Kein Wunder, dass das Klavier ein so beliebtes Instrument ist! Alles ist ihm zu eigen: Melodien, Harmonien, Akkorde, Sonaten, Sinfonien, Solokonzerte, Kammermusik, Oper, Liedbegleitung, Improvisation und, last but not least, das ganze Spektrum der Musiktheorie. Welches Instrument kann da mithalten an Vielseitigkeit, Glanz, einer unendlichen Fülle großartigster Kompositionen und dem Vermögen, immer autark sein zu können? Vielleicht ist diese Selbstständigkeit aber auch eine Gefahr, die so manchen Pianisten und Klavierlehrer in die „Verselbstständigung“, manchmal auch Einsamkeit führt. Er ist sich dann selbst genug. Ich gebe freimütig zu, alle diejenigen beneidet zu haben, die in souveräner Form das Klavierspiel beherrschten. Mein Klavierspiel, an einer deutschen Musikhochschule mit Studien von Bachpräludien und Mozartsonaten erlernt, empfand ich immer als Beleidigung, für die ich mich zu schämen hatte. Gerade deswegen sah ich es als meine Pflicht an, für den Klavierunterricht an der Lahrer Musikschule bestens zu sorgen. Im Orchestersaal der Musikschule, in dem nicht nur die zahlreichen Orchesterproben stattfanden, sondern auch die wöchentlichen, öffentlichen Vortragsstunden, stand ein wunderbarer Steinway-Flügel, in Hamburg persönlich ausgewählt. In jedem Unterrichtsraum standen zwei Instrumente und für die Korrepetitionsstunden gab es einen Raum, der von seiner Größe her schon das Gefühl eines kleinen Konzertsaales vermitteln konnte. Die Schüler der Lahrer Musikschule haben gern Klavier gelernt. In diesem Fall spreche ich vor allem von den Schülern, die schon früh angefangen hatten, ein Orchesterinstrument zu erlernen. Es war nun unsere, der zuständigen Lehrer, Sache, alle Schüler, die schon einen gewissen Leistungsstand erreicht hatten, beziehungsweise deren Eltern, für das zusätzliche Klavierspiel zu gewinnen. Das war meistens recht einfach, jedenfalls einfacher, als zusätzliche Zeiten für das Ensemblespiel auszuhandeln. Merk-würdigerweise waren unsere klavierspielenden Orchestermitglieder oft besser als deren Mitschüler, die sich ausschließlich mit dem Klavier beschäftigten. Ich spreche auch ausdrücklich von den „klavierspielenden“ Orchestermitgliedern, weil eine Terminierung wie „Klavier als Zweitinstrument“ irre leiten könnte. Das Klavier war eben nie das „Zweit-Instrument“, sondern eine Ergänzung und Bereicherung besonderer Art. So mancher unserer Schüler, der später eine musikalische Berufslaufbahn eingeschlagen hat, hätte genau so gut mit dem Hauptfach Klavier sein Studium beginnen können. Diese Schüler haben allerdings von Anfang an die Besonderheiten und vielfältigen Möglichkeiten des Klaviers genutzt: Begleitung eines Geschwisters, Mitwirkung in einer Kammermusikformation, solistisches Auftreten, Musiktheorie und Harmonielehre. Nur so scheint mir ein Klavierunterricht an der Musikschule, gefördert mit öffentlichen Mitteln, überhaupt gerechtfertigt. Oft habe ich mich gefragt, ob Kinder oder Jugendliche, denen an den besonderen Ansprüchen und Möglichkeiten des Klavierspiels nicht gelegen ist, im Privatunterricht, der ja zur Genüge angeboten wird, nicht besser aufgehoben wären. Mit meinen Forderungen nach mehr Kooperation, Offenheit und Vielfalt habe ich verständlicherweise manchen Kollegen aus dem Fachbereich Klavier zur Verzweiflung gebracht und es wundert mich nicht, dass mich einer, wie mir eine Schülermutter einmal verschämt gestand, am liebsten ermordet hätte. Dazu ist es glücklicherweise nicht gekommen. Leider habe ich unsere Schüler und deren Lehrer niemals Opern oder Sinfonien in Klavierfassung spielen hören, obwohl es an Literatur dazu wirklich nicht mangelt. Das lag sicherlich mehr an den zuständigen Lehrern, wie ich überhaupt die Einfallslosigkeit so mancher Klavierlehrer bedauert habe. Ein Instrument, musikalisch so umfassend und vielseitig, sollte doch noch andere Arten des Unterrichts ermöglichen, als die althergebrachte Form des Nachspielens, des gouvernantenhaften „neben dem Schü-ler Sitzens“ oder des Wartens auf große Talente. Eines Tages absolvierten in unserem Orchestersaal die Schüler des Leistungskurses Musik des benachbarten Clara-Schumann-Gymnasiums ihr Prüfungsprogramm: 4- bis 6-stimmige Madrigale und Klaviervorträge. Mein Celloschüler Frank-Michael, heute Mitglied eines renommierten Orchesters, spielte mehrere Klavierstücke so gut und so schön, dass ich ihn, von dem ich schon immer dachte, er hätte das Zeug zu einem hervorragenden Kapellmeister, nach dem Vorspiel ansprach und meinte: „Frank-Michael, hast Du Dir schon einmal überlegt, aus Deinem Klavierspiel etwas mehr zu machen?“ Worauf mich dieser nur entgeistert anstarrte und entrüstet antwortete: „Aber Herr Matakas, Violoncello ist doch ein Melodieinstrument!“ Stimmt, und das nächste Mal werde ich diese rätselhafte Antwort erklären!
Kein Wunder, dass das Klavier ein so beliebtes Instrument ist! Alles ist ihm zu eigen: Melodien, Harmonien, Akkorde, Sonaten, Sinfonien, Solokonzerte, Kammermusik, Oper, Liedbegleitung, Improvisation und, last but not least, das ganze Spektrum der Musiktheorie. Welches Instrument kann da mithalten an Vielseitigkeit, Glanz, einer unendlichen Fülle großartigster Kompositionen und dem Vermögen, immer autark sein zu können? Vielleicht ist diese Selbstständigkeit aber auch eine Gefahr, die so manchen Pianisten und Klavierlehrer in die „Verselbstständigung“, manchmal auch Einsamkeit führt. Er ist sich dann selbst genug. Ich gebe freimütig zu, alle diejenigen beneidet zu haben, die in souveräner Form das Klavierspiel beherrschten. Mein Klavierspiel, an einer deutschen Musikhochschule mit Studien von Bachpräludien und Mozartsonaten erlernt, empfand ich immer als Beleidigung, für die ich mich zu schämen hatte. Gerade deswegen sah ich es als meine Pflicht an, für den Klavierunterricht an der Lahrer Musikschule bestens zu sorgen. Im Orchestersaal der Musikschule, in dem nicht nur die zahlreichen Orchesterproben stattfanden, sondern auch die wöchentlichen, öffentlichen Vortragsstunden, stand ein wunderbarer Steinway-Flügel, in Hamburg persönlich ausgewählt. In jedem Unterrichtsraum standen zwei Instrumente und für die Korrepetitionsstunden gab es einen Raum, der von seiner Größe her schon das Gefühl eines kleinen Konzertsaales vermitteln konnte. Die Schüler der Lahrer Musikschule haben gern Klavier gelernt. In diesem Fall spreche ich vor allem von den Schülern, die schon früh angefangen hatten, ein Orchesterinstrument zu erlernen. Es war nun unsere, der zuständigen Lehrer, Sache, alle Schüler, die schon einen gewissen Leistungsstand erreicht hatten, beziehungsweise deren Eltern, für das zusätzliche Klavierspiel zu gewinnen. Das war meistens recht einfach, jedenfalls einfacher, als zusätzliche Zeiten für das Ensemblespiel auszuhandeln. Merk-würdigerweise waren unsere klavierspielenden Orchestermitglieder oft besser als deren Mitschüler, die sich ausschließlich mit dem Klavier beschäftigten. Ich spreche auch ausdrücklich von den „klavierspielenden“ Orchestermitgliedern, weil eine Terminierung wie „Klavier als Zweitinstrument“ irre leiten könnte. Das Klavier war eben nie das „Zweit-Instrument“, sondern eine Ergänzung und Bereicherung besonderer Art. So mancher unserer Schüler, der später eine musikalische Berufslaufbahn eingeschlagen hat, hätte genau so gut mit dem Hauptfach Klavier sein Studium beginnen können. Diese Schüler haben allerdings von Anfang an die Besonderheiten und vielfältigen Möglichkeiten des Klaviers genutzt: Begleitung eines Geschwisters, Mitwirkung in einer Kammermusikformation, solistisches Auftreten, Musiktheorie und Harmonielehre. Nur so scheint mir ein Klavierunterricht an der Musikschule, gefördert mit öffentlichen Mitteln, überhaupt gerechtfertigt. Oft habe ich mich gefragt, ob Kinder oder Jugendliche, denen an den besonderen Ansprüchen und Möglichkeiten des Klavierspiels nicht gelegen ist, im Privatunterricht, der ja zur Genüge angeboten wird, nicht besser aufgehoben wären. Mit meinen Forderungen nach mehr Kooperation, Offenheit und Vielfalt habe ich verständlicherweise manchen Kollegen aus dem Fachbereich Klavier zur Verzweiflung gebracht und es wundert mich nicht, dass mich einer, wie mir eine Schülermutter einmal verschämt gestand, am liebsten ermordet hätte. Dazu ist es glücklicherweise nicht gekommen. Leider habe ich unsere Schüler und deren Lehrer niemals Opern oder Sinfonien in Klavierfassung spielen hören, obwohl es an Literatur dazu wirklich nicht mangelt. Das lag sicherlich mehr an den zuständigen Lehrern, wie ich überhaupt die Einfallslosigkeit so mancher Klavierlehrer bedauert habe. Ein Instrument, musikalisch so umfassend und vielseitig, sollte doch noch andere Arten des Unterrichts ermöglichen, als die althergebrachte Form des Nachspielens, des gouvernantenhaften „neben dem Schü-ler Sitzens“ oder des Wartens auf große Talente. Eines Tages absolvierten in unserem Orchestersaal die Schüler des Leistungskurses Musik des benachbarten Clara-Schumann-Gymnasiums ihr Prüfungsprogramm: 4- bis 6-stimmige Madrigale und Klaviervorträge. Mein Celloschüler Frank-Michael, heute Mitglied eines renommierten Orchesters, spielte mehrere Klavierstücke so gut und so schön, dass ich ihn, von dem ich schon immer dachte, er hätte das Zeug zu einem hervorragenden Kapellmeister, nach dem Vorspiel ansprach und meinte: „Frank-Michael, hast Du Dir schon einmal überlegt, aus Deinem Klavierspiel etwas mehr zu machen?“ Worauf mich dieser nur entgeistert anstarrte und entrüstet antwortete: „Aber Herr Matakas, Violoncello ist doch ein Melodieinstrument!“ Stimmt, und das nächste Mal werde ich diese rätselhafte Antwort erklären!Hauptrubrik
Geständnisse eines Musikschulleiters a. D.
Untertitel
Das Klavier an der Musikschule
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