Ein Donnerstagnachmittag in der Wilhelminenstraße 9 in Bayreuth – 16 Uhr: Im Innenhof singen 15 vier- bis fünfjährige Kinder mit farbigen Tüchern umwickelt „Singen macht Spaß, Singen macht froh“, während aus den Fenstern des zum Hof gerichteten Orgelsaals ein volles Orgelwerk mit einer Toccata von Buxtehude erklingt. – 17 Uhr: In einem Unterrichtsraum wird Studierenden im Fach Gehörbildung ein Bach-Choral diktiert, während zwei Stockwerke darüber ein Arrangement eines aktuellen geistlichen Liedes mit einer Jazz-Combo erprobt wird. – 20 Uhr: Im Orgelsaal werden nacheinander vom 80 Sängerinnen- und Sänger starken Konzertchor zuerst ein Oratorium von Mendelssohn Bartholdy und ein zur Uraufführung anstehendes Werk der Neuen Musik geprobt.
Diese musikalisch vielgestaltigen Ereignisse spiegeln einerseits den Alltag der Kirchenmusikstudierenden und späteren Kantorinnen und Kantoren wider, sie geben andererseits auch einen guten Einblick in das rege musikalische Leben an der zwar kleinen, aber dafür umso vielfältigeren Hochschule für evangelische Kirchenmusik Bayreuth.
Die „Hochschule für evangelische Kirchenmusik der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern“ (so ihr voller Titel) – von den Bayreuthern fürsorglich „KiMu“ genannt – verfolgt seit ihrer Gründung im Jahr 2000 das sogenannte „Bayreuther Profil“: Über die Vermittlung der traditionellen künstlerischen Inhalte hinaus wird die Implementierung einer besonderen pädagogischen Komponente realisiert. So existiert deutschlandweit nur an der Bayreuther Hochschule eine Professur für Kirchenmusikpädagogik, die momentan Prof. Dr. Siegfried Macht innehat. Inhaltlich laufen in dieser Professur folgende Lehrveranstaltungen zusammen: Bibelkunde, Hymnologie, Gemeindesingen, Kirchenmusikgeschichte, Musik und Bewegung und daneben natürlich ein Grundlagenseminar in Lern- und Entwicklungspsychologie, an das sich eine mehrsemestrige Pädagogikreihe von der Allgemeinen Pädagogik bis zur Musikpädagogik anschließt - ehe eben der Blick noch einmal speziell auf die Vermittlung der Kirchenmusik fällt.
Die theologische Einführung in Gesangbuchlieder, die pädagogische Erschließung und Vermittlung der Werke großer Meister wie Schütz und Bach und deren Umsetzung in liturgischen Tänzen bilden dabei höchst zeitgemäße Formen der kirchenmusikalischen Gemeindearbeit.
Das Studienangebot der HfK Bayreuth ist auf den Mittelpunkt Kirchenmusik ausgerichtet und passt sich unter Wahrung der traditionellen Ausbildungswerte an die sich verändernden Bedingungen des kirchenmusikalischen Berufsbildes an, um den Absolventinnen und Absolventen die Möglichkeit zu bieten, sich praxisorientiert im Hinblick auf das spätere kirchenmusikalische Berufsbild zu spezialisieren oder sich für mögliche weitere (v.a. musikpädagogische) Berufsfelder zu qualifizieren. So werden wichtige Optionen zur selbstbestimmten Gestaltung des Berufsweges an die Hand gegeben.
Als ihre zentrale Aufgabe bildet die Hochschule in erster Linie evangelische Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusiker aus: Dabei stehen die Grundpfeiler der klassischen Kirchenmusik Chor-/ Orchesterleitung sowie künstlerisches und gottesdienstliches Orgelspiel im Mittelpunkt, flankiert von praktischen und theoretischen Pflicht- und Wahlfächern. Das Wahlangebot der Hochschule umfasst insgesamt 44 Lehrveranstaltungen - von popularmusikalischen Fächern bis zur Glockenkunde, von der historisch informierten Aufführungspraxis bis zur digitalen Kompetenz. Persönlichen Interessen und Begabungslagen werden im Studienverlauf breiter Raum gegeben, über die Grundlagenfächer hinaus können die Studierenden der Kirchenmusik Schwerpunkte in der Ausbildung wählen.
Ein möglicher Schwerpunkt ist die Popularmusik, sie hat eine lange Tradition an der Hochschule: Bayreuth war 1995 die erste Institution in Deutschland, die dieses Fach in die kirchenmusikalische Ausbildung übernommen hat. Gerade die Popularmusik integriert neue musikalische Ausdrucksformen aus Jazz, Pop und Rock in die kirchenmusikalische Praxis (Band, Gospelchor, Orgel- und Klavierspiel). Ein weiterer möglicher Schwerpunkt ist die Kinderchorleitung. Der Hochschule angegliedert sind Ensembles, in denen Kinder im Alter von 4 bis 14 Jahren singen. Damit gewinnen die Studierenden in ihrer Ausbildung Einblicke in alle für die Kinder- und Jugendchorarbeit relevanten Gruppen. Als drittes mögliches Schwerpunktfach rundet die Bläserchorleitung das Portfolio ab.
Mit der Umstellung auf Bachelor/Master wurden an der Hochschule drei weitere grundständige Studiengänge eingeführt, die Kernkompetenzen aus dem Kirchenmusikstudium aufgreifen. Der zentrale Bachelorstudiengang Evangelische Kirchenmusik wird jetzt flankiert von den drei Bachelorstudiengängen Künstlerisches Orgelspiel, Dirigieren/ Studienrichtung Chorleitung und Klavierpädagogik. Diese Studiengänge sind so konzipiert, dass weitgehende inhaltliche Schnittmengen eine große Durchlässigkeit im Allgemeinen und zum Kirchenmusikstudium im Besonderen ermöglichen. Das eröffnet einerseits die Option eines Doppelstudiums bei verkürzter Studiendauer und ermöglicht somit berufssichernde Mehrfachqualifikationen. Andererseits wird Interessentinnen und Interessenten, die nur in Teilbereichen des kirchenmusikalischen Spektrums ausreichende Kompetenzen für die Aufnahme eines Studiums aufweisen oder sich zunächst nicht für ein Kirchenmusikstudium entscheiden können, der zeitversetzte Einstieg in diese Fachrichtung erleichtert.
In allen Bachelorstudiengängen besteht die Möglichkeit des Ablegens der „Großen Prüfung für das Kirchenmusikalische Nebenamt“ (früher: C-Prüfung). Damit wird neben dem eigentlichen Studienziel eine Zusatzqualifikation für den nebenberuflichen kirchenmusikalischen Bereich erworben und dem landeskirchlichen Interesse entsprochen, auf den nach wie vor hohen und weiterhin steigenden Bedarf auch an nebenberuflich qualifizierten Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusikern reagieren zu können.
Auch im Bereich des postgradualen Studienangebotes wurde das Ausbildungsportfolio erweitert. Neben dem Masterstudiengang evangelische Kirchenmusik gibt es nun drei weitere Angebote: Der Masterstudiengang „Musikleitung vokal/ instrumental“ verfügt über die individuell wählbaren Studienrichtungen Chorleitung, Kinder- und Jugendchorleitung, Popularmusik und Bläserchorleitung; der Masterstudiengang Instrumental-/ Vokalpädagogik beinhaltet die Studienrichtungen Klavier, Orgel sowie Stimmbildung und in den Studiengang Künstlerisches Orgelspiel sind die Disziplinen Literaturspiel und Improvisation integriert.
Neben einer Studienvorbereitung im Rahmen eines Gaststudiums ist das „Kontaktstudium“ ein besonders zukunftsweisendes Format: Es wendet sich an Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusiker im hauptberuflichen Dienst, aber auch an andere Interessierte, die in der Kirche mit der Ausübung von Kirchenmusik zu tun haben oder beauftragt sind. Dieses berufsbegleitende Studium bietet die Möglichkeit, sich interessens- und neigungsabhängig fortzubilden und gewinnt unter dem Aspekt der „Multi-Professionalisierung“ aktuell neue Bedeutung.
Abgerundet wird das „Bildungskonzept Hochschule“ seit 2020 nun durch ein sogenanntes Schüler- bzw. Jungstudium. Dieses ermöglicht besonders begabten Schülerinnen und Schülern die Teilnahme an ausgewählten Lehrveranstaltungen, die Anrechnung auf ein späteres Vollstudium ist möglich. Außerdem wird schulbegleitend eine pass- und zielgenaue Vorbereitung auf ein (Kirchen)Musikstudium ermöglicht.
Für eine kleine Hochschule sind neben den inneren Vernetzungen Netzwerke mit externen Partnern sowie die Hinzuziehung externer Kompetenz besonders wichtig. Ein fester Baustein sind in diesem Kontext die Bayreuther Meister- und Fortbildungskurse, die jährlich von den Lehrenden der Hochschule organisiert werden. Sie führten zuletzt so international reputierte Musiker und Musikerinnen wie etwa Arvid Gast, Pieter van Dijk, Wolfgang Zerer, Leo van Doeselar, Thierry Mechler (Orgel), Frieder Bernius (Chorleitung), Juliane Banse, Kai Wessels (Liedgestaltung), Tim Ovens, Giuseppe Bruno und Andrzej Pikul (Klavier) nach Bayreuth. Sich an der kirchenmusikalischen Berufspraxis orientierende Formate sind ebenso im Angebot, zuletzt ein Workshop „Jazz-Rock-Pop an Orgel und Klavier“ mit KMD Christoph Georgii und Dr. Victor Alcántara.
Auf institutioneller Ebene besteht eine Kooperationsvereinbarung mit der Universität Bayreuth, die es den Studierenden beider Einrichtungen ermöglicht, an Lehrveranstaltungen teilzunehmen. Im Rahmen der Partnerschaft der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern und der Diözese Skara in Schweden tauscht sich die Hochschule regelmäßig mit der Folkshögskola Hjo zu kirchlichen, pädagogischen und künstlerischen Themenstellungen aus. Als Brücke zur Landeskirche und damit dem späteren Anstellungsträger wirkt Landeskirchenmusikdirektor Prof. Ulrich Knörr, der an der Hochschule im Rahmen der berufskundlichen Lehrveranstaltungen unterrichtet. Darüber hinaus kooperiert die Hochschule mit dem musischen Gymnasium in Bayreuth.
Eine intensive Zusammenarbeit besteht auch mit vielen Kirchengemeinden, Einrichtungen und Kulturträgern. Hier werden Synergien für eine sich an der Berufswirklichkeit orientierende, praxisnahe Ausbildung genützt. Beispielhaft seien die von Studierenden gestalteten Gottesdienste und Konzerte in Kooperation mit Bayreuther Kirchengemeinden genannt, die Studierendenkonzerte bei der Klaviermanufaktur Steingraeber & Söhne, die berufskundlichen Lehrveranstaltungen in Zusammenarbeit mit den Hofer Symphonikern und der Musikschule Bayreuth und weitere kirchenmusikalische Projekte zum Beispiel mit St. Michael in Fürth. Für die Orchesterarbeit und entsprechende Dirigierseminare besteht eine enge Verbindung mit der Vogtlandphilharmonie Greiz, deren Intendant, GMD Stefan Fraas, an der Hochschule eine Dirigierklasse unterrichtet.
Mit diesem umfassenden Studienangebot stellt die Hochschule für evangelische Kirchenmusik Bayreuth unter Beweis, dass auch kleine Institutionen vielfältig und leistungsfähig auszubilden in der Lage sind. Untermauert wird dieses erfolgreiche Konzept zudem durch die die Akzeptanz der Absolventinnen und Absolventen bei den Anstellungsträgern vorwiegend im Bereich der EKD. Einige von ihnen arbeiten an exponierten Stellen im In- und Ausland: So ist Dr. Jens Korndörfer als Director of Worship and the Arts and Organist der First Presbyterian Church in Atlanta (USA) tätig, Matthias Grünert hat die Kantorenstelle an der berühmten Frauenkirche in Dresden inne, KMD Christoph Georgii ist landeskirchlicher Beauftragter für Popularmusik der badischen Landeskirche und Laura Matuzaité-Kairiené leitet den litauischen Kirchenmusikerverband.