Forschung ist, allgemein gesprochen, die Suche nach Wissen und Erkenntnis. Wir sind es heute gewohnt, Forschung mit wissenschaftlicher Forschung gleichzusetzen und ihre Qualität oder auch die Frage, was sich (wissenschaftliche) Forschung nennen darf, und was nicht, an der Erfüllung bestimmter Standards zu bemessen.
So klar und vermeintlich objektiv die Sache auf den ersten Blick erscheint: Auch innerhalb der Gemeinschaft der Forschenden ist das Verständnis uneinheitlich und entwickelt sich dynamisch. Vor allem die Geisteswissenschaften gelten vielen Naturwissenschaftlern und Empirikern als „spekulative“ Wissenschaften. Im Englischen werden sie unter dem Begriff „Humanities“ gar als etwas von den „Sciences“ Ab- und Ausgegrenztes verstanden. Und nun also auch noch Künstlerische Forschung? An der Hochschule für Musik Dresden fand am 24. und 25. November ein Symposium zum Thema statt, in dem anhand von praktischen Beispielen und Diskussionsrunden forschungtheoretische und epistemologische Aspekte des Themas erörtert, aber auch der Frage nachgegangen wurde, warum Artistic Research in Deutschland im internationalen Vergleich bislang so wenig präsent ist.
Das von der AEC im Jahre 2015 veröffentlichte „White Paper for Artistic Research“ definiert Künstlerische Forschung „als eine Form der Forschung…, die über eine starke Verankerung in der künstlerischen Praxis verfügt und die neues Wissen, neue Einsichten oder Perspektiven innerhalb der Kunst schafft und damit sowohl der Kunst selbst als auch der Innovation dient.“ (1) Damit ist noch nichts über die Methoden und Ziele ausgesagt, die sich mit Künstlerischer Forschung verbinden, und die sie im breiten Spektrum zwischen Grundlagenforschung und angewandter Forschung als etwas gegenüber anderen Arten der Forschung Eigenes oder gar Einzigartiges ausweisen.
Vergleicht man die erkenntnisheoretischen Legitimationsdiskurse, die sich mit den in diesem Spektrum angesiedelten Methoden und Ansätzen verbinden, und sucht nach so etwas wie einem kleinsten gemeinsamen Nenner, so ergibt sich Folgendes:
Forschung gilt als gelungene oder gute Forschung
• wenn sie zu neuen Erkenntnissen führt,
• wenn sie zur Lösung von Problemen beiträgt.
Diese Lösungen müssen nicht notwendigerweise kurzfristig greifen. Es genügt, wenn plausibel erscheint, dass sie irgendwann in der Zukunft nützlich sein könnten und wenn sie von den anderen Mitgliedern der Forschungs-Community anerkannt wird.
Anders als man vermuten könnte, gilt der letzte, auf den ersten Blick durchaus spekulativ erscheinende Punkt, offenbar auch im Bereich der empirischen und angewandten Forschung. Denn auch die in einem chemischen Labor entwickelte neue Untersuchungsmethode setzt sich erst dann in der Community durch, wenn sie von anderen Forschern anerkannt und reproduziert wird. Eine Besonderheit Künstlerischer Forschung ist ohne Zweifel die Betonung der Prozessorientiertheit und der Sachverhalt, dass ihre Ergebnisse nicht unbedingt in schriftlicher Form dokumentiert sein müssen. Trotzdem gilt, dass auch diese Ergebnisse verlässlich, nachvollziehbar, überprüfbar und wiederholbar sein müssen.
Aber, so könnte man fragen, warum muss sich Kunst überhaupt als forschungsbasiert ausweisen? Die Antwort auf diese Frage hat viel mit dem Bolognaprozess zur Reform des Hochschulwesens im europäischen Hochschulraum zu tun. Bologna traf die Kunsthochschulen harsch und unvorbereitet, weil sie es bis dato versäumt hatten, ihr eigenes akademisches Selbstverständnis zu klären, es sich in der Zeit vor Bologna aber recht gut leben ließ, ohne dieses einer Klärung zuzuführen. Denn anders als an Universitäten, wo „akademisch“ gleichbedeutend ist mit „Qualität“, stand und steht der Begriff an Kunsthochschulen nicht selten für das Gegenteil, nämlich für den Mangel oder die Vernachlässigung künstlerischer Qualität. Das, was heute unter dem Begriff der Künstlerischen Forschung gehandelt wird und sich in seinen Konturen erst allmählich herauskristallisiert, ist so Folge der von den Kunsthochschulen durchaus gewollten Entscheidung, Einrichtungen der tertiären Bildung auf Augenhöhe mit den Universitäten sein zu wollen. Und eine der zentralen Forderungen, die sich aus dem Bolognaprozess ergeben, ist die nach der systematischen Reflexion des eigenen Handelns. Künstlerische Forschung hat sich zum Ziel gesetzt, dies mit Hilfe von Erkenntnismethoden zu tun, die der Dignität des Fachs Rechnung tragen.
Prof. Stefan Gies
1) https://www.aec-music.eu/userfiles/File/Key Concepts/White Paper AR - Key Concepts for AEC Members - DE.pdf, S.2