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Die «Jenaer Liederhandschrift» aus dem 14. Jahrhundert ist neben der Manessischen Liederhandschrift in Heidelberg die bedeutendste, größte und prachtvollste Handschrift deutscher Lyriküberlieferung des Mittelalters . Sie wird derzeit in der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena restauriert und dokumentiert.
Jena (ddp). Nur selten erblickt die «Jenaer Liederhandschrift» das Licht der Öffentlichkeit. Der wertvollste Schatz der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek (ThULB) Jena ruht meist wohlbehütet in einem Tresor. Dem ist er vorübergehend entronnen. Seit einigen Monaten wird die im ersten Drittel des 14. Jahrhunderts entstandene Sammlung mittelhochdeutscher Sangsprüche von 30 Meistern jener Zeit in der ThULB restauriert. Der Zustand der Kostbarkeit - Experten nennen sie in einem Atemzug mit der auch als Manesse Codex bekannten Großen Heidelberger Liederhandschrift - machte das notwendig.«Wir haben erstmals seit fast 500 Jahren einen Blick unter den Einband des Buches geworfen», sagt Joachim Ott. Als Leiter der Handschriften-Abteilung der ThULB ist er Herr über rund 300 solcher mittelalterlichen Werke. Die Liederhandschrift ist dabei im wahrsten Sinne des Wortes der größte Schatz der Bibliothek. Schließlich misst sie 56 mal 41 Zentimeter - groß genug, damit die um das Buch herumstehenden Sänger Text und Noten einst lesen konnten.
Genau sie sind es, die den Jenaer Codex, der 1549 mit der «Bibliotheca Electoralis» der sächsischen Kurfürsten Friedrich der Weise (1463-1525) und Johann Friedrich I. (1503-1554) von Wittenberg nach Jena kam, von vergleichbaren Werken unterscheiden. Zwar weist der Jenaer mit über 900 Strophen weniger Text als der Manesse Codex auf und auch nicht dessen gemalte Dichterporträts. Doch das Jenaer Exemplar ist die einzige derartige Sammlung mit Noten aus dieser frühen Zeit. Das macht es für Germanisten ebenso wie für Musikwissenschaftler interessant.
Als die Restauratoren der ThULB sich des bibliophilen Kleinods annahmen, lösten sie zunächst den aus 133 Pergamentblättern bestehenden Buchblock vom Renaissance-Einband aus hellem Schweinsleder. Der weist nicht nur im Innendeckel ein Holzschnitt-Exlibris von Johann Friedrich I. auf, sondern auch zwei Schließen und eine Kette, mit der das wertvolle Buch einst am Lesepult befestigt und so vor Diebstahl geschützt wurde.
Jedes einzelne der Doppelblätter befreiten sie mit speziellem Puder von Schmutz und den Folgen früherer Restaurierungen, ehe sie sich aufgeworfene Falten vornahmen. Dafür kamen die Blätter zunächst in eine Art Wellness-Kammer, «in der sie mit kaltem Wasserdampf behutsam geschmeidig gemacht wurden», erklärt Joachim Ott, um dann Blatt für Blatt per Handpresse geglättet und wieder in Form gebracht zu werden.
Parallel dazu wurde der Lederüberzug von den hölzernen Buchdeckeln gelöst, ersterer gereinigt und Fehlstellen ergänzt, letztere in einer Presse wieder in plane Form gebracht. Ein zeitaufwendiger Prozess, waren doch immer wieder Ruhephasen notwendig, damit sich Pergament, Leder und Holz wieder an ihre einstige historische Form gewöhnen konnten.
Ein wenig enttäuscht ist der Fachmann, dass keine neuen Hinweise auf die Entstehungszeit der Handschrift gefunden wurden. Dafür hat der Codex Geheimnisse seines früheren Äußeren preisgegeben. «Offensichtlich hat man den aus dem 14. Jahrhundert stammenden Buchblock an jeder Seite um zwei Zentimeter beschnitten, als er rund 200 Jahre später in der jetzigen Form gebunden wurde.»
Nicht mehr lange, dann wird der Buchblock wieder zusammengebunden - nach traditioneller Art von Hand und mit Nadel und Faden – und zwischen die Deckel gefügt. Rechtzeitig genug, um die «Jenaer Liederhandschrift» anlässlich einer interdisziplinären Konferenz in der ThULB Anfang Oktober in einer Ausstellung zusammen mit Fragmenten aus ihrem Umkreis zu präsentieren.
Zwar muss das in gotischer Textura mit Fleuronne-Initialen geschriebene Kleinod nach kurzer Zeit zu seinem Schutz wieder in den Tresor zurückkehren. Seine inzwischen abgeschlossene Digitalisierung aber gestattet künftig, die gesamte Handschrift als farbige Reproduktion betrachten. Bislang stand lediglich ein Schwarz-Weiß-Faksimile von 1896 zur Verfügung.
Uschi Lenk
http://www.thulb.uni-jena.de