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Hauptschüler besuchen Stück über soziale Randgruppen am b.a.t.

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Berlin (ddp-bln). Im Studiotheater des Berliner Arbeiter- und Studenten-Theater BAT sind sich am Dienstag zwei Welten begegnet: Studenten der Ernst-Busch-Schauspielschule spielten ein Stück über Randgruppen - Alkoholiker, Arbeitslose, Drogenabhängige und psychisch Kranke.

In Monologen und kurzen Szenen wurde auf der Bühne geschrieen, geweint und sich geschlagen. Und das Publikum bestand vor allem aus den Schülern einer 8. Klasse der Anna-Siemsen-Hauptschule. Diese liegt im Berliner Bezirk Neukölln, wo sich auch die Rütli-Schule befindet, die im vergangenen Jahr für eine heftige Diskussion um Gewalt und Wertvorstellungen an Schulen gesorgt hatte.

Dieses Treffen war nicht ganz zufällig. Denn während der Probenarbeit zu dem Stück «Personenkreis 3.1» waren den jungen Schauspielern schnell Zweifel gekommen, ob sie - als privilegierte Mitglieder der Gesellschaft - eine solche Thematik und die einzelnen
gescheiterten Charaktere überhaupt adäquat darstellen könnten. «Was würden die Betroffenen von dem Stück halten, von unserem schlauen Gequatsche?», fragt eine der Schauspielerinnen in dem Stück.

Um das herauszufinden, luden die Studenten die Schulklasse zu einer Probe des Stücks ein. Doch als nach der Aufführung die beiden Gruppen zusammentrafen, wollte zunächst kein richtiges Gespräch zustande kommen. Obwohl Schüler wie Schauspieler gutwillig waren und sich Mühe gaben, sind die Lebenswelten beider Gruppen offenbar doch zu weit voneinander entfernt.

Nur sehr zögernd öffneten sich die 13- und 14 Jährigen, beantworteten Fragen und kommentierten das Gesehene. Zum Stichwort Drogen berichteten Jungen, dass sie selbst schon oft von Dealern angesprochen worden seien und auch der Begriff «auf Droge sein» ging ihnen leicht von den Lippen. Insgesamt sei das Stück «schon okay» gewesen, waren sich die Schüler einig.

»Nur die Brutalität mochte ich nicht«, sagte eine 14 Jährige. Aber natürlich sei die Szene, in der ein Zuhälter eine Prostituierte quält und schlägt, schon realistisch gewesen, fügte sie hinzu. Auf die Frage der Schauspieler, welche der Szenen sie denn am meisten berührt hätte, sahen die Teenager schweigend zu Boden. Keiner traute sich, etwas zu sagen.

Maike Plath, die Lehrerin der Schüler, zeigte sich davon wenig überrascht: »Die Nähe der gezeigten Inhalte - Arbeitslosigkeit, Alkoholismus und Drogengebrauch - ist zu groß für die Schüler. Fast jeder von ihnen ist davon zu Hause direkt oder indirekt betroffen«.
Aber ein solcher Theaterbesuch sei eine Chance für die Schüler. »Denn über das Gesehene haben die Jugendlichen eine Möglichkeit, über ihr eigenes Erleben zu reflektieren und Worte dafür zu finden«, sagte die36-Jährige.

Denn diese 8. Klasse unterscheidet sich von allen anderen Hauptschulklassen in Berlin. Es ist die erste Klasse, die Theater - der offizielle Name lautet »Darstellendes Spiel« - als reguläres Schulfach hat. »Dabei geht es nicht darum, die Schüler einfach einen
Klassiker auswendig lernen zu lassen und diesen auf die Bühne zu bringen«, erklärte Plath. »Ziel des Unterrichts sei es vielmehr, ihnen durch die Theaterarbeit wichtige Schlüsselqualifikationen beizubringen: Konzentration, soziales Verhalten, sprachliche Kompetenz und vieles mehr."

Und obwohl sich die Schüler und Studenten an diesem Vormittag etwas näher kamen, bleibt die Kluft. Die Schauspieler sind in ihrem letzten Studienjahr und als Absolventen der renommierten Ernst-Busch-Schauspielschule ist ihnen ein Engagement an einem der großen Häuser Deutschlands fast sicher. Als Schüler einer Berliner Hauptschule sind die Aussichten, eines Tages überhaupt einen Ausbildungsplatz zu bekommen, dagegen sehr gering.

Christoph D. Frieß

http://www.bat-berlin.de