden und zwei Kolleg:innen gewinnen, die hervorragende und vielfältige musikpädagogische Hintergründe einbringen, so dass ich mir umfassende Einblicke und Erkenntnisse erhoffe, von denen die Musikwelt profitiert.
Was sind Ihre konkreten Vorhaben?
Wir werden versuchen, die Schüler:innensicht auf das Musizieren besser darzustellen, um daraus entsprechende didaktische Folgerungen ziehen zu können. Wir werden auch Strategien beim häuslichen Üben untersuchen und erhoffen uns daraus Erkenntnisse, um das Anleiten von Üben möglichst effektiv zu gestalten. Darüber hinaus ist es unser Ziel, auch einmal den hochschulischen Unterricht unter die Lupe zu nehmen. Lange hat sich die IGP auf die Auseinandersetzung mit kleinen Kindern und dem Unterrichten im Musikschulbereich beschränkt, den prägenden Instrumentalunterricht im Hochschulbereich jedoch außen vorgelassen. Ebenfalls interessant werden unsere Forschungen zum Thema Improvisieren sein. Dessen Funktionen und Möglichkeiten des Lernens sollen erforscht und entsprechende Erkenntnisse für die Unterrichtspraxis nutzbar gemacht werden. Unter Anderem erfolgt der Transfer durch Workshops, die sich an Musikschullehrende, Hochschulangehörige, Studierende und weitere Interessierte richten.
Welche Methoden werden Sie in Ihrer Forschungsarbeit einsetzen?
Inzwischen gibt es eine Vielzahl an Möglichkeiten zu musikpädagogischen Themen zu forschen. Neben einer theoretischen Arbeit auf Basis einer Literaturanalyse zum Thema Improvisieren planen wir jeweils zwei Video- und Interviewstudien. Da wir uns stets an der Schnittstelle zu Nachbardisziplinen wie Soziologie, Psychologie, Philosophie, Musikwissenschaft und Erziehungswissenschaft bewegen, steht uns ein sehr breites Spektrum an Methoden zur Verfügung. Meine Kollegin Timea Sari freut sich über Ihr Interesse, an den Studien oder Workshops teilzunehmen.
Kontakt: timea.sari [at] mailbox.hfmdd.de (timea[dot]sari[at]mailbox[dot]hfmdd[dot]de)
Nähere Informationen:
https://www.hfmdd.de/hochschule/institute-einrichtungen/institut-fuer-m…