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Kinder am Orchesterleben teilhaben lassen

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Konzerte für Kinder - Orchester wollen mehr junge Leute anlocken - Orchestervereinigung fordert verstärktes Engagement - Insgesamt wird in Deutschland viel zu wenig getan

Berlin (ddp). Eigentlich mag Simon Rattle keinen Wirbel um seine Person. Doch als er bei einem Spaziergang am Potsdamer Platz von einer Gruppe türkischer Teenager erkannt und mit den Worten begrüßt worden sei, «Hi, Sir Simon», habe ihm das «sehr gut gefallen», verrät der Chefdirigent der Berliner Philharmoniker. Nicht jeder Orchesterleiter in Deutschland dürfte bei Jugendlichen eine solche Bekanntheit genießen: Nach einer Bevölkerungsbefragung des Bonner Zentrums für Kulturforschung in der Rheinschiene sind klassische Musik und Musiktheater bei den kulturellen Freizeitaktivitäten junger Leute unterrepräsentiert.

Zwar fehlen nach Angaben der Deutschen Orchestervereinigung (DOV) bislang bundesweite Studien oder meist auch regelmäßige Publikumsbefragungen, ob und wie oft Kinder und Jugendliche in klassische Konzerte gehen. Doch DOV-Geschäftsführer Gerald Mertens ist überzeugt: Das Engagement der Orchester, das junge Publikum zu gewinnen, sei zwar sehr unterschiedlich - «aber insgesamt wird in Deutschland viel zu wenig getan.»

Als «Feigenblatt» sieht Mertens es, «wenn da ein, zwei Jugendkonzerte laufen.» Für ihn steht fest: Eine «vernünftige Musikvermittlung für das Publikum von morgen» müsse bereits im Kindergarten oder der Grundschule beginnen. Dies sei Aufgabe der Orchester, aber auch der Träger der Jugendbildung.

Einige Orchester haben vorgemacht, wie es gehen kann: Als «absolutes Vorbild» bei der Musikvermittlung für Kinder und Jugendliche sieht Mertens die Berliner Symphoniker. «Da können schon Anderthalbjährige hingehen und auf der Bühne rumkrabbeln oder mitdirigieren, ohne schief angeschaut zu werden», sagt er. Und ausgerechnet dieses Orchester solle jetzt abgewickelt werden.

Die Münchner Philharmoniker wollen Kinder und Jugendliche nach den Worten von Sprecher Peter Meisel, der auch für die Jugendarbeit zuständig ist, «möglichst intensiv am Alltagsbetrieb teilhaben lassen». Es gebe keine Probe, wo keine Schulklasse dabei sei. Man wolle Verständnis dafür schaffen, was ein Orchester und ein Musiker mache und Schwellenängste abbauen.

«Bei uns darf man auch mal auf die große Trommel draufhauen», sagt Meisel. Allerdings warnt er auch: «Es wäre naiv zu glauben, man macht ein paar Jugendprojekte und plötzlich strömen die alle in die Abonnementkonzerte.» Bei der Jugendarbeit brauche es einen sehr langen Atem.

Die Orchestervereinigung und der Verband Deutscher Schulmusiker wollen nun mit einer vor wenigen Monaten gestarteten bundesweiten Umfrage bei fast 140 Orchestern zur Kinder- und Jugendarbeit einen weiteren Schritt gehen. Auf dieser Basis solle dann ein Maßnahmenkatalog erarbeitet werden, kündigt Mertens an. Da gehe es auch um «ganz banale Dinge» - etwa wer den Bus für die Kinder
bezahle.

Ein modernes Orchester müsse heutzutage mehr tun als Konzerte geben, sagte Stardirigent Rattle im vergangenen Jahr bei der Vorstellung des «Education»-Projekts «Zukunft@BPhi», mit dem die Berliner Philharmoniker sich noch stärker der «Außenwelt» öffnen wollen. So gehen etwa Musiker des Orchesters für Workshops in Schulen. Bei Ravels «LEnfant et les Sortileges» tanzten und sangen 400 Kinder in der Philharmonie.

«Ich bin sicher, dass 95 Prozent von ihnen noch nie zuvor in diesem Haus gewesen sind», sagte Rattle in einem Interview. «Plötzlich war die Philharmonie voller Leben, und die Aufführungen selbst waren professionell und kreativ. Darin liegt die Zukunft.»

Nathalie Waehlisch