Wie lebendig Musikgeschichte sein kann, zeigt der Internationale Interpretationswettbewerb Verfemte Musik auf besondere Weise. Seit über zwei Jahrzehnten widmet sich das Projekt unter der Leitung von Volker Ahmels den Werken von Komponistinnen und Komponisten, die im Nationalsozialismus verfolgt, ins Exil getrieben oder ermordet wurden. Im nächsten Jahr findet der Wettbewerb erstmals in Rostock statt – ein guter Anlass, mit Volker Ahmels über die Neuausrichtung, die Bedeutung des Projekts und seine persönlichen Erfahrungen zu sprechen.
Volker Ahmels, Künstlerischer Leiter des Wettbewerbs und Leiter des Zentrums für Verfemte Musik an der hmt Rostock. Foto: Oliver Borchert
Interpretationswettbewerb Verfemte Musik
Was ist in diesem Jahr neu am Wettbewerb und warum findet er diesmal in Rostock statt?
Der Wettbewerb Verfemte Musik fand zuletzt 2022 in Schwerin statt, musste aber organisatorisch neu aufgestellt werden. Gemeinsam mit der Hochschule für Musik und Theater Rostock, der Musikhochschule Lübeck, dem Mecklenburgischen Staatstheater und dem Konservatorium Schwerin entstand die Idee, den Wettbewerb künftig in Rostock zu verankern. Das hat nicht nur infrastrukturelle Vorteile – es erreicht auch direkt die Studierenden. Es freut mich, dass durch die Neuausrichtung länderübergreifende Kooperationen gestärkt werden.
Was versteht man genau unter „Verfemter Musik“?
Darunter verstehen wir Komponistinnen, Komponisten sowie Musikerinnen und Musiker, die im Nationalsozialismus verfolgt, vertrieben oder ermordet wurden – meist jüdischen Glaubens, aber auch aus politischen Gründen. Viele ihrer Werke gerieten in Vergessenheit. Wir möchten sie wieder hörbar und auf die Schicksale aufmerksam machen. Auch nach 25 Jahren Projektarbeit werden noch unbekannte Werke entdeckt – das macht diese Arbeit so spannend.
Was macht den Wettbewerb für Studierende besonders reizvoll?
Als der Wettbewerb 2001 zum ersten Mal stattfand, war er als einmaliges Projekt gedacht. Doch schnell zeigte sich, wie stark die persönliche Begegnung mit dieser Musik wirkt. Unvergesslich bleibt mir Anita Lasker-Wallfisch, die als junge Frau nach Auschwitz deportiert wurde, dort im Mädchenorchester spielte und später eine erfolgreiche Musikerin wurde. Mehrmals war sie Jurorin in Schwerin – eine außergewöhnliche Erfahrung für alle Teilnehmenden. Sie regte an, zusätzlich ein Werk der Romantik aufzuführen, um das musikalische Können besser beurteilen zu können. Diese Idee gilt bis heute.
Wie ist der Wettbewerb aufgebaut?
Teilnehmen können junge Musikerinnen und Musiker als Solisten oder im Duo – etwa Klavier, Gesang, Streicher oder Bläser. Es gibt auch eine offene Kategorie für Kammermusik in freier Besetzung, zum Beispiel Harfe und Flöte oder ein Streichduo. Die Werke müssen nicht zwingend während der NS-Zeit entstanden sein. So kann man etwa Kompositionen von Karel Reiner spielen, der Auschwitz und Theresienstadt überlebte und nach dem Krieg neue Werke schuf.
Warum ist es wichtig, sich mit verfemter Musik zu beschäftigen?
Zum einen, um die Lebensgeschichten der Betroffenen kennenzulernen. Zum anderen, weil diese Musik ein künstlerischer Schatz ist. Viele Werke sind heute fester Bestandteil des Repertoires. Früher kannte kaum jemand Namen wie Erich Zeisl, Paul Ben-Haim, Erwin Schulhoff oder Viktor Ullmann. Heute werden sie regelmäßig gespielt – ein Erfolg, zu dem der Wettbewerb entscheidend beigetragen hat.
Gibt es ehemalige Teilnehmende, die heute bekannt sind?
Ja, einige! Etwa das Bennewitz-Quartett, die Pianistin Annika Treutler, die Geigerin Azadeh Maghsoodi, die Sängerin Pia Davila mit Linda Lane oder die Saxophonistin Asya Fatayeva. Viele konnten durch den Wettbewerb wichtige künstlerische Impulse gewinnen und Karriereschritte machen.
Wie gelingt es, an geeignete Noten zu kommen?
Viele Verlage wie Boosey & Hawkes, Bote & Bock, Schott, Universal Edition oder Doblinger haben inzwischen zahlreiche Werke veröffentlicht. Auf unserer Website findet man Listen zu verfemten Komponistinnen und Komponisten, etwa auch zu über 30 niederländischen Musikerinnen und Musikern beim Verlag Donemus. Unser Team berät gern individuell – unter anderem Prof. Christoph Sischka, Prof. Karola Theill und Prof. Maria Egelhof. Aber es ist auch spannend, selbst auf Entdeckungsreise zu gehen.
Gab es für dich persönlich prägende Begegnungen?
Ja, viele. Besonders berührt haben mich Treffen mit Überlebenden wie Paul Kling, Edith Kraus, Anita Lasker-Wallfisch, Anna Hanusová Flachová oder Eva Hermanová. Sie alle waren in Theresienstadt oder Auschwitz und Teil unserer Jury. Solche Begegnungen vergisst man nie. Sie sind ein Auftrag, diese Arbeit fortzuführen – auch in Workshops für Jugendliche und in Kooperation mit den Musikhochschulen Rostock und Lübeck. Es erfüllt mich mit Freude, dass die Aktivitäten, die in Mecklenburg- Vorpommern begannen, heute weltweit Beachtung finden.
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